Politik

"Missbraucht Namen der SPD" Sarrazin im Feuer der Kritik

Provokation als Pose: Sarrazin hat einen Proteststurm ausgelöst.

Provokation als Pose: Sarrazin hat einen Proteststurm ausgelöst.

(Foto: dpa)

"Dämlich", "verletzend", "menschenverachtend": Bundesbank-Vorstand Sarrazin erntet mit abfälligen Bemerkungen über Zuwanderer und ihre Integrationsbereitschaft einen Sturm der Entrüstung, der ihn dieses Mal hinwegfegen könnte. Die SPD will ihn aus der Partei drängen, die CDU fordert die Bundesbank zum Handeln auf und die Kanzlerin ist empört.

Thilo Sarrazin hat es wieder einmal geschafft. Mit kräftig überspitzten Thesen über die mangelnde Integrationsbereitschaft von Migranten wollte das Vorstandsmitglied der Bundesbank im Vorfeld auf sein neues Buch aufmerksam machen. Die Provokation ist ihm gelungen, ein medialer und politischer Proteststurm schlägt Sarrazin seit mehreren Tagen entgegen. Doch scheint es der ehemalige Berliner Finanzsenator nun zu weit getrieben zu haben: Quer durch alle Parteien wird sein Rücktritt gefordert, die SPD will ihn aus der Partei schmeißen und selbst die Bundeskanzlerin reagiert voller Empörung.

Regierungssprecher Steffen Seibert sprach am Mittwoch von Darstellungen, "die die Bundesregierung, die Bundeskanzlerin nicht ganz kalt lassen". Es handle sich um Formulierungen, "die für viele Menschen in diesem Land nur verletzend sein können, die diffamieren, die sehr, sehr polemisch zuspitzen", drückte der die Empörung Angela Merkels aus. Noch schwerer wiege, dass diese Äußerungen des früheren Berliner Finanzsenators "überhaupt nicht hilfreich sind bei der großen nationalen Aufgabe in diesem Land, bei der Integration voranzukommen".

"Für viele nur verletzend": Merkel lässt ihren Unmut und ihre Empörung ausrichten.

"Für viele nur verletzend": Merkel lässt ihren Unmut und ihre Empörung ausrichten.

(Foto: AP)

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagte, er würde sich schämen, wenn ein führendes Mitglied seiner Partei so aufgetreten wäre. Schäuble betonte vor ausländischen Journalisten, die Bundesbank sei unabhängig, und er glaube auch nicht, dass sich Sarrazin als deren Mitglied geäußert habe. "Ich glaube, es ist ein völlig falscher Weg." Eine Sprecherin der Bundesbank betonte, es sei die persönliche Meinung Sarrazins, die nichts mit seiner Tätigkeit für die Institution zu tun habe.

Nationale Thesen

Der Sozialdemokrat Sarrazin warnt in seinem neuen Buch in harschen Worten vor einer ungesteuerten Zuwanderung muslimischer Einwanderer sowie vor Verharmlosung, Selbsttäuschung und Leugnung der damit verbundenen Probleme. Der Titel des Buches lautet "Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen". Vorabdrucke in mehreren Zeitungen lösten die Empörung aus. Er spricht davon, dass "muslimische Einwanderung die deutsche Gesellschaft untergräbt", geißelt die "Attitüden der muslimischen Einwanderer" und lästert über "Importbräute". Eine Passage lautet: "Ich möchte nicht, dass das Land meiner Enkel und Urenkel zu großen Teilen muslimisch ist, dass dort über weite Strecken Türkisch und Arabisch gesprochen wird, die Frauen ein Kopftuch tragen und der Tagesrhythmus vom Ruf der Muezzine bestimmt wird."

Am Dienstag hatte er in einem Interview zudem wörtlich gesagt: "Für die Gesamtheit der muslimischen Einwanderung in Deutschland gilt die statistische Wahrheit: In der Summe haben sie uns sozial und auch finanziell wesentlich mehr gekostet, als sie uns wirtschaftlich gebracht haben."

CDU fordert Konsequenzen

Die Bundesregierung hat formal keinerlei Handhabe, um Sarrazin gegebenenfalls von seiner Funktion in der Bundesbank zu entbinden. Eine Abberufung kann nur aus ganz bestimmten Gründen vom Bundesbank-Vorstand beim Bundespräsidenten beantragt werden. Üblicherweise äußert sich die Bundesregierung zu Vorgängen um die Bundesbank wegen derer Unabhängigkeit nur sehr zurückhaltend.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz, forderte in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" die Bundesbank allerdings indirekt auf, gegen Sarrazin vorzugehen. "Ich frage mich, wie lange die Deutsche Bundesbank dem noch tatenlos zuschauen will", sagte er. Polenz warf dem früheren Berliner Finanzsenator "islamfeindliche und menschenverachtende Tiraden" gegen muslimische Migranten vor. Sarrazin bekleide ein "hohes nationales Amt." Wenn ein so wichtiger Funktionsträger mit Vorurteilen und "bösartigen Verallgemeinerungen" operiere, "wird auch das Bild Deutschlands im Ausland eingetrübt."

"Ausgeprägte Profilneurose"

SPD-Chef Gabriel prüft, wie rassistisch die Äußerungen sind.

SPD-Chef Gabriel prüft, wie rassistisch die Äußerungen sind.

(Foto: dpa)

Die SPD fordert Sarrazin derweil offen zum Verlassen der Partei auf. SPD-Chef Sigmar Gabriel nannte die Äußerungen Medienberichten zufolge "dämlich" und will sie genauer prüfen lassen, etwa ob sie rassistisch seien. "Wenn Sie mich fragen, warum der noch bei uns Mitglied sein will - das weiß ich auch nicht." Generalsekretärin Nahles erhöhte nun den Druck noch. "Sarrazin ist ein unterbeschäftigter Bundesbanker mit ausgeprägter Profilneurose - das allein wäre noch nicht bemerkenswert, aber er missbraucht den Namen der SPD", sagte Nahles dem "Hamburger Abendblatt". "Wer einzelne Bevölkerungsgruppen pauschal verächtlich macht und gegeneinander aufbringt, treibt ein perfides, vergiftetes Spiel mit Ängsten und Vorurteilen und hat mit den Werten und Überzeugungen der SPD rein gar nichts mehr zu tun", legte Nahles dem früheren SPD-Finanzsenator in Berlin einen Parteiaustritt nahe.

Aydan Özoguz, die Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, nannte die Einlassungen Sarrazins "kaum erträglich" und diskriminierend. "Er macht unser Land lächerlich. Das dürfen wir nicht zulassen." Die Grünen forderten die Abberufung Sarrazins aus dem Bundesbank-Vorstand. "Wie lange duldet die Bundesbank denn noch die Hetzparolen ihres Vorstandsmitglieds Sarrazin", fragte die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth im "Handelsblatt". "Seine Abberufung ist überfällig."

Ermittlungen laufen

Der Zentralrat der Juden empfahl Sarrazin den Eintritt in die rechtsextreme NPD. Generalsekretär Stephan Kramer sprach im  "Handelsblatt" von "rassistischen Hasstiraden".

Die Staatsanwaltschaft Darmstadt ermittelt gegen Sarrazin bereits wegen Volksverhetzung. Sarrazin hatte im Juni in Darmstadt die Befürchtung geäußert, das schwächere Bildungsniveau vieler Zuwanderer wirke sich negativ auf Deutschland aus. "Wir werden auf natürlichem Weg durchschnittlich dümmer", sagte Sarrazin. Zuwanderer "aus der Türkei, dem Nahen und Mittleren Osten und Afrika" seien weniger gebildet als Migranten aus anderen Ländern.

Ein bisschen Verständnis

Der Bürgermeister des Berliner Bezirks Neukölln, Heinz Buschkowsky allerdings räumte ein: "Die Probleme, die er benennt, die gibt es, keine Frage. Wir haben Parallelgesellschaften, wir haben Bildungsferne, wir haben Menschen, die sich im Sozialsystem eingerichtet haben, und wir haben Menschen, die das Sozialsystem als Lebensgrundlage benutzen und, Scheiß Deutsche sagen", sagte Buschkowsky im Deutschlandradio Kultur. Dies jedoch "als eine Art Marke allen Zuwanderern anzukleben", halte er für falsch. Eine Volkspartei wie die SPD müsse aber unbequeme und auch lästige Meinungen in sich dulden.

Im März war Sarrazin beinahe aus der SPD geflogen. Er hatte in einem Interview Arabern und Türken unterstellt, leistungs- und integrationsunwillig zu sein. Eine Landesschiedskommission urteilte, Sarrazin habe sich zwar "radikal und bis zum Tabubruch" geäußert, aber nicht rassistisch, weil er auch Deutsche kritisiert habe.

Quelle: ntv.de, tis/rts/dpa/AFP

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen