Akte Mundlos beim Geheimdienst MAD kannte den NSU-Terroristen
11.09.2012, 20:31 Uhr
MAD-Chef Birkenheier sieht den MAD zu Unrecht in der Kritik.
(Foto: dpa)
Noch ein Skandal im Fall NSU: Der militärische Nachrichtendienst MAD hatte den späteren Rechtsterroristen Uwe Mundlos schon in den 1990er Jahren im Visier. Doch all das kommt erst jetzt ans Licht. Ob seine Behörde zu spät informiert habe, sei "eine Frage der Wertung", meint Geheimdienstchef Birkenheier.
Die bösen Überraschungen bei der Aufklärung der Neonazi-Mordserie nehmen kein Ende: Nach den Pannen beim Verfassungsschutz gerät nun der militärische Nachrichtendienst MAD in Erklärungsnot. Es sind brisante Unterlagen aufgetaucht, wonach der Dienst bereits in den 1990er Jahren eine Akte über den späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos führte, diese aber verschwieg. Und: Die MAD-Leute sollen versucht haben, den damaligen Soldaten Mundlos als Informanten anzuwerben. All das tritt mehr oder weniger zufällig im NSU-Ausschuss zutage, die Abgeordneten sind fassungslos. Doch der MAD wiegelt ab.
Der Militärische Abschirmdienst ist der Inlandsgeheimdienstder Bundeswehr und neben Verfassungsschutz und BND der dritte deutscheNachrichtendienst auf Bundesebene. Mit seinen gut 1200 Mitarbeitern - zweiDrittel davon sind Soldaten - sammelt der MAD Informationen über extremistischeund sicherheitsgefährdende Bestrebungen innerhalb der Bundeswehr. Die Existenzdes MAD wurde jüngst wegen "Doppelstrukturen" mit den Geheimdienstendes Bundes und seiner Rolle bei der versuchten Anwerbung von V-Leuten in der ThüringerNeonazi-Szene in Frage gestellt.
Es ist die erste Sitzung für die parlamentarischen Aufklärer nach der Sommerpause. Schon am Morgen gerät die Tagesordnung aus den Fugen. Um zehn Uhr sollte die Sitzung eigentlich beginnen, doch Journalisten und Besucher stehen lange vor verschlossenen Türen. Um elf Uhr reihen sich die Obleute der Fraktionen vor den Mikros auf und schauen zerknirscht in die Kameras. Von einem Eklat ist die Rede, von einem echten Skandal und von einem unglaublichen Vorgang.
Was ist passiert? Eine unscheinbare parlamentarische Anfrage des Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele hat Erstaunliches zutage gebracht. Ströbele bohrte bei der Bundesregierung noch einmal nach, was der Militärische Abschirmdienst an Informationen über Mundlos hatte. Und er bekam die überraschende Auskunft, dass es - anders als bislang vermutet - eine Akte Mundlos beim MAD gab.
Der spätere NSU-Terrorist hatte zwischen 1994 und 1995 seinen Grundwehrdienst in einer Thüringer Kaserne geleistet und fiel damals mit seiner rechten Gesinnung auf. Er und fünf andere Soldaten verhielten sich damals auffällig, wurden etwa erwischt, als sie rechtsradikale Musik hörten.
MAD-Leute nahmen sich Mundlos vor, befragten ihn und legten eine Akte an. Informationen daraus gaben sie auch an das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt weiter. Doch den Untersuchungsausschuss erreichten die Unterlagen nicht. Der MAD löschte die Akten nach ein paar Jahren. Erst im März tauchte der Fall bei den Behörden wieder auf, weil die Verfassungsschützer aus Sachsen sich deswegen meldeten. Der MAD verfiel jedoch nicht in Hektik. Sechs Monate vergingen, bis die Parlamentsaufklärer nun davon erfuhren.
"Das muss Folgen haben"
Die Abgeordneten in dem Gremium sind empört über die Neuigkeiten, klagen über eine Missachtung des Parlaments. Noch für den Nachmittag zitieren sie den MAD-Präsidenten Ulrich Birkenheier in den Ausschuss. "Ich bin entsetzt", sagt der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD). Das müsse Folgen haben.
Kurz darauf geraten die MAD-Papiere in Umlauf. Darin wartet der nächste Aufreger: Die MAD-Leute sollen versucht haben, Mundlos als Informanten zu gewinnen. Demnach fragten sie ihn, ob er sich vorstellen könne, Informationen aus der rechten Szene zu liefern - zum Beispiel Anschlagspläne auf Asylbewerberheime. Mundlos lehnte ab.
Die Parlamentarier schütteln die Köpfe. "Das wirft viele Fragen auf", sagt der Grünen-Obmann Wolfgang Wieland. "Unsere Empörung wächst von Stunde zu Stunde, je mehr wir erfahren, was da los gewesen ist." Inzwischen ist MAD-Chef Birkenheier aufgetaucht, um den wütenden Abgeordneten Fragen zu beantworten - hinter geschlossenen Türen.
Um kurz nach sechs treten die Obleute wieder vor die Kameras. Birkenheier habe die Angaben bestätigt, sagt Edathy. Im Oktober soll es eine Sondersitzung geben, um den MAD-Chef noch einmal öffentlich als Zeugen zu befragen und den Aktenfund aufzuklären. Edathy spricht von einem gravierenden Versäumnis.
Birkenheier will davon nichts wissen. Er steht ein paar Meter weiter und lauscht den Abgeordneten. Dann erklärt auch er sich, bestätigt viele der Details und spult die zeitliche Abfolge des Vorfalls ab. Er sieht den MAD zu Unrecht in der Kritik. Der Geheimdienst habe Mundlos sicher nicht als Informanten anwerben wollen, sagt er. Man habe nur sehen wollen, wie sehr er noch in der Szene verankert sein. Und die späte Aktenlieferung? "Es ist eine Frage der Wertung, ob es zu spät ist oder nicht", entgegnet er knapp. Der MAD-Mann wird sich noch einigen Fragen stellen müssen.
Quelle: ntv.de, dpa