Ex-Generalinspekteur belastet Guttenberg Schneiderhan: "Gruppe 85" gab es
18.03.2010, 15:43 Uhr
Schneiderhan am Zeugentisch.
(Foto: dpa)
Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Schneiderhan, weist vor dem Kundus-Untersuchungsausschuss den Vorwurf zurück, Informationen über den verheerenden Luftangriff nicht weitergegeben zu haben. Zudem bestätigt er die Existenz einer Arbeitsgruppe, die das Geschehen offenbar positiv darstellen sollte.
Der entlassene Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan hat die Existenz einer Arbeitsgruppe im Verteidigungsministerium bestätigt, die anscheinend für eine positive Darstellung des umstrittenen Luftangriffs bei Kundus sorgen sollte. Ihm sei die Existenz der "Gruppe 85" bekannt, sagte Schneiderhan auf eine entsprechende Frage im Kundus-Untersuchungsausschuss. Der "Spiegel" hatte unter Berufung auf vertrauliche Unterlagen berichtet, im Ministerium sei eine Arbeitsgruppe aus mindestens fünf Beamten gegründet worden, um die Ermittlungen der NATO zu dem Fall zu beeinflussen.
Nach dem Bericht sollte die "Gruppe 85" durch eine Kommunikationsstrategie im Fall Kundus ein positives Bild möglich machen. Kritik an der Bundeswehr sollte demnach gezielt verhindert werden. Die Gruppe sei am 9. September ins Leben gerufen, fünf Tage nach dem von einem deutschen Offizier angeordneten Luftangriff mit toten Zivilisten. Sie sei von dem ebenfalls entlassenen Staatssekretär Peter Wichert geleitet worden.
Nach dem Bericht sollte die "Gruppe 85" über das deutsche Mitglied in der NATO-Untersuchungskommission zum Luftangriff in Erfahrung bringen, was dort recherchiert wurde. Darüber hinaus sei es um die Frage gegangen, wie der NATO-Bericht im deutschen Interesse beeinflusst werden konnte. Kurz vor Fertigstellung des NATO-Berichts habe die Arbeitsgruppe ihrem Mann sehr konkrete Anweisungen gegeben, schreibt der "Spiegel". Demnach sollte in dem Bericht "falls möglich - ein ermessensfehlerfreies Handeln herausgestellt werden".
Der entlassene Verteidigungs-Staatssekretär Peter Wichert räumte während seiner Befragung ein, dass er die umstrittene Arbeitsgruppe gegründet habe. Es sei darum gegangen, dass nicht "eine einseitige Untersuchung der NATO in die Welt gesetzt wird, der wir dann hinterher gelaufen wären". Man habe aber nicht Einfluss in dem Sinne genommen, "dass da geschoben oder vertuscht wurde". Die Gruppe habe unter anderem die Aufgabe gehabt darauf hinzuwirken, dass "auch die entlastenden Momente" in den Untersuchungsbericht der internationalen Schutztruppe ISAF aufgenommen werden.
Zur Vorsicht geraten
Schneiderhan hat zudem sein Verhalten nach dem Luftschlag verteidigt. Er wies Vorwürfe zurück, er und seine Mitarbeiter hätten den Verteidigungsminister nicht ausreichend über den Luftschlag vor rund einem halben Jahr informiert. Zugleich tauchte ein Brief Schneiderhans an Minister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) auf, demzufolge der Vier-Sterne-General diesem hinsichtlich des NATO-Berichts zu dem Angriff "zu Zurückhaltung und Vorsicht geraten" haben will. Offenbar auf Basis dieses Berichts hatte Guttenberg den Angriff zunächst als angemessen bezeichnet, später dieses Urteil aber zurückgenommen.
Bei dem Luftschlag waren am 4. September 2009 bis zu 142 Menschen getötet oder verletzt worden. Schneiderhan sieht sich mittlerweile durch Guttenberg vom Vorwurf entlastet, Informationen dazu verheimlicht zu haben. Entsprechende Äußerungen Guttenbergs in der vergangenen Woche habe er "mit Erleichterung" zur Kenntnis genommen, sagte er im Ausschuss.
Schneiderhans Brief an den Minister wurde vier Tage nach seiner Entlassung datiert. Darin gibt der vormals oberste militärische Berater des Ministers auch detailliert an, mit diesem "inhaltlich nie" über den Angriff gesprochen zu haben. Das würde bedeuten, dass Guttenberg seine später revidierte Einschätzung ohne inhaltliche Beratung Schneiderhans getroffen hat. Andererseits hat Guttenberg vor Mitgliedern des Verteidigungsausschusses eine "Besprechung zu diesem Bericht" mit Schneiderhan und dem ebenfalls aus dem Amt gedrängten Staatssekretär Peter Wichert erwähnt - was eher nach einer inhaltlichen Erörterung klingt.
"Minister stets entscheidungsfähig"
Schneiderhan und Verteidigungsstaatssekretär Wichert waren am 26. November von Guttenberg entlassen worden, weil dieser sich unzureichend über das Bombardement informiert fühlte. So hatte Guttenberg nach eigener Darstellung von einem Untersuchungsbericht der deutschen Feldjäger erst aus der "Bild"-Zeitung erfahren.
Guttenberg hatte mit Blick unter anderem auf den Feldjägerbericht zunächst von vorenthaltenden und später von unterschlagenen Dokumenten gesprochen. In einem Interview erklärte er aber dann in der vergangenen Woche, er habe nie behauptet, dass ihm Unterlagen "vorsätzlich" oder "böswillig" vorenthalten worden seien. Schneiderhan sagte, die Sache sei für ihn damit erledigt. Die "ehrabschneidende und unwahre Berichterstattung" über ihn stehe dagegen weiter im Raum. Zur Frage, ob die Minister so beraten wurden, dass sie urteilsfähig waren, sagte er, dass das stets der Fall gewesen sei. "Die Frage, ob ich die Minister so beraten habe, dass sie entscheidungsfähig waren, ja, diese Frage beantworte ich eindeutig mit ja", sagte Schneiderhan wörtlich.
Oppositionspolitiker vermuten, dass Guttenberg mit den Entlassungen Schneiderhans und Wicherts von eigenen Fehlern ablenken wollte. Der SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels sagte dem "Kölner Stadt-Anzeiger", wenn sich herausstelle, dass Guttenberg über die Hintergründe der Entlassungen die Unwahrheit gesagt habe, werde es eng für ihn. "Denn die Frage lautet: Ist ein Minister, der nicht mehr glaubwürdig ist, für die Truppe die richtige Führungsfigur?"
"Politisches Spektakel"
Der Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour sagte, der Ausschuss werde auch prüfen, ob der Öffentlichkeit nach dem Luftschlag in Kundus Informationen zu zivilen Opfern aus Wahlkampfgründen vorenthalten worden seien. Sollte das der Fall sein, sei dies ein "ungeheuerer Vorgang". Wenige Wochen später stand damals am 27. September die Bundestagswahl an. Der Unions-Obmann im Ausschuss, Ernst-Reinhard Beck (CDU) warf der Opposition vor, mit dem Ausschuss ein "politisches Spektakel" zu veranstalten.
Schneiderhan machte Indiskretionen im Verteidigungsministerium für seine Entlassung verantwortlich. Die Weitergabe des Bundeswehr-Feldjägerberichts an die "Bild"-Zeitung habe letztlich auch Arbeitsminister Franz Josef Jung sowie Staatssekretär Wichert die Ämter gekostet. Die Informanten der Zeitung hätten dem Ansehen Deutschlands und der militärischen und politischen Führung der Bundeswehr erheblich geschadet. "Den Taliban haben sie eine Freude gemacht", sagte Schneiderhan.
Quelle: ntv.de, dpa/rts