CDU voll auf Kurs "Lebendige Debatte" fällt aus
14.11.2011, 06:37 Uhr
Verlautbarungen ja, Debatten nein.
(Foto: dpa)
Angela Merkel hat es wieder geschafft. Noch vor dem großen Showdown heute in Leipzig sind alle strittigen Themen mehr oder weniger abgeräumt: Mindestlohn, Europa, Hauptschule, Herdprämie. Dabei hatte es zunächst danach ausgesehen, als würde auf diesem Parteitag tatsächlich gestritten.
Noch wenige Tage vor Beginn des Parteitags in Leipzig hatte CDU-Chefin Angela Merkel nicht ausgeschlossen, dass ihre Position zum Mindestlohn bei den rund 1000 Delegierten keine Mehrheit bekommt. "Das kann auf Parteitagen immer passieren", sagte sie der "Leipziger Volkszeitung".
Zu diesem Zeitpunkt standen die Zeichen noch auf Konfrontation. Mit deutlichen Worten warfen sich die Minister und CDU-Vizevorsitzenden Ursula von der Leyen und Norbert Röttgen für einen einheitlichen Mindestlohn ins Zeug. Ebenso deutlich hielt der CDU-Wirtschaftsflügel dagegen. "Da stehen sehr schnell 100.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel", mischte sich der baden-württembergische EU-Kommissar Günther Oettinger in die Debatte ein.
Dass der Showdown ausfällt, teilte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe am Sonntagabend eher beiläufig auf einer Pressekonferenz in Leipzigs Alter Handelsbörse mit. Dort erklärte er, vom Parteitag werde "ein starkes pro-europäisches Signal" ausgehen, zudem werde es eine "Fortsetzung der bildungspolitischen Leitsätze der CDU" geben.
Erst danach kam Gröhe zum dritten großen Thema des Parteitags, dem Mindestlohn, der bisher nicht einmal einen eigenen Tagesordnungspunkt hatte, aber dennoch, so Gröhe, "besondere mediale Aufmerksamkeit" gefunden habe. Er habe, die "wesentlichen Antragsteller" versammelt, um einen Kompromiss auszuloten, sagte Gröhe.
Keine weißen Flecken, kein "politischer" Mindestlohn
Mit Erfolg. Anders als vom Arbeitnehmerflügel ursprünglich gefordert, soll es keine Orientierung allein an der Zeitarbeitsbranche geben, sondern an allen bisher für allgemeinverbindlich erklärten Lohnuntergrenzen. Auch regionale Unterschiede sollen möglich sein. Damit gibt es keinen Mindestlohn, sondern mehrere Lohnuntergrenzen. Der Plural ist wichtig, er zeigt, dass Merkel sich durchgesetzt hat.
Dass die Mindestlöhne nach dem Willen der CDU nicht von der Politik, sondern von einer Kommission aus Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgebern festgelegt werden sollen, stand schon vorher fest. Dies ist der eine von zwei Punkten, die Gröhe als Gemeinsamkeiten der CDU-Flügel herausstellte: Über die Höhe der Lohnuntergrenzen soll nicht "politisch" entschieden werden. Zweitens solle es keine "weißen Flecken auf der Tarifkarte" mehr geben. Mit anderen Worten: Branchen, die derzeit keinen Tarifvertrag haben, sollen einen bekommen. Eine Tarifpflicht schloss Gröhe dabei jedoch aus - die Möglichkeit von Ausnahmeregelungen soll ausdrücklich bestehen bleiben.
Am Sonntag klang Merkel dann auch deutlich zuversichtlicher: "Wir wollen eine Lohnuntergrenze nur für die, die heute nicht von einem Tarifvertrag erfasst sind", sagte Merkel in der ARD. "Ich vermute, dass diese Linie auch eine breite Mehrheit bekommt."
Röttgen und von der Leyen gegen Bouffier und Strobl
Da dürfte sie recht haben, denn zu Gröhes Konsensrunde gehörten die Wortführer beider Seiten: Der Chef der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Karl-Josef Laumann, an seiner Seite die beiden wichtigsten "Modernisierer" in der CDU, Röttgen und von der Leyen. Von der Gegenseite nahm CDU-Bundesvize Volker Bouffier teil, als hessischer Ministerpräsident von Hause aus Vertreter der Konservativen in der Union - oder dem, was von ihnen übrig geblieben ist. Auch der baden-württembergische Landeschef Thomas Strobl gehörte zu der Runde. Wie Bouffier hatte sich Strobl im Vorfeld des Parteitags vehement gegen eine einheitliche Lohnuntergrenze gestellt. Für die baden-württembergische Landwirtschaft wäre dies "eine Katastrophe", hatte er der "Schwäbischen Zeitung" gesagt.
Mit ausgehandelt wurde der Kompromiss übrigens von der rheinland-pfälzischen Landesvorsitzenden Julia Klöckner. Sie hatte demonstriert, wie eine Einigung beim Mindestlohn aussehen kann. Erst vor wenigen Tagen hatte ihr Landesverband einen Kompromiss vereinbart, dem sowohl CDU- und Attac-Mitglied Heiner Geißler als auch der Wirtschaftsliberale Friedrich Merz zustimmen konnten.
Mehr Europa, mehr Durchgriffsrechte
Lästige Debatten mit Modernisierungsverweigerern dürften Merkel nun also erspart bleiben. Denn bei der für viele Parteimitglieder so undurchsichtigen Europa- beziehungsweise Euro-Politik konnte sich die Basis schon auf sechs Regionalkonferenzen Luft machen. Merkel verbindet ihren Ruf nach "mehr Europa" mit dem Ziel, der EU Durchgriffsrechte gegen Schuldenstaaten zu geben - dass auch Deutschland damit nationale Souveränität an Brüssel abgeben würde, wird den Konservativen versüßt durch die Vorstellung, dass es derzeit eher Länder wie Griechenland und Italien wären, die unter Kuratel gestellt würden.
Anders als die CSU droht die CDU ausdrücklich nicht mit dem Rauswurf von Schuldenstaaten aus dem Euro. Die CDU strebt an, die europäischen Verträge so zu ändern, dass ein Austritt aus der Gemeinschaftswährung möglich ist, ohne dass ein Staat gleich die EU verlassen müsste - bisher ist nur der Austritt aus der EU, nicht aus dem Euro geregelt.
Kompromiss bei der Hauptschule
Auch der geplante Beschluss zur Zusammenlegung von Haupt- und Real- zur sogenannten Oberschule wurde auf mehreren Bildungskonferenzen sehr kontrovers diskutiert. Vor allem die baden-württembergische CDU hatte sich zunächst vehement gegen die Pläne von Bundesbildungsministerin Annette Schavan ausgesprochen. Nur weil die Übergangsquoten auf die Hauptschule etwas zurückgingen, müsse man die Hauptschule "doch deshalb um Gottes willen nicht gleich abschaffen", hatte Landeschef Strobl im August gesagt. Von ihrem eigenen Kreisverband Alb-Donau/Ulm war Schavan wegen ihres Vorstoßes nicht als Delegierte für den Bundesparteitag aufgestellt worden.
Doch auch hier gab es einen Kompromiss. Strobl setzte eine Sonderklausel im bildungspolitischen Antrag durch. Darin heißt es, die CDU trete für die Einführung des "Zwei-Wege-Modells" in allen Bundesländern ein. Neben dem Gymnasium soll es eine Oberschule geben, die allerdings weiterhin in einen Hauptschul- und Realschulzweig aufgeteilt bleiben soll. Dann der Zusatz: "Daneben respektieren wir integrative Systeme und funktionierende Haupt- und Realschulen vor Ort, wo dies dem Elternwillen entspricht." Der Antrag trage jetzt "eine klare baden-württembergische Handschrift", sagt Strobl nun.
Ebenfalls kein Streit ist beim Betreuungsgeld zu erwarten, der von der CSU durchgedrückten Herdprämie für Eltern, die ihre Kinder nicht in die Krippe schicken. Entsprechende Anträge dazu würden wahrscheinlich an die Bundestagsfraktion überwiesen, sagte Gröhe. Er deutete an, dass die Frauenunion, die das Betreuungsgeld ablehnt, dann zufrieden wäre, wenn die Anerkennung der Erziehungsleistung für die Rente ausgebaut werde. Die Zustimmung zum Zugeständnis an die CSU soll offenbar mit einem weiteren Zugeständnis erkauft werden. "Wir werden eine lebendige Debatte haben", hatte Gröhe der "Bild am Sonntag" gesagt. Daraus wird wohl nichts werden. Merkel hat es wieder geschafft.
Quelle: ntv.de