Parteitag in Neumarkt Piraten richten sich in der Blockade ein
13.05.2013, 12:34 Uhr
Brett vorm Kopf? Nein, diesem Piraten geht es um Anonymität.
(Foto: dpa)
Kopieren ist in der Piratenpartei explizit erlaubt. Aber anstatt sich bei funktionierenden Konzepten etwas abzuschauen, wollen die Piraten die Demokratie neu erfinden. Weitergekommen sind sie dabei bislang nicht. Im Gegenteil.
Eine ganze Zeit lang sah es so aus, als sei die Piratenpartei gereift. Wirklich erwachsen wirkte sie auf ihrem Parteitag im bayerischen Neumarkt noch nicht, aber doch deutlich weniger chaotisch als im vergangenen Jahr. Die anwesenden Mitglieder verabschiedeten einen Programm-Baustein nach dem anderen, die Sitzung war straff organisiert, die Beschäftigung mit sich selbst hatte eine Pause. "Uns kann man wählen", lautete die Botschaft. Eine Partei mit deutlich ausgeweitetem Programm und einer gezähmten Debattenkultur präsentierte sich da.
Die Idee der SMV: Regelmäßig werden über das Internet Fragen zur Abstimmung gestellt, die jedes Mitglied beantworten kann. Wer sich überfordert fühlt oder sich für gewisse Themen nicht interessiert, kann seine Stimme delegieren. Auch das Weitergeben fremder Stimmen ist erlaubt. So entsteht ein Netz aus Delegierten, die auch zu plötzlich auftretenden Fragen schnell eine Position entwickeln können - ganz ohne reale Treffen. Schon jetzt nutzt die Partei ein Forum namens "Liquid Feedback", das nach diesem Prinzip funktioniert. Der Unterschied: Die Beschlüsse der "Liquid Feedback"-Plattform sind nicht bindend. Auch deswegen nutzen nur wenige Piraten diese Möglichkeit. (che)
Hat es die Piratenpartei geschafft, eine neue Form der Basisdemokratie zu etablieren? Wer dieser Meinung war, wurde bald eines Besseren belehrt. Als es ernst wurde, stürzten die Mitglieder den Parteitag ins Chaos. Die einen warfen der Versammlung durch Verzögerung absichtlich Steine in den Weg, andere hielten mit längst geklärten Verfahrensfragen die Debatte auf. Viele sprechen von der "epischsten Geschäftsordnungsschlacht aller Zeiten", die da stattgefunden hat.
Es ging um die "Ständige Mitgliederversammlung". Obwohl für dieses Thema ursprünglich viel Zeit auf dem Parteitag reserviert worden war, schafften es die Piraten, es bis ganz zum Schluss immer weiter zu vertagen - und dann denkbar knapp abzulehnen.
Dabei zeigte sich, dass die Piratenpartei noch immer unfähig ist, zu Kompromissen zu kommen. Wer seine eigenen Vorstellungen nicht durchsetzen kann, blockiert alles andere. Will sich jemand vorstellen, wie diese Partei sich in Koalitionsverhandlungen verhalten würde? Bitte nicht!
Und doch sparen die Piraten nicht mit Häme über die angeblich undemokratischen anderen Parteien. Über die Grünen sagte Parteichef Bernd Schlömer: "Ich sehe bei ihren Parteitagen keine Basisdemokratie; es sind Versammlungen von Delegierten - mit abnehmender demokratischer Tendenz." Die Konkurrenten hätten sich in einer "Wohlfühlblase des Delegiertensystems" eingerichtet. Dabei wurde mehr als deutlich, dass die Piratenpartei eben noch keine Alternative zu diesem geschmähten Delegiertensystem gefunden hat. Statt einer "Wohlfühlblase" hat sie nur eine Kultur der Selbstblockade zu bieten.
Der gescheiterte Antrag für eine "Ständige Mitgliederversammlung" hätte das Potenzial gehabt, die Alternative zu sein. Er hätte Abstimmungen über das Internet ermöglicht und den Debatten damit den Zeitdruck genommen. Die Ablehnung barg dagegen die Gefahr, dass sich viele gute Politiker aus der Partei zurückziehen. Nur weil das Ergebnis so knapp war, ist das nun nicht zu erwarten - viele hoffen schlicht darauf, dass die Mitglieder auf dem nächsten Parteitag etwas mutiger sein werden.
Bis dahin liegt die digitale Demokratie in einer unsicheren Zukunft. Genauso wie die Wählbarkeit der Piratenpartei.
Quelle: ntv.de