Fiskalpakt kommt durchs Parlament Merkel hat das Ja von Rot-Grün
21.06.2012, 11:07 Uhr
Kanzlerin Merkel muss einige Kröten schlucken.
(Foto: AP)
Im Kanzleramt verhandeln Merkel und die Fraktionsspitzen im Bundestag über ein Ja zu Fiskalpakt und ESM. Weil die Zeit drängt, ist Schwarz-Gelb zu Zugeständnissen gezwungen. So will die Regierung in Europa eine Börsensteuer einführen - auch wenn nicht alle mitmachen. Nach der Zustimmung im Bundestag muss Merkel jetzt noch die Länder überzeugen.
Die schwarz-gelbe Koalition hat sich mit SPD und Grünen beim umstrittenen europäischen Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin geeinigt. SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte, man habe sich im Gegenzug auf ein Maßnahmenpaket für Wachstum und Beschäftigung geeinigt. Besonders viel tun müsse man im Bereich Jugendarbeitslosigkeit und Finanzmarktregulierung. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte, das Paket beinhalte eine Finanztransaktionssteuer, die notfalls auch nur mit einzelnen EU-Staaten kommen soll. Er empfehle seiner Fraktion eine Zustimmung zum Fiskalpakt.
Auch die Grünen sind mit dem Kompromiss zufrieden. Partei-Chef Cem Özdemir sagte, die Einführung der Börsensteuer solle der Einigung zufolge "sofort in Angriff genommen werden". Fraktionschef Jürgen Trittin sagte, mit der Einigung sei eine "ideologische Blockade gegen die Einbeziehung der Finanzmärkte" bei der Bewältigung der Finanzkrise durchbrochen worden. Eine Verständigung auf den vor allem von den Grünen geforderten Altschulden-Tilgungsfonds gab es allerdings nicht.
Die Regierungskoalition ist indessen bemüht darum, die Einigung nicht wie eine Niederlage aussehen zu lassen. Unionsfraktionschef Volker Kauder sagte: "Ich lasse mich auf Triumphgeheul, wer sich gegen wen durchgesetzt hat, nicht ein. Das Entscheidende ist, dass wir die richtigen Antworten auf die Finanzmärkte geben." Er plädiere dafür, "parteipolitische Interessen zurückzustellen. Wir haben alle miteinander das Interesse, den Euro zu stabilisieren. Das ist das, was wir jetzt geschafft haben."
Mit der Einigung geht ein wochenlanges Tauziehen zu Ende. Im Kanzleramt hatten Regierung und Opposition nun ein vorerst letzte Mal über die Bedingungen für eine Zustimmung verhandelt. Erste Details der Einigung sind bereits bekannt. In einem Entwurf für ein gemeinsames Papier von Regierung und den Fraktionen des Bundestags verpflichtet sich Schwarz-Gelb auf eine rasche Einführung einer Finanzmarksteuer in Europa. Das Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene dazu solle "möglichst bis Ende des Jahres 2012 abgeschlossen werden" können.
Des Weiteren enthält das Papier auch Vereinbarungen für Wachstumsimpulse, zusätzliche Investitionen und Arbeitsplätze in Europa. Kanzlerin Merkel läuft die Zeit davon. Erklärtes Ziel von Schwarz-Gelb ist es, den europäischen Fiskalpakt und den permanenten Euro-Rettungsschirm ESM noch vor dem nächsten EU-Gipfel durch die Parlamente zu bringen. Schließlich will man den anderen Europäern zeigen, dass Deutschland beim Sparen vorangeht. Das heißt: Bis zum 29. Juni sollen Bundestag wie Bundesrat die Verträge ratifiziert haben, damit sie zum 1. Juli rechtskräftig werden können.
Investionsbank wird gestärkt
Deshalb soll das Papier schon am 27. Juni vom Kabinett beschlossen werden. Da eine Zustimmung aller 27 EU-Mitgliedsländer für eine Finanztransaktionssteuer nicht erreichbar sei, will die Regierung dem Papier zufolge beim EU-Gipfel Ende Juni einen Antrag auf Einführung einer solchen Steuer mit weniger Ländern stellen.
Weiter heißt es im Papier, die Steuer solle möglichst alle Finanzinstrumente umfassen sowie "mit einer breiten Bemessungsgrundlage bei einem niedrigen Steuersatz" eingeführt werden. Ausweichreaktionen sollten vermieden werden.
Die Bundesregierung sagt erneut ihren Einsatz für eine Stärkung der Europäischen Investitionsbank um zehn Milliarden Euro zu. Sie will erreichen, dass alle EU-Staaten mitziehen. Deutschland dürfte die Aufstockung dem Vernehmen nach bis zu 1,6 Milliarden Euro kosten. Insgesamt könnten mit dem Schritt Investitionen in Höhe von 180 Milliarden Euro finanziert werden, heißt es unter Bezug auf die EU-Kommission.
Linke will Karlsruhe anrufen
Mit der Zustimmung von Rot-Grün ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Auch die Länder haben erheblich Bedenken was die Verteilung der Lasten eines verschärften Sparregimes anbetrifft. Und auch im Bundesrat, wo die Länder mitbestimmen, braucht Merkel eine Mehrheit. Am Sonntag sollen nun die abschließenden Gespräche mit der Länderseite stattfinden.
Auch juristisch kann es noch Ärger geben. Denn sobald die Pläne verabschiedet sind, will die Linksfraktion das Bundesverfassungsgericht anrufen und so die Unterzeichnung des Gesetzes durch Bundespräsident Joachim Gauck stoppen. Linken-Chefin Katja Kipping sagte, der Kompromiss sei "für die Linke nicht zustimmungsfähig". Der Fiskalpakt enthalte "Kürzungs- und Verarmungsprogramme" und lasse viele Hintertüren offen.
Auch die ehemalige SPD-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin, deren Verfassungsklage gegen den Fiskalpakt sich schon mehr als 12.000 Bürger angeschlossen haben, will das Gericht demnach um eine einstweilige Anordnung ersuchen. Die Kritiker bemängeln, dass mit den Plänen die Haushalts- und Kontrollrechte des Bundestags beschnitten würden. Es kann also noch ein heißer Sommer werden für Kanzlerin Angela Merkel.
Quelle: ntv.de, jog/dpa/AFP