Politik

Grüne vor historischer Kandidatur Künast macht Wowereit nervös

Klaus Wowereit und Renate Künast - wohl bald Konkurrenten im Wahlkampf.

Klaus Wowereit und Renate Künast - wohl bald Konkurrenten im Wahlkampf.

(Foto: dpa)

Wäre am kommenden Sonntag Abgeordnetenhauswahl in Berlin, könnten die Grünen Geschichte schreiben – erstmals würden sie einen Regierungschef auf Landesebene stellen. Renate Künast könnte mit einer erfolgreichen Kandidatur in die Lücke stoßen, die Joschka Fischer hinterließ.

Renate Künast will Regierende Bürgermeisterin in Berlin werden. So zumindest die Gerüchte, die aus der Hauptstadt in die Republik dringen. "Gerüchte", so heißt auch eine Ausstellung im Museum für Kommunikation, nahe des Potsdamer Platzes. Und eben dorthin haben die Berliner Grünen am 5. November geladen, um eine "Erklärung zur Kandidatenfrage" für die Abgeordnetenhauswahl im September kommenden Jahres abzugeben. Das klingt nach Absicht. Ist es auch: "Wir machen das ja nicht umsonst", sagt ein Sprecher des Landesverbands. Wenige Tage später steht der Berliner Parteitag an.

Krista Sager, Sprecherin für Wissenschafts- und Forschungspolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, sagte im Gespräch mit n-tv: "Wir sind als Mitglieder der Fraktion gebeten worden, uns zu diesem Thema gar nicht zu äußern." Doch schon länger gibt es die Vermutung, dass die derzeitige Chefin der Grünen- Bundestagsfraktion eine Kandidatur in der Hauptstadt anstrebt. Würde Künast nominiert, wäre es das erste Mal, dass die Grünen auf Landesebene einen Spitzenkandidaten aufstellen. Nie waren die Chancen besser. Seit Monaten liegt die Partei in Umfragen bei knapp 30 Prozent. Damit wäre sie bei der Abgeordnetenhauswahl mit Abstand stärkste Kraft. Auch den jüngsten Zahlen nach würden am kommenden Sonntag bis zu 30 Prozent der Berliner die Grünen wählen, 24 Prozent die Sozialdemokraten, die CDU 22 Prozent, die Linke 16 und die FDP vier.

Zudem hat Künast gegenüber dem langjährigen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit offenbar einen Sympathiebonus. Bei einer Direktwahl würden sich 43 Prozent der Berliner für die 54-Jährige entscheiden, für Wowereit nur 37 Prozent. Die Situation der rot-roten Koalition begünstigt die Stärke des ehemaligen Bündnispartners. So dürfte die Diskussion um Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin, dessen Buch für helle Aufregung gesorgt hat, für die Beliebtheitswerte der SPD nicht förderlich gewesen sein.

Frank Henkel, voraussichtlicher Spitzenkandidat der Berliner CDU.

Frank Henkel, voraussichtlicher Spitzenkandidat der Berliner CDU.

(Foto: picture alliance / dpa)

CDU hechelt hinterher

Die frühere Bundesverbraucherministerin ist in Berlin bestens bekannt. Vor ihrer Berufung im Jahr 2001 in die rot-grüne Bundesregierung saß die Juristin rund 14 Jahre im Berliner Abgeordnetenhaus. Dort führte sie von 1990 bis 1993 sowie von 1998 bis 2000 auch die Grünen-Fraktion.

Klaus Wowereit reagierte gereizt - und kritisierte die Wechselwut zwischen Land und Bund: "Wenn sie in Berlin kandidieren will, dann aber bitte ohne Wenn und Aber. Eine Rückfahrkarte in die Bundespolitik, die Frau Künast sich offenbar bereit halten will, schadet Berlin." Die Rückfahrkarte ist zunächst der Fraktionsvorsitz im Bundestag, den sie nicht niederlegen müsste. Hält auch auf nationaler Ebene der Höhenflug der Partei an, könnte Künast innerhalb der Stadt wechseln – wenn sie etwa 2013 in einer möglichen Bundesregierung mit den Grünen eingebunden wird.

Auf Landesebene gibt es neben den Sozialdemokraten offenbar keine Konkurrenz für Künast. Die CDU bekommt seit dem Ende der Großen Koalition unter Eberhard Diepgen vor neun Jahren kaum ein Bein auf den Boden. Friedbert Pflüger, im Rennen zur vergangenen Abgeordnetenhauswahl ordentlich gestartet, schaffte es nicht, die Berliner mit Authentizität zu überzeugen. Erst sechs Monate vor dem Urnengang zog er in die Hauptstadt, die größte Story in der Boulevardpresse war seine Liebeserklärung an Hannover. Vier Jahre später ist ein CDU-Spitzenkandidat mit Siegchancen wieder nicht in Sicht. Aller Voraussicht nach wird Landes- und Fraktionschef Frank Henkel den undankbaren Part des Außenseiters übernehmen.

Geschickte Anpassung

Polizei und Protestierende am Flugfeld in Tempelhof.

Polizei und Protestierende am Flugfeld in Tempelhof.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Stattdessen sind die Grünen zum Hauptstadtkonkurrenten der SPD herangereift. Die Protestkultur der Partei passt sich geschickt den Befindlichkeiten in der Stadt an. Wenn in Kreuzberg Bäume gefällt werden, unterstützt die Partei aufgebrachte Bürger. Wenn in Friedrichshain ein Standort von Klubs und Kiezkultur neuen Einkaufszentren weichen soll, bringt sich der grüne Bezirksbürgermeister Franz Schulz in Stellung gegen das böse Kapital. Und wenn Aktivisten zur Stürmung des Flugfeldes in Tempelhof aufrufen, kommt vorab die Mitteilung aus der Partei, dass eine "friedliche Zaunübersteigung" unterstützt werde. Schließlich sei das Anliegen berechtigt: Der rot-rote Senat müsse das Gelände für die Berliner öffnen. Die Taktik funktioniert offenbar bundesweit – siehe Stuttgart, wo die Grünen zunächst das umstrittene Bahnprojekt unterstützten, und sich nun zum Anwalt der Gegner machen.

Wenn etwas in der Hauptstadt passiert, wenn aktiv Politik gemacht wird, dann springen die Grünen auf. Der Wahlbezirk Friedrichshain-Kreuzberg wird im Bundestag seit Jahren von Parteikollege Hans-Christian Ströbele vertreten, in Tempelhof-Schöneberg erreichte Künast bei der vergangenen Bundestagswahl 26,3 Prozent der Erststimmen. Beachtlich für einen Bezirk, der eher als kleinbürgerlich und konservativ gilt.

Segen der Bürgernähe

Renate Künast, links: Regionalpolitik mit Köpfchen.

Renate Künast, links: Regionalpolitik mit Köpfchen.

(Foto: dpa)

Für eine mögliche Kandidatur von Renate Künast ist die Bürgernähe ihrer Partei ein Segen. Im Vergleich wirken der Senat und Klaus Wowereit apathisch. Wie ein rot-roter Faden ziehen sich die Vorwürfe durch seine inzwischen neunjährige Amtszeit, er regiere nicht, er sitze Probleme aus. Aktiv gegen passiv, Grün gegen Rot. Ob die SPD auch als Juniorpartner in eine grün-rote Koalition gehen würde? Für Wowereit, dem Vizechef der Bundes-SPD, wäre es ein Rückschlag, vielleicht mehr als das.

Schon vor Wochen analysierte der Politikwissenschaftler Jürgen Falter im Gespräch mit n-tv.de: Den Grünen fehlen die Gesichter, prägende Figuren wie ehemals Joschka Fischer. Renate Künast könnte das mit einer erfolgreichen Kandidatur ändern. Sollte sie in die Landespolitik gehen, wäre das wohl kein Abstieg – sondern vielmehr für ihre Partei die historische Chance, erstmals ein Bundes-, wenn auch kein Flächenland zu regieren.

Bei einer möglichen Regierungsbeteiligung der Grünen im Bund hätte die derzeitige Fraktionschefin Künast dann die Möglichkeit zurück zu wechseln – wenn sie denn will. Und der Boden für den vermutlichen Ersatzkandidaten, den Berliner Fraktionschef Volker Ratzmann, der wäre in der Hauptstadt bereitet.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen