Karlsruhe entscheidet Neuner-Gremium unzulässig
28.02.2012, 10:19 Uhr
Voßkuhle (2.v.l.) verkündet das Urteil.
(Foto: REUTERS)
Es geht um die grundsätzliche Frage: Inwieweit muss der Bundestag an Eilentscheidungen zur Euro-Rettung beteiligt werden? Das Verfassungsgericht stellt klar, dass ein kleines Gremium nicht die "haushaltspolitische Verantwortung des Bundestags" ersetzen darf. Der SPD-Haushaltsexperte Schneider sieht die Regierung vor einem "Scherbenhaufen".
Das Sondergremium im Bundestag zur Eurorettung besteht aus neun Parlamentariern: drei Vertretern der Unionsfraktion, je zwei Vertretern der FDP und SPD und je einem Abgeordneten von Grünen und Linke. Für die Fraktion der CDU/CSU sitzen Norbert Barthle, Bartholomäus Kalb und Michael Stübgen in dem sogenannten Neuner-Gremium, für die SPD-Fraktion Lothar Binding und Carsten Schneider, für die FDP-Fraktion Otto Fricke und Michael Link, für die Linke Dietmar Bartsch und für Bündnis 90/Die Grünen Priska Hinz.
Das Gremium, für dessen Einsetzung der Bundestag mit breiter Mehrheit gestimmt hatte, soll in aller Eile Milliardenhilfen aus dem deutschen Anteil des Euro-Rettungsschirm absegnen können. Aus Sicht der Bundesregierung soll das Gremium möglichst klein sein, damit es schnell und vor allem geheim entscheiden kann. Langatmige öffentliche Plenar-Debatten über Hilfspakete für marode Euro-Staaten würden den Finanzmärkten ansonsten Zeit für Zinsspekulationen geben, und "Notmaßnahmen zur Verhinderung von Ansteckungsgefahren" würden ins Leere laufen, heißt es im Regierungslager.
Das Bundesverfassungsgericht hält das neunköpfige Sondergremium im Bundestag zur Eurorettung für nicht verfassungsgemäß. Für ein solches Gremium, das in besonders eiligen oder vertraulichen Fällen anstelle des gesamten Bundestagsplenums oder des Haushaltsausschusses zum europäischen Rettungsschirm entscheiden soll, sei keine "verfassungsrechtliche Rechtfertigung erkennbar", sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bei der Urteilsverkündung in Karlsruhe.
Die Regelung schließe die nicht im Sondergremium vertretenen Abgeordneten von wesentlichen, die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages berührenden Entscheidungen in vollem Umfang aus. Damit bewirke es eine Ungleichbehandlung hinsichtlich der aus dem Abgeordnetenstatus folgenden Mitwirkungsbefugnisse im Rahmen der parlamentarischen Arbeit.
Das sogenannte Neuner-Gremium sollte in aller Eile Milliardenhilfen aus dem deutschen Anteil des Euro-Rettungsschirm absegnen können. Aus Sicht der Bundesregierung sollte das Gremium möglichst klein sein, damit es schnell und vor allem geheim entscheiden kann.
Demgegenüber hält Karlsruhe das Sondergremium beim EFSF-Anleihenkauf für zulässig. "Hier ist die Übertragung von Entscheidungskompetenzen auf das Sondergremium ausnahmsweise aus Gründen der besonderen Vertraulichkeit gerechtfertigt, da ein Bekanntwerden auch nur der Planung einer solchen Notmaßnahme geeignet wäre, den Erfolg derselben zu vereiteln", sagte Voßkuhle.
Gegen das Sondergremium geklagt hatten die beiden SPD-Bundestagsabgeordneten Peter Danckert und Swen Schulz.
Barthle erleichert
Der haushaltspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Norbert Barthle, zeigte sich erleichtert, dass das Gremium zumindest bei Sekundärmarktkäufen verfassungsgemäß sei. Nach der Prüfung der Urteilsgründe würde das Gesetz selbstverständlich geändert. Bundestagspräsident Norbert Lammert erwartet, dass sich die Fraktionen rasch auf eine Neuregelung für das Verfahren beim Eurorettungsschirm verständigen. "Der Korridor dafür ist durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorgegeben", sagte der CDU-Politiker. Die Karlsruher Richter hätten nicht das ganze Verfahren verworfen, sondern lediglich die Sonderregelung, bestimmte Entscheidungen an einen kleinen Kreis von Abgeordneten zu delegieren.
Der SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider sagte dagegen, es habe schon während der Gesetzgebung erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit gegeben, die die Koalition aber beiseitegewischt habe: "Heute steht die Koalition deshalb vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik."
Die haushaltspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Priska Hinz, sagte: "Es ist eine gute Nachricht, dass das Vertrauensgremium bei Sekundärmarktankäufen verfassungskonform ist." Damit könne dieses Instrument zur Bekämpfung der Euro-Krise im Notfall tatsächlich eingesetzt werden: "Dies war auch der wichtigste Grund für die Einsetzung dieses Gremiums." Nun müsse das Urteil gründlich ausgewertet und das Gesetz entsprechend angepasst werden.
Deutschland garantiert mit bis zu 211 Milliarden Euro für den EFSF, der Euro-Ländern mit bis zu 440 Milliarden Euro beispringen kann. Unter anderem kann er gegen strenge Auflagen Rettungskredite vergeben, bei der Bankenrekapitalisierung helfen oder durch den Kauf von Staatsanleihen deren Kurse an den Börsen stabilisieren. Der EFSF stützt bereits Irland und Portugal. Auch das zweite Hilfspaket für Griechenland, das der , soll vom EFSF finanziert werden.
Quelle: ntv.de, ghö/dpa/rts/DJ