Politik

Expertin Kempin zu Scholz-Besuch "Paris ist erfreut über diesen Kanzler"

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Macron empfing den neuen Kanzler Scholz am Mittag am Elysée-Palast.

(Foto: REUTERS)

Seine erste Auslandsreise führt Bundeskanzler Scholz nach Paris. Dort trifft er auf einen Präsidenten, der Merkel womöglich noch nachtrauert. Dennoch ist die französische Regierung ganz froh über seine Wahl. Worauf Scholz achten muss, sagt die Frankreich-Expertin Ronja Kempin von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Gespräch mit ntv.de.

ntv.de: Hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wohl das Ende der Ära Merkel schon überwunden?

Ronja Kempin: In der Tat dürfte Macron den Abschied Merkels mit einem weinenden Auge verfolgen. Auch wenn es lange gedauert hat, bis er und die Bundeskanzlerin zusammenfanden. Die beiden passten lange überhaupt nicht zusammen. Die erfahrene Bundeskanzlerin, die einen zurückhaltenden Politikstil pflegte und eher abwartete, traf auf einen französischen Präsidenten, der jung und dynamisch war und die Welt aus den Angeln heben wollte. Das klappte lange Zeit gar nicht. Bis zur Corona-Krise. Dann haben sich beide Seiten zusammengerauft und den Wiederaufbaufonds für die EU aufs Gleis gesetzt. Das hat das Eis gebrochen.

Wie wichtig ist die persönliche Ebene überhaupt?

Interessanterweise ist sie im deutsch-französischen Verhältnis immer noch ganz zentral. Wir haben zwar auf der einen Seite mit Frankreich Beziehungen, die enger sind als zu jedem anderen Land auf der Welt. Auf der anderen Seite liegen wir aber in so vielen Politikfeldern inhaltlich auseinander. Und daher ist es ungeachtet dieser engen Verbundenheit immer ganz entscheidend, dass die beiden Staatenlenker zueinanderfinden. Nur wenn die beiden eine gute Arbeitsbeziehung und Vertrauen zueinander haben, entsteht Raum für Kompromisse. Dann gelingt es dem deutsch-französischen Motor auch, Konsens in der EU zu schmieden.

Wie gut kennen sich die beiden denn schon?

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Ronja Kempin ist Senior Fellow an der Stiftung Wissenschaft und Politik. In dieser Funktion beriet sie 2014 das Auswärtige Amt. Sie lehrt an der Freien Universität Berlin.

Die kennen sich schon eine ganze Zeit. Scholz ist ja kein Neuankömmling auf der politischen Bühne. Paris ist, glaube ich, sehr erfreut über diesen neuen deutschen Bundeskanzler. Aus Sicht Frankreichs ist da eine gute Wahl getroffen worden.

Weil es in der SPD viele Stimmen gibt, dass man auf die Initiativen und Forderungen Macrons stärker eingehen sollte?

Wenn man die Regierung führt, ist es sicherlich noch einmal etwas anderes. Aber im Koalitionsvertrag sind einige Passagen enthalten, die Frankreich sehr gut gefallen. Zum Beispiel zur differenzierten Integration. Also der Möglichkeit, mit einer Gruppe von Staaten im Integrationsprozess voranzuschreiten. Das ist eine Forderung, die Präsident Macron schon 2017 in seiner Sorbonne-Rede aufgestellt hat. Er lag immer mit Angela Merkel über Kreuz in dieser Frage.

Wie werden die neuen deutschen Klimaschutzpläne gesehen? Zur Atomkraft hat Frankreich ja eine ganz andere Haltung.

Frankreich pocht darauf und wird es auch durchbekommen, dass die Kernenergie als grüne Energie in der EU anerkannt wird und damit auch Fördergelder aus Brüssel fließen werden. Das Beharren der französischen Regierung darauf ist auch mit den steigenden Energiepreisen zu erklären. Macron hat einfach Angst, dass ihm wieder innenpolitische Proteste drohen. Die Proteste der Gelbwesten entzündeten sich ja an den hohen Spritpreisen. Deswegen ist die Kernenergie auch ein wichtiges politisches Instrument, um die Haushalte finanziell zu entlasten.

Merkel wurde von manchen vorgehalten, sie sei "nur" eine Krisenmanagerin gewesen und habe wenig gestaltet. Ist es nicht schon ein Fulltime-Job die EU so zusammenzuhalten wie sie ist? Stichwort Brexit, Stichwort Ungarn, Stichwort Polen?

Ich gebe Ihnen auf der einen Seite Recht. Wir sind in der EU spätestens seit 2008 mit der Schuldenkrise nicht mehr aus dem Krisenmodus herausgekommen. Gleichzeitig sehen wir, dass dieses Bemühen um den Zusammenhalt der EU die berühmten Fliehkräfte nicht hat einhegen können. Nur das Managen des Status Quo weist der EU keinen Weg in die Zukunft. Das heißt auch, dass sich die neue deutsche Regierung stärker mit Frankreich ins Benehmen setzen muss über die Themen, bei denen man gemeinsam voranschreiten kann.

Geht es da eher um Digitalisierung und Klimaschutz oder um die Verfasstheit der EU?

Die Verfasstheit der EU ist vielleicht das größte Thema. Es geht auch um die Frage, ob wir bereit sind, die europäischen Verträge noch einmal zu verändern. Zum Beispiel, ob wir bereit sind, im Feld der Außen- und Sicherheitspolitik vom Prinzip der Einstimmigkeit abzulassen und zu Mehrheitsentscheidungen überzugehen und vielleicht auch Gruppenbildungen zu ermöglichen. Also es auch vertraglich zuzulassen, dass Gruppen, die mehr Integration wagen wollen, das auch dürfen.

Macron möchte auch, dass die Europäer unabhängiger von den USA werden. Wie realistisch ist eine gemeinsame Armee?

In den nächsten Jahren nicht besonders. Dafür sind die Mitgliedstaaten zu wenig bereit, ihre nationalen Souveränitäten aufzugeben. Frankreich ist daran gelegen, dass die EU in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik handlungsfähiger ist. Es sieht die Gefahr, dass Europa sich nicht mehr auf die USA verlassen kann. Und dass wir zum Spielball der Großmächte, aber auch regionaler Mächte wie Russland und der Türkei werden.

Präsident Biden will einen Sicherheitsdialog mit Russland beginnen. Werden damit Deutschland und Frankreich links liegen gelassen?

Man muss schon sagen, dass die EU und ihre zentralen Mitgliedsländer Deutschland und Frankreich außen vor gelassen werden.

Das kann man ja als Bestätigung der Befürchtung Frankreichs verstehen.

Ich denke, dass die Franzosen da schon einen Nerv getroffen haben. Sie sind sicherheitspolitisch immer ein bisschen umtriebiger. Das ist auch in ihrer Geschichte begründet. Sie sind nun einmal ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates, sie verfügen über Atomwaffen. Sie haben den Anspruch in ihrer DNA, Weltpolitik mitzugestalten. Sie merken, dass sie das allein nicht mehr schaffen, und ihre Mittel, vor allem finanziell, begrenzt sind, um mit den USA und China noch mitzuhalten. Sie wissen, dass ihnen das nur gelingt, wenn die Europäer ihre Kräfte stärker bündeln.

Wie sehen Sie Macrons Chancen auf eine Wiederwahl?

Das ist eine schwierige Frage. Die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr sind offener als wir das noch vor einem halben Jahr gedacht hätten. Das liegt daran, dass es zwei interessante neue Kandidaten gibt. Auf der einen Seite, die konservative Herausforderin Valerie Pécresse, die sehr beliebt ist, und auf der extremen Rechten mit Eric Zemmour und Marine Le Pen zwei Bewerber, die sich möglicherweise die Stimmen gegenseitig wegnehmen.

Welche Fehler sollte Scholz vermeiden, wenn er nun nach Paris kommt?

Er muss einen Spagat hinkriegen. Einerseits muss er sagen: Wir sind an der Seite Frankreichs, wenn es um die EU-Ratspräsidentschaft Frankreichs geht. Er muss also eine sehr proeuropäische Haltung einnehmen. Gleichzeitig weiß man aber, dass Macron die Ratspräsidentschaft nutzen wird, um seine eigene Position im Präsidentschaftswahlkampf zu verbessern. Und da ist Neutralität geboten: Frankreich hat sich auch nicht in unseren Wahlkampf eingemischt. Es ist also eine schmaler Grat: Macron zuzustimmen, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, ihn im französischen Wahlkampf zu unterstützen.

Mit Ronja Kempin sprach Volker Petersen

Quelle: ntv.de

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