"Mittel- bis langfristige Überlegungen" Schäuble will EU-Vertrag ändern
02.09.2011, 16:00 UhrViele Unions-Parlamentarier sind von den monatelangen Debatten der Schuldenkrise und den ständig neuen Kompromissen erschöpft. Mit Mühe und Not versucht die schwarz-gelbe Regierung bei der Abstimmung über den reformierten Euro-Rettungsschirm EFSF eine eigene Mehrheit zustande zu bringen. Und nun soll auch noch Lissabonner EU-Vertrag wieder geändert und noch mehr nationale Kompetenzen abgetreten werden.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat sich als Antwort auf die Euro-Schuldenkrise erneut für eine Änderung der EU-Verträge ausgesprochen. Bei der Vorstandsklausur der CDU/CSU-Fraktion bekräftigte Schäuble laut "Bild"-Zeitung seine Forderung nach Übertragung weiterer Zuständigkeiten in der Wirtschafts- und Finanzpolitik an EU-Instanzen. Es sei aber bekannt, "wie schwer eine Vertragsveränderung ist", wird der Minister weiter zitiert. Die 17 Euro-Staaten würden sich mit einer solchen Vertragsänderung von den restlichen zehn EU-Staaten ohne Euro massiv absetzen. Schäubles Sprecherin sprach von mittel- bis langfristigen Überlegungen.
Schäuble macht sich seit Monaten für eine langfristig stärkere Integration der EU und Reform der Europäischen Verträge stark. Dies betrifft auch eine gemeinsame Finanzpolitik in einigen Jahren. Erst Ende August hatte Schäuble in einem Zeitungs-Interview aber zugleich betont, dass es aktuell Aufgabe sei, "auf der Basis der existierenden Verträge die Probleme so schnell wie möglich zu lösen".
Die meisten Staaten seien noch nicht bereit, die notwendigen Einschränkungen nationaler Souveränität hinzunehmen. Das Problem sei aber lösbar, hatte Schäuble in dem Interview gesagt. Er persönlich habe kein Problem mit der Idee eines europäischen Finanzministers.
"Innerhalb der bestehenden Verträge"
Nach den Worten von Regierungssprecher Steffen Seibert ist es "gut, dass wir in einer Phase angekommen sind, in der offen und auch ohne Vorurteile über die mögliche Weiterentwicklung Europas (...) gesprochen wird". Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe aber immer betont, dass es jetzt darum gehe, innerhalb der bestehenden Verträge zu handeln. "Die europäischen Probleme lassen uns keine Zeit." Gleichzeitig befinde man sich in einem europäischen Prozess, dessen Ausgang mittelfristig offen sei. "Ein europäischer Finanzminister steht für die Bundesregierung jetzt nicht zur Debatte."
Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) bekräftigte die Notwendigkeit einer Stabilitätsunion. . "Das kann man natürlich auch in einem Vertrag gemeinsam vereinbaren."
Nächster Schritt
Unterstützung erhielt Schäuble von Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. "Gerade jetzt in der Schuldenkrise brauchen wir den nächsten Schritt zur Vertiefung der europäischen Integration", sagte er dem "Hamburger Abendblatt". Hundt plädierte für automatische Sanktionen gegen Staaten, die keine solide Haushaltspolitik betreiben. "Wer in Zukunft die Stabilitätskriterien verletzt und die gemeinsamen Vorgaben für eine europäische Währung nicht einhält, darf keine europäischen Hilfen erhalten."
Der stellvertretende Unions-Fraktionschef Michael Meister fürchtet, dass ohne einen neuen EU-Vertrag die Rechte der Parlamente schleichend ausgehebelt werden. "Wir leben seit Mitte 2007 in einem permanenten Ausnahmezustand und brauchen nun die Rückkehr zu festen Regeln", sagte er Reuters. Das Krisenmanagement betrieben letztlich die Regierungen. So sei das europäische Semester, bei dem die nationalen Parlamente ihre Haushalte in Brüssel zur Begutachtung vorlegen sollen, inhaltlich zwar ebenso richtig wie die Aufforderung der Kanzlerin, die nationalen Parlamente sollten Änderungswünsche der EU-Kommission dann auch beachten, meint der CDU-Politiker. Aber demokratietechnisch sei dies schwierig. "Nur eine Vertragsänderung könnte deshalb eine demokratische Kontrolle der Parlamente festschreiben", mahnt Meister.
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin forderte, man müsse sich von der Vorstellung verabschieden, dass der Lissabon-Vertrag die letzte Änderung an den Grundlagen der europäischen Zusammenarbeit gewesen sei.
Der EU-Vertrag wurde 1992 in Maastricht unterzeichnet und trat 1993 in Kraft. Zuletzt wurde er mit dem Vertrag von Lissabon geändert.
Quelle: ntv.de, dpa