Politik

Nordkoreas bizarrer Diktator "Kim Jong Un ist ein Führer zum Anfassen"

Das Volk liebt seinen "Obersten Führer": Bilder wie diese sind Kim Jong Un nicht Unrecht.

Das Volk liebt seinen "Obersten Führer": Bilder wie diese sind Kim Jong Un nicht Unrecht.

(Foto: REUTERS)

Seit zwei Jahren ist Kim Jong Un der "Oberste Führer" Nordkoreas. Für den Asien-Experten Rüdiger Frank ist er für seine Untertanen greifbarer als seine Vorgänger. Im Interview mit n-tv.de erklärt Frank, warum Kim zurzeit trotzdem besonders gefährlich ist.

n-tv.de: Der frühere Basketballer Dennis Rodman hat Kim Jong Un zum Geburtstag ein Ständchen gesungen. Was ist das für eine ungewöhnliche Männerfreundschaft?

Rüdiger Frank: Sie ist auf jeden Fall bizarr. In einer Ein-Personen-Diktatur stehen die persönlichen Vorlieben des Führers über allem. Ich zweifle aber daran, das als Versuch der Annäherung an die USA zu deuten. Rodman hat sicherlich nicht so ein großes Standing in Washington, dass er jetzt als Brückenbauer zwischen den beiden Staaten auftreten könnte. Im Prinzip ist es also eine große Propaganda-Show für Kim Jong Un.

Seit gut zwei Jahren ist Kim Jong Un der "Oberste Führer" Nordkoreas. Was hat sich unter ihm verändert?

Die Art und Weise, wie der Führer in der Öffentlichkeit auftritt, hat sich besonders radikal geändert. Kim Jong Un pflegt einen Stil, der eher an seinen Großvater erinnert als an seinen Vater. Kim Jong Il ist immer sehr zurückhaltend gewesen mit Auftritten in der Öffentlichkeit. Er spielte eher die Rolle des schweigsamen und zurückgezogenen Lenkers, der von der Bürde seines Amtes niedergedrückt wird, aber aufopferungsvoll für sein Volk all dies leistet. Sein Sohn zeigt dagegen sogar Freude an der Macht.

Woran machen Sie das fest?

Kim Jong Un interagiert mit den Menschen, hält Neujahrsansprachen und hat eine Ehefrau, die er regelmäßig zu öffentlichen Anlässen mitbringt. So etwas gab es in Nordkorea bisher nicht. Bis dahin waren die Führer immer so eine Art semireligiöse Persönlichkeit, die möglichst keine menschlichen Eigenschaften hatten. Kim Jong Un zeigt plötzlich, dass er auch Mensch ist. Er ist viel greifbarer - ein Führer zum Anfassen.

Warum hat Kim Jong Un zuletzt so viele Vertraute aus der ehemaligen Gefolgschaft seines Vaters, zum Beispiel seinen Onkel Jang Song Thaek, nicht nur abgesetzt, sondern sogar hinrichten lassen?

Politische Herrschaft baut auf persönliche Loyalitäten. Wenn der Herrscher wechselt, wechselt entsprechend auch das Team. Das findet man in abgeschwächter Form auch bei Machtwechseln in unserem politischen System. In Nordkorea nimmt das extreme Züge an, weil es sich um eine Diktatur handelt, in der brutale Gewalt zum Instrumentarium gehört. Es passiert nicht zum ersten Mal, dass dort Menschen aus der oberen Führungsriege verschwinden. Neu ist, wie öffentlich das geschieht. Auf der ersten Seite der Tageszeitung stand, dass Kim Jong Un seinem Onkel Jang Song Thaek zum Beispiel vorgeworfen hat, er hätte nur halbherzig applaudiert und die Rohstoffe des Landes an fremde Mächte verschachert.

Was ist die Botschaft der öffentlichen Machtdemonstration?

Die abschreckende Wirkung ist sicherlich gewollt. Der Nachteil ist: Der Führer gibt damit gegenüber der gesamten Bevölkerung zu, dass es bis an die höchste Spitze Tendenzen gibt, gegen ihn zu agieren. In einer Ein-Personen-Diktatur ist das gefährlich. Denn für die meisten Menschen ist es eigentlich gar keine Option, gegen den Führer zu sein. Nun hat Kim Jong Un den Nordkoreanern quasi mitgeteilt, dass es diese Möglichkeit doch gibt. Klüger wäre es sicher gewesen, wenn er unantastbar bliebe und es für die meisten Menschen im Land nach wie vor undenkbar wäre, dass jemand gegen ihn aufbegehrt.

Gibt es in Nordkorea Tendenzen, dass sich eine politische Opposition entwickelt?

Es gibt bisher keine Anzeichen dafür, dass es eine organisierte Opposition gibt. Ein Vergleich mit Burma oder dem Ostblock vor 1990 wäre unangebracht. Aber Ereignisse wie die um Jang Song Thaek zeigen, dass nicht alles eitel Sonnenschein ist. Sogar in der Führung gibt es offenbar abweichende Gedanken. Dies könnte durchaus Hinweis darauf sein, dass es innenpolitische Probleme gibt.

Bis hin zu einem Putsch gegen Kim Jong Un?

Es hat sich ja angedeutet, dass Jang Song Thaek so etwas vorhatte. Wir wissen nicht genau: Hat sich das jetzt erledigt und Kim Jong Un fühlt sich wieder sicher? Möglicherweise ist das auch nur die Spitze des Eisbergs, und es passieren noch ganz andere Dinge. Spätestens wenn die Südkoreaner und die Amerikaner in wenigen Wochen wieder ihre Manöver beginnen, droht darum eine neue außenpolitische Eskalation. Kim Jong Un kann es sich dann nicht leisten, Schwäche zu zeigen, die innenpolitische Kräfte ausnutzen könnten. Möglicherweise überschreitet er dann diese unsichtbare rote Linie, die zwischen lautem Geschrei und einem tatsächlichen Krieg liegt. Es könnte auch passieren, dass bei den Kommandeuren im Feld der Finger etwas lockerer am Abzug sitzt, weil sie Angst haben, nicht als loyal genug zu gelten. Was das für Folgen haben kann, hat man in den vergangenen Monaten gesehen.

Im vergangenen Jahr hat Kim Jong Un offen mit einem Atomkrieg gedroht. Nach einigen Monaten ist es jedoch wieder ruhiger geworden. Täuscht das?

In Nordkorea wechseln sich Eskalation und Deeskalation üblicherweise ab. Die Eskalationen sind in der Regel verbal und gelegentlich begleitet von  Truppenbewegungen,  vielleicht auch einem Atom- oder Raketentest. Bei Kim Jong Il wusste man: Die Drohkulissen waren wie eine Art Tanz, dessen Schrittfolge man kannte, das Risiko war kalkulierbar. Im vergangenen Jahr gab es die erste Eskalation unter Kim Jong Un. Deswegen wusste niemand, wie das Ganze ausgehen wird. Rhetorisch ist er sehr weit gegangen, bis hin zur Androhung eines atomaren Erstschlags gegen die USA. Als die Drohungen ebenfalls im Sande verlaufen sind, konnte man zunächst annehmen, dass es unter Kim Jong Un zwar etwas lauter, aber durchaus ähnlich abläuft wie bei seinem Vater. Die Affäre um Jang Song Thaek hat diese Einschätzung nun wieder relativiert.

Für wie gefährlich halten Sie Kim Jong Un?

Er ist ein junger Mann, der impulsiv in seinem Handeln ist und an der Spitze eines Staates steht, der ihm unbedingt gehorcht. Wir müssen davon ausgehen, dass es niemanden gibt, der Kim Jong Un im Falle einer Fehlentscheidung bremst. Deswegen ist er so gefährlich.

Rüdiger Frank ist Professor und Vorstand des Instituts für Ostasienwissenschaften an der Universität Wien.

Rüdiger Frank ist Professor und Vorstand des Instituts für Ostasienwissenschaften an der Universität Wien.

Zum Jahreswechsel hat Kim Jong Un wieder eine Neujahrsansprache gehalten. Was ist politisch von ihm zu erwarten?

Im Gegensatz zu der Ansprache im vergangenen Jahr hat Kim Jong Un häufig über Atomwaffen gesprochen. Es gibt also keinen Hinweis darauf, dass er diese Waffen bald aufgeben wird. Er hat aber auch viel über die Wirtschaft gesprochen, insbesondere über das Bauwesen. Offensichtlich will er die Herzen seiner Bürger durch ökonomische und soziale Wohltaten gewinnen. Es ist eine Illusion, dass das funktioniert. Als ehemaliger DDR-Bürger musste ich sofort an Honecker denken, der sein Land mit dem Wohnungsbauprogramm in den Bankrott gewirtschaftet hat.

Was erwarten Sie im Hinblick auf das Verhältnis zu Südkorea?

Einige Kommentatoren der Ansprache waren der Meinung, Kim Jong Un habe in dieser Hinsicht etwas Großartiges gesagt. Ich bin da vorsichtiger. Diese vermeintlich positiven Aussagen, dass man aufhören solle sich gegenseitig zu beschimpfen und die Ausländer schuld an der Teilung seien, sind nicht neu. Deswegen bin ich pessimistisch. Ich glaube auch nicht, dass die Führung in Südkorea daran interessiert ist, mit Kim Jong Un intensiv und ernsthaft zusammenzuarbeiten. Dafür gibt es zu viele ungeklärte Fragen, zum Beispiel den Tod der südkoreanischen Touristin 2008, aber auch das Versenken des südkoreanischen Schiffes. Daraufhin hieß es: "Bevor ihr euch nicht entschuldigt habt, reden wir gar nicht." Es ist es schwer, von so einer Forderung zurückzutreten. Südkorea ist eine Demokratie, da würde die Opposition so etwas sofort ausnutzen, um die Regierung zu schwächen.

Für März hat Kim Jong Un Wahlen angesetzt. Wie viel ist es wert, dass die Nordkoreaner über ein neues Parlament abstimmen dürfen?

Die letzten Wahlen waren vor fünf Jahren und jetzt ist es einfach mal wieder so weit. Parlamentswahlen finden regelmäßig statt in Nordkorea. Doch sie sind vergleichsweise unwichtig. In Nordkorea gibt es die Diktatur des Proletariats, die als höchste Form der Demokratie angesehen wird. Es gibt ein Kabinett, einen Premierminister und mehrere politische Parteien, aber es ist in der Verfassung festgelegt, dass die Partei der Arbeit die führende Rolle innehat. Das Wahlergebnis steht daher schon vorher fest.

Warum lassen sich die Nordkoreaner das gefallen?

Was uns als undemokratisch erscheint, ist für die meisten Nordkoreaner normal. Zumal das Land ja von den Debatten, die im Westen geführt werden, ausgeschlossen ist. Es gibt auch keine demokratische Tradition, auf die man sich berufen kann, wie in Europa. In der DDR bin ich mit West-Fernsehen groß geworden, dadurch hatte man alternative Gedanken und konnte im Hinblick auf sein eigenes System sagen: "Ja, komisch eigentlich." In Nordkorea gibt es so etwas kaum, wenn man von südkoreanischen Seifen-Opern auf geschmuggelten USB-Sticks einmal absieht.

Mit Rüdiger Frank sprach Christian Rothenberg

Quelle: ntv.de

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