Palästinenser haben gewählt Hamas auf Platz zwei
25.01.2006, 07:20 UhrDie vielerorts geäußerten Befürchtungen über einen Sieg der Hamas bei der palästinensischen Parlamentswahl sind allem Anschein nach nicht eingetroffen. Laut Wählernachfragen konnte die bisher allein regierende Fatah ihre Führungsposition behaupten. Allerdings belegt die radikalislamische Hamas-Bewegung einen starken zweiten Platz.
In einer Prognose der Universität Bir Seit lag die Hamas am Abend bei 44 Prozent gegenüber 47 Prozent für die moderate Fatah, die im bisherigen Parlament fast allein vertreten war. Die Universität An-Nadscha in Nablus sah die Hamas bei 40 Prozent, das Palästinensische Zentrum für Politik und Meinungsforschung bei 35 Prozent. In diesen beiden Nachwahlbefragungen hielt die Fatah einen Vorsprung von sechs beziehungsweise sieben Prozent. Die Hamas selbst rechnete unter Berufung auf eigene Zahlen mit rund 50 Prozent der Stimmen. Die Fatah schätzte ihren Anteil auf 46 Prozent. Offizielle Ergebnisse werden für diesen Donnerstag erwartet.
Die Wahlbeteiligung wurde mit 77,7 Prozent angegeben: 81,7 Prozent im Gazastreifen und 77 Prozent im Westjordanland, aber nur knapp 50 Prozent in Ostjerusalem.
Eine Umfrage vom Freitag hatte noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Hamas und Fatah vorausgesagt. Darin lagen beide knapp über 30 Prozent. Angesichts des vergleichsweise guten Abschneidens zogen Tausende von Fatah-Anhängern noch am Abend zu Freudenfeiern auf die Straßen, obwohl die Partei ihre absolute Mehrheit nun verloren hat. Fatah und Hamas hatten im Vorfeld der Wahl angekündigt, eine Koalitionsregierung zu erwägen.
Israel hatte bereits vor den Wahlen deutlich gemacht, dass ein Sieg der Hamas das Ende des Friedensprozesses bedeuten könne. Die EU und die USA stufen die Hamas als terroristische Vereinigung ein. Erklärtes Ziel der Hamas, zu deren Ideologie auch zahlreiche Versatzstücke antisemitischer Propaganda gehören, ist die Zerstörung Israels. Die Fatah hat das Existenzrecht Israels dagegen faktisch anerkannt.
Die Parlamentswahl in den palästinensischen Autonomiegebieten war die erste seit zehn Jahren. 1996 hatte die Hamas aus Protest gegen die damals laufenden Nahost-Verhandlungen den Urnengang boykottiert.
Hamas will Waffen nicht abgeben
Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas verspricht sich von der Teilnahme der Hamas an der Wahl eine Einbindung und Mäßigung der bewaffneten Gruppe. Diese bekräftigte jedoch, ungeachtet des Wahlausgangs an ihrer Charta festhalten zu wollen, in der zur Zerstörung des Staates Israel aufgerufen wird. Auch eine Abgabe ihrer Waffen stehe nicht zur Debatte.
Die Hamas ist für zahlreiche Selbstmordanschläge gegen Israelis verantwortlich. Israels amtierender Ministerpräsident Ehud Olmert äußerte die Hoffnung, dass sich die künftige Palästinenser-Regierung an den internationalen Friedensplan (Road Map) halten werde. Der israelische Botschafter in Berlin, Shimon Stein, sagte bei n-tv, wenn die Hamas ihre Position ändere, "dann stellt sich für uns eine neue Lage, aber leider meine ich, ist sie davon noch weit entfernt".
Wahlen auch in Ost-Jerusalem
Wahlberechtigt waren rund 1,4 Millionen Palästinenser im Westjordanland, dem Gaza-Streifen und dem arabischen Ostteil Jerusalems. Zur Wahl standen 132 Parlamentssitze.
In Ost-Jerusalem verhinderte die Polizei Störmanöver rechtsgerichteter Israelis. Im größten Wahllokal in einer örtlichen Postfiliale drängten sich Hunderte von Palästinensern, wie eine Mitarbeiterin berichtete. In dem von Israel annektierten Stadtteil waren nur Anhänger der regierenden Fatah-Bewegung zu sehen.
Nahezu 20.000 örtliche und 950 internationale Beobachter verfolgten den Wahlverlauf. Es kam aber offenbar wie bei früheren Wahlen nur zu vereinzelten Verstößen. Eine erfreuliche Überraschung gab es im Flüchtlingslager Balata, wo die militanten Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden gedroht hatten, die Wahl zu verhindern. Ihr Anführer Alaa Sanakra erschien vor der Wahlstation, gab sein Waffe draußen ab, und ging dann wählen.
Quelle: ntv.de