Wählervergraulung durch Beliebigkeit SPD verliert den Anschluss
28.03.2011, 14:20 UhrDie SPD feiert Siege, die bestenfalls als solche empfunden werden können, weil Schlimmeres erwartet wurde. Um die eigentliche Neuorientierung mogeln sich die Sozialdemokraten so herum und verspielen damit die Chance auf künftige Wahlsiege.
Stell dir vor, es waren Wahlen und kaum einer spricht von der SPD. So könnte man das Dilemma der Sozialdemokraten nach diesem Wahlsonntag vielleicht formulieren. In Rheinland-Pfalz ist die Partei mit 35,7 Prozent der Stimmen immerhin stärkste Partei geworden, Landesvater Kurt Beck kann weiterregieren, wenn auch künftig nur in einer Koalition mit den Grünen. Doch beinahe 10 Prozent weniger Stimmen im Vergleich zu den Wahlen 2006 dürften schmerzen und müssten den Sozialdemokraten zu denken geben.
In Baden-Württemberg wird die SPD mit 23,1 Prozent gar nur noch drittstärkste Kraft hinter der CDU (39 Prozent) und den Grünen (24,2 Prozent). Positiv gesehen verlor die Partei lediglich 2 Prozent der Stimmen. Allerdings bedeutet das das schlechteste Ergebnis seit Gründung des Bundeslandes 1952. Zudem wird es auf eine Regierungsbeteiligung der Sozialdemokraten hinauslaufen, allerdings unter dem völlig neuen Vorzeichen Grün-Rot. Die SPD als Juniorpartner der zu neuer Stärke gekommenen Grünen, wer jetzt Koch und wer Kellner ist, ist eindeutig. Daran ändert auch das Statement des SPD-Kandidaten Nils Schmid nichts, der glaubt, "es wird eine Regierung auf Augenhöhe sein". Die Generalsekretärin Andrea Nahles assistiert aus Berlin mit der Feststellung: "Wir haben zwei klare Regierungsaufträge für Sozialdemokraten und Grüne."
Erodierende Umfragewerte
Das mag zwar prinzipiell stimmen, kaschiert aber nur notdürftig, dass die SPD ihren Selbstfindungsprozess noch lange nicht abgeschlossen hat. In den Sonntagsfragen waren die Erben von Willy Brandt im Februar sogar unter das historisch schlechte Ergebnis der Bundestagswahlen von 2009 gefallen und lagen bei nur noch 22 Prozent. Danach kamen der Guttenberg-Rücktritt und die ermutigende Bürgerschaftswahl in Hamburg, nach der es die Sozialdemokraten zwischenzeitlich auf Umfragewerte von sogar 27 Prozent brachten. Seitdem bröckelt aber wieder Prozentpunkt um Prozentpunkt ab, eine Entwicklung, die die Strategen im Willy-Brandt-Haus mit Sorge sehen dürften.
Der Berliner Parteienforscher Gero Neugebauer sieht die Situation der SPD denn auch langsam als bedrohlich an. Noch immer sei es der Partei nicht gelungen, sich auf ihre Kernthemen zu besinnen, "vor allem auf das Thema soziale Gerechtigkeit", sagt Neugebauer im Gespräch mit n-tv.de. Zudem gehe es darum, Kompetenzen hinzuzugewinnen, "vor allem Wirtschaftskompetenz".
Freund-Feind Grüne
Im Verhältnis zu den Grünen liegen gleichermaßen Gefahren wie Chancen. Bisher konnte sich die SPD den Grünen gegenüber als Seniorpartner fühlen. Neugebauer gibt jedoch zu bedenken, dass die Zeiten vorbei sein könnten, in denen Koalitionen aus einer großen und einer kleinen Partei gemacht werden. "Kleine Parteien werden groß, manche, wie die Linke, bleiben auch klein." Wie die SPD in Koalitionen auf Augenhöhe für eigene Inhalte einstehen will, ist bisher noch nicht deutlich geworden. Neugebauer warnt die Sozialdemokraten eindringlich davor, sich nun als Umweltpartei zu gerieren. Das könne dem Wähler nur unglaubwürdig erscheinen, zumal der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel sich bisher selbst mit seiner Vergangenheit als Umweltminister nicht wirklich eindeutig zum Ausbau erneuerbarer Energien und zur Abkehr von fossilen Brennstoffen bekannt hat.
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier streitet langfristige Strukturveränderungen im deutschen Parteiensystem noch ab, spricht vom Japan-Effekt und sieht ansonsten vor allem Union und FDP in der Pflicht zu handeln. Doch die SPD blendet damit nur aus, mit welch massiven Problemen sie zu kämpfen hat. Trotz einer Mitgliederoffensive ist es bisher kaum gelungen, neue Genossen zu werben. Während den Grünen die Mitglieder wie von selbst zulaufen, fehlen der SPD weiter Identität stiftende Themen, die sie kompetent besetzen kann. Neugebauer sieht vor allem die Bildungs- und die Familienpolitik sowie die Gesundheitspolitik, die sich dafür anbieten. "Prinzipiell erwarten die Wähler von der SPD eine Politik der sozialen Gerechtigkeit, die auch für andere Kernwerte wie Solidarität eintritt, wenn sie die bedroht sieht." Da habe die Partei einiges nachzuholen.
Neue Wahl, neue Chance?
Das Image der SPD ist zu altbacken, geradezu unmodern. Selbst bei gutwilligster Sichtweise scheint derzeit nicht zu gelingen, was Generalsekretärin Nahles schon vor ihrer Babypause zur Hauptaufgabe der Partei erklärt hatte: "Den Markenkern der SPD in die Moderne zu übersetzen." Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, ist zuversichtlich, dass seine Partei wieder beim Wähler punkten könne, "wenn unsere Themen - Arbeit, gerechter Lohn, Mindestlohn, Gesundheit, Wachstum, Bildung - auf der Tagesordnung stehen. Wir werden unsere Chancen bei den nächsten Wahlen haben", sagte Oppermann.
Das könnte natürlich sein, wahrscheinlich ist es nicht. Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wirken für die SPD eher wie Scheinsiege, weil man es noch schlimmer erwartet hatte. Noch ein paar davon und die Partei ist endgültig verloren. Insofern ist es vielleicht besser, wenn keiner so genau hinschaut.
Quelle: ntv.de