Verletzt, verloren, verpfiffen? Igor Strelkows rätselhafter Rücktritt
15.08.2014, 10:41 Uhr
Igor Strelkow heißt in Wirklichkeit Igor Girkin, ist Russe und mutmaßlich ein Mitarbeiter von Wladimir Putins Geheimdiensten.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Die prorussischen Separatisten in der Ostukraine erklären den Rücktritt ihres Armeechefs. Warum Igor Strelkow das Amt nicht mehr ausüben kann, verraten sie allerdings nicht. Sie schweigen vermutlich aus guten Gründen.
Was ist los mit Igor Strelkow? Am Donnerstagabend erklärten die Rebellen in Donezk den Rücktritt ihres Militärchefs. Gründe dafür, nannten sie allerdings nicht.
Strelkow, der in Wirklichkeit Igor Wsewolodowitsch Girkin heißt und aus Russland stammt, ist eine Schlüsselfigur im Ukraine-Konflikt. Der Mann, der nach Einschätzung der EU ein russischer Geheimdienstmitarbeiter ist, war zunächst auf der Krim aktiv, brachte sich nach der erfolgreichen russischen Annexion in der Donbass-Region in Stellung und führte die Truppen durch etliche Schlachten. Strelkow gilt als einer von Moskaus "kleinen grünen Männern", als einer, der im Auftrag des Kremls die Geschicke in der Ostukraine lenkt. Warum also trat er ausgerechnet jetzt zurück?
Schon am Mittwoch kursierten Gerüchte, dass Strelkow bei Kämpfen mit den ukrainischen Regierungstruppen "schwer verletzt" worden sei. Quelle der Nachricht war die Separatisten-Seite "Novorossiya". Die russische Nachrichtenagentur Itar-Tass untermauerte diese Meldung. Sie zitierte den stellvertretenden Premierminister der selbsternannten Volksrepublik Donezk mit den Worten: "Ich habe keine genauen Informationen, aber es ist wahrscheinlich wahr."
Nur Stunden später allerdings kam das Dementi: "Alles ist in Ordnung mit Igor Strelkow", sagte der stellvertretende Verteidigungsminister der Separatisten, Fyodor Berezin. Weitere hochrangige Rebellen bestätigten diese Darstellung. Verletzt oder nicht? Das bleibt vorerst ein Rätsel. Sicher ist aber: Sollte Strelkow kampfunfähig sein, hätten die Separatisten naheliegende Gründe, dies zu verheimlichen.
Strelkow, ein ausgesprochener Nationalist, der erbarmungslos gegen seine Gegner vorgeht, ist in Russland und unter den Anhängern der Separatisten längst so etwas wie ein Star. Der Journalist Andrei Arkhangelsky hat in einer kleinen Studie gezeigt, dass sein Name zeitweise öfter im Radio zu hören war als der des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Arkhangelsky spricht von einer "Generation Strelkow". Hätten Kiews Truppen ausgerechnet ihn verwundet, wäre das womöglich ein herber Schlag für die Kampfmoral der Separatisten und das Durchhaltevermögen ihrer Anhänger in den umkämpften Gebieten. Doch das ist nur eine von vielen Thesen zum Abtritt Strelkows.
Putins Zorn
Die Separatisten verlieren zusehends Einfluss in der Ostukraine. Kiews Truppen konnten sie bereits aus ihrer früheren Hochburg Slawjansk vertreiben. Jetzt treiben sie sie in den Großstädten Donezk und Lugansk in die Enge. Und die Kämpfe werden immer heftiger: Nach Angaben der Vereinten Nationen hat sich die Zahl der Toten in den vergangenen zwei Wochen fast verdoppelt. Mindestens 2000 Menschen haben schon ihr Leben verloren. Es erscheint zumindest möglich, dass Strelkow angesichts der immer heftigeren Rückschläge schlicht resigniert hat. Dafür spricht auch, dass eine ganze Reihe anderer Führungsfiguren ihre Posten aufgegeben haben. Waleri Bolotow ist eines der jüngsten Beispiele. Und erst vor einer Woche trat der Regierungschef der selbsternannten Volksrepublik Donezk, Alexander Borodai, ab. Die Spitze der Separatistenbewegung zeigt Auflösungserscheinungen. Dass ausgerechnet Strelkow kampfmüde sein soll, auch das wäre ein herber Schlag für die Moral der prorussischen Kräfte. Und auch das wäre ein Grund, möglichst wenig über die Umstände seines Rücktritts zu verraten.
Nach Angaben von Radio Free Europe wiederum hat Strelkows Aus nichts mit Angst, Resignation und Verletzungen zu tun. Der in Osteuropa weit verbreitete Sender zieht unter anderem in Erwägung, dass "der Schütze", so sein Kampfname, aufgeben musste, weil Moskau es so wollte. Auch für diese These liegen Argumentationsmuster nahe. Als Armeechef zeichnet er schließlich für die Verluste der Separatisten verantwortlich. Zudem brachte er den Kreml vor wenigen Wochen in eine ausgesprochen missliche Lage. Am 17. Juli machten aufsehenerregende Nachrichten von Strelkow in sozialen Netzwerken und auf Internetportalen die Runde. Darin hieß es, den Separatisten sei es gelungen, eine ukrainische Transportmaschine des Typs Antonow AN-26 abzuschießen. Nur stürzte an jenem Donnerstag kein Transflugzeug dieses Typs ab, sondern der malaysische Passagierjet MH17 mit 298 Zivilisten an Bord.
Quelle: ntv.de