Politik

Wieczorek-Zeul kritisiert Entwicklungspolitik "Merkel macht 'Business as usual'"

Armutsbekämpfung: Dank der Milleniumsziele gab es auch Fortschritte, meint Wieczorek-Zeul.

Armutsbekämpfung: Dank der Milleniumsziele gab es auch Fortschritte, meint Wieczorek-Zeul.

(Foto: dpa)

Die frühere Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul kritisiert die Rolle der Bundesregierung im weltweiten Kampf gegen Armut. Bei der derzeit laufenden UN-Konferenz in New York fehle die treibende Kraft. "Früher war das Europa und dabei vor allem Deutschland. Aber heute wird gehandelt, als ginge es um 'Business as usual'." Kritik übt sie vor allem an ihrem Nachfolger, FDP-Minister Dirk Niebel: "Entwicklungspolitik darf sich nicht zur Exportförderungspolitik degradieren lassen." Mit Blick auf die deutschen Ambitionen auf einen Sitz im UN-Sicherheitsrat sagt die SPD-Politikerin: "'Entwicklungshilfe' als Mittel zu anderen Zwecken ist immer der falsche Weg."

n-tv.de: Der UN-Gipfel in New York zieht eine Zwischenbilanz, wie weit die Welt bei der Umsetzung der Millenniumsziele gekommen ist. Wie sollte die Bilanz Ihrer Ansicht nach aussehen?

Heidemarie Wieczorek-Zeul: Es hat in einer Reihe von Feldern große Fortschritte gegeben, die es ohne die Festlegung auf die Millenniumsentwicklungsziele nicht gegeben hätte. Beispielsweise beim Zugang zu sauberem Trinkwasser oder bei den Einschulungsraten, die sich gerade in den ärmsten Regionen, wie in Subsahara-Afrika, positiv entwickeln. Durch die Fortschritte im Gesundheitsbereich, wie Masernimpfungen, HIV-Vorsorge für schwangere Frauen und die Verbreitung von Moskitonetzen gegen Malaria, konnte die Kindersterblichkeit bis heute um ein Drittel reduziert werden, die Fortschritte bei der Bekämpfung von HIV/Aids sind deutlich!

Doch zu dieser Bilanz gehört auch, dass die Finanzmarktkrise in ihren ökonomischen Auswirkungen viele Länder zurückgeworfen hat und dass viele Länder - gerade die in Subsahara-Afrika - viele der Ziele nicht erreichen werden, wenn die Geberländer sich bei der jetzt laufenden Konferenz der Vereinten Nationen hier in New York nicht auf einen Aktionsplan einigen können. Es fehlt hier die treibende Kraft. Früher war das Europa und dabei vor allem Deutschland. Aber heute wird gehandelt, als ginge es um "Business as usual". Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, mahnt zu recht, dass die Millenniumsziele ein Versprechen sind, das die Staats- und Regierungschefs dieser Welt gegeben haben und für dessen Einhaltung sie haftbar sind.

Deutschland steigert die Entwicklungshilfe auf 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, versprochen hatten die Industrieländer 0,7 Prozent. Bundeskanzlerin Merkel sagt, Deutschland stehe zu den Millenniumszielen. Dennoch soll ab 2012 im Entwicklungsetat gespart werden. Wie geht das zusammen?

"Keine treibende Kraft": Die Bundesregierung vergesse wichtige Ziel, meint die Ex-Entwicklungsministerin.

"Keine treibende Kraft": Die Bundesregierung vergesse wichtige Ziel, meint die Ex-Entwicklungsministerin.

(Foto: dpa)

Gar nicht. Die Bundesregierung hat bislang weder den notwendigen Ehrgeiz gezeigt noch die entscheidenden Zusagen gemacht, um Deutschlands Beitrag zum Erreichen der Ziele bis 2015 finanziell abzusichern und das Ansehen Deutschlands als internationalen Partner zu sichern. Sie muss sich auch der Signalwirkung des deutschen Vorgehens bewusst sein, das mit den aktuellen Zusagen für Entwicklungszusammenarbeit weit unter dem europäischen Durchschnitt liegt. Tricks, bereits zugesagte europäische Mittel als neue zu deklarieren, helfen da auch nicht.

Um die Millenniumsziele erreichen zu können, braucht es jetzt zusätzliches Geld für die Armutsbekämpfung und die Bekämpfung des Klimawandels, zum Beispiel durch die Einführung einer internationalen Finanztransaktionssteuer. Besonders skandalös ist, dass die Bundesregierung die Finanzierung des "Globalen Fonds zur Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria" nach 2011 einstellen will. Durch ihn konnten bislang 5,7 Millionen Menschen gerettet werden.

Die Kanzlerin will in New York dafür werben, dass Hilfe verstärkt an Ergebnisse gekoppelt wird. Was halten Sie davon?

Das Prinzip der Ergebnisorientierung ist für mich nichts Neues. Die Millenniumsentwicklungsziele waren ja auch eine solche und ich habe sie in vielen konkreten Programmen eingebaut. Bei jeder Entwicklungszusammenarbeit muss darauf geachtet werden, dass in den Programmen bereits die Ergebnisorientierung angelegt ist.

Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel sagt, die Bundesregierung wolle "dafür sorgen, dass es interessant ist, in Entwicklungs- und Schwellenländern zu investieren". Sind das die richtigen Prioritäten?

Schon seit Jahrzehnten sprechen wir nicht mehr von Entwicklungshilfe, sondern von Entwicklungszusammenarbeit. Und in dieser begrifflichen Unterscheidung lässt sich auch die entscheidende Priorität ablesen: Wir wollen mit den Entwicklungs- und Schwellenländern im Kampf gegen Armut, Krankheit und Hunger zusammenarbeiten.

Entwicklungsländer brauchen für ihre wirtschaftliche und soziale Entwicklung Investitionen, die vor allem die Armen erreichen. Sie brauchen aber auch Finanzmittel, die dazu beitragen, dass soziale Sicherungsnetze und Schulen aufgebaut werden. Entwicklungspolitik darf sich nicht zur Exportförderungspolitik degradieren lassen.

Heidemarie Wieczorek-Zeul war von 1998 bis 2009 Bundesentwicklungshilfeministerin. Sie nimmt am Milleniumsgipfel in New York teil.

Heidemarie Wieczorek-Zeul war von 1998 bis 2009 Bundesentwicklungshilfeministerin. Sie nimmt am Milleniumsgipfel in New York teil.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Schon vor 10 Jahren ging es beim Millenniumsgipfel um einen deutschen Sitz im Sicherheitsrat, in diesem Jahr wieder. Trügt der Eindruck, dass Entwicklungshilfe nur selten oben auf der Agenda steht?

Ich war vor zehn Jahren mit Bundeskanzler Gerhard Schröder beim Millenniumsgipfel. Gerhard Schröder hat an der Millenniumskonferenz gerade wegen seines entwicklungspolitischen Engagements teilgenommen. Insofern ist diese Annahme falsch. "Entwicklungshilfe" als Mittel zu anderen Zwecken ist immer der falsche Weg.

Mit Heidemarie Wieczorek-Zeul sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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