Von Lehman-Pleite "überrascht" Steinbrück verteidigt Vorgehen
20.08.2009, 11:21 UhrBundesfinanzminister Peer Steinbrück hat vor dem Untersuchungsausschuss die Milliarden teure Rettung der Immobilienbank Hypo Real Estate (HRE) und das Vorgehen der Regierung verteidigt. "Das Krisenmanagement war angemessen und richtig", sagte Steinbrück vor bei seiner Anhörung zum Desaster der HRE. Es sei weitreichender Schaden von Deutschland und seinen Bürgern abgewendet worden. "Wir mussten in Echtzeit handeln, unter enormem Zeitdruck." Dabei hätten nicht immer zuverlässige Informationen vorgelegen, gestand er ein.
Er sei von der rasanten Entwicklung der Finanzkrise nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers überrascht worden. Zuvor habe es so ausgesehen, als ob sich die Krise auf "einzelne Institute" beschränkt habe. Mit der "überraschenden Insolvenz" von Lehman Brothers aber habe sich die Lage "schlagartig" geändert. "Es entstand ein Flächenbrand weltweit", die Verluste hätten sich "kaskadenartig" an den Finanzmärkten ausgebreitet, sagte Steinbrück.
Es seien inzwischen eine ganze Reihe Lehren gezogen und umgesetzt worden. Notwendig seien weltweit Verkehrsregeln für die globalen Finanzmärkte, um eine Wiederholung solcher Finanzkrisen weitestgehend auszuschließen. Darauf müsse das Augenmerk gelegt werden statt auf "parteipolitische Geländegewinne".
"Wortwahl nicht besonders glücklich"
Seine umstrittene Äußerung nach der ersten Rettungsaktion zur "geordneten Abwicklung" der HRE nannte Steinbrück "in der Wortwahl nicht besonders glücklich". Er habe diese Äußerung, die zum Sprachgebrauch am Wochenende gehört habe, später korrigiert. Es sei darum gegangen, den freien Fall der HRE zu vermeiden. Die Aussage habe die HRE-Schieflage aber nicht verschärft. Diese Darstellung hatten auch Vertreter der Kreditwirtschaft im Ausschuss bestätigt.
Die Eskalation bei der HRE begann laut Steinbrück nicht Anfang 2008, sondern nach der Lehman-Pleite. Das Geschäftsmodell der HRE und ihrer irischen Tochter Depfa sei bis zum Sommer als funktionstüchtig eingestuft worden. Die HRE habe bis dato als solventes Institut gegolten. Auch in den Berichten der Aufsicht BaFin bis Mitte September sei die Lage als "angespannt, aber beherrschbar" beschrieben worden. Die BaFin-Berichte seien "ohne dramatische Befunde" gewesen. Auf dieser Basis habe es keine Veranlassung zum politischen Handeln und zum Eingreifen gegenüber der BaFin gegeben.
"Millimeter vor dem Abgrund"
"Zwischen dem 15. September und dem 05. Oktober stand die Finanzwelt nur Millimeter vor dem Abgrund", sagte Steinbrück weiter. Die Motive der US-Regierung für die Lehman-Pleite seien ihm nie ganz deutlich geworden. Nach der Lehman-Insolvenz sei klar geworden, dass auch andere systemrelevante Institute pleitegehen könnten. Lehman sei ein Test gewesen, allerdings mit verheerenden Folgen.
Steinbrück sprach von der teuersten politischen Fehlentscheidung dieses Jahrhunderts. Die führenden Industrienationen (G7) hatten sich danach verpflichtet, keine systemrelevante Bank mehr pleitegehen zu lassen. Die HRE galt als ein solch wichtiges, international vernetztes Institut bei einer Bilanzsumme ähnlich die von Lehman in Höhe von rund 400 Milliarden Euro.
"Banken zur Kasse"

Demonstranten entrollten vor der Anhörung des Finanzminister Transparente im Ausschuss-Saal.
(Foto: dpa)
Zu Beginn der Anhörung Steinbrücks gab es Tumulte im Ausschuss-Saal. Mehrere Demonstranten entrollten auf der Besuchertribüne Transparente und riefen "Banken zur Kasse". Sie wurden kurze Zeit später von Ordnern hinausgeführt.
Steinbrück ist der letzte Zeuge, der vernommen wird. Der Ausschuss beleuchtet auf Druck der Opposition seit Mai das Krisenmanagement der Regierung und die Rolle der Finanzaufsicht. FDP, Grüne und Linkspartei werfen der Regierung vor, schlecht zu Lasten des Steuerzahlers verhandelt zu haben. Bundesbank, die Aufsicht BaFin und Banken hatten die Rettung der inzwischen verstaatlichten Bank verteidigt. Die HRE wird mit Finanzhilfen von 102 Milliarden Euro - 87 Milliarden Euro kommen vom Staat - am Leben gehalten.
Am Mittwoch hatten Kanzlerberater Jens Weidmann und Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen bei ihrer Vernehmung vor dem Ausschuss das Krisenmanagement der Regierung verteidigt. Bis zur dramatischen Rettungsaktion Ende September 2008, als ein erstes 35-Milliarden-Hilfspaket für die HRE geschnürt wurde, habe es keine Hinweise auf eine "existenzbedrohende Schieflage" gegeben, sagten die beiden Top-Beamten.
Quelle: ntv.de, tis/dpa