Erster Erfolg der Proteste Syrien hebt Notstandsgesetz auf
27.03.2011, 15:11 Uhr
In Daraa werden die Toten zu Grabe getragen (Amateur-Video).
(Foto: Reuters)
Im Ringen um demokratische Reformen erkämpft die Opposition im Polizeistaat Syrien einen ersten Erfolg: Eine Beraterin von Präsident Assad verkündet, dass das seit 50 Jahren geltende Notstandsgesetz aufgehoben wird.
Unter dem Druck der Protestbewegung hat die syrische Führung die Aufhebung des seit fast fünf Jahrzehnten geltenden Notstandsgesetzes beschlossen. Die Behörden hätten die Entscheidung zur Aufhebung bereits getroffen, sagte die Beraterin von Präsident Baschar al-Assad, Bussaina Schaban. In der vergangenen Woche hatte Damaskus angekündigt, das seit 1963 geltende Notstandsgesetz zu prüfen. Aktivisten der syrischen Bürgerrechtsbewegung riefen am Sonntag zu einem Generalstreik auf. Wie weit dieser befolgt wurde, war zunächst nicht klar.
Das Notstandsgesetz war 1963 nach der Machtübernahme der bis heute regierenden Baath-Partei verhängt worden. Es schränkt die Versammlungsfreiheit ein, erlaubt Festnahmen wegen Sicherheitsbedenken, die Überwachung der Kommunikationswege und die Medienzensur. Angesichts der seit zwei Wochen andauernden Demonstrationen hatte die Regierung bereits vergangene Woche Reformen zugesagt. So sollte das Notstandsgesetz überdacht und die Zulassung politischer Parteien geprüft werden. Ein Zeitrahmen für die Umsetzung der Reformen wurde bisher jedoch nicht genannt.
Präsidentenberaterin Schaban kündigte eine Rede von Staatschef Assad an. Er werde sich "sehr bald" an sein Volk und die Lage im Land "erklären", sagte sie. Bei der Ansprache wolle er auch die angekündigten Reformen konkretisieren.
Proteste seit zwei Wochen
Die syrische Führung sieht sich seit knapp zwei Wochen Protesten von noch nie dagewesenem Ausmaß ausgesetzt. Offenbar zur Beruhigung der Lage ließ die Führung in den vergangenen Tagen 260 politische Gefangene und 17 festgenommene Demonstranten frei. Seit Beginn der Demonstrationen wurden nach offiziellen Angaben mehr als 30 Menschen getötet; Aktivisten sprechen von mehr als 120 Toten.
Ungleiches Ringen mit der Staatsmacht
Am Freitag und am Samstag waren in mehreren Städten wieder Tausende auf die Straße gegangen, um politische Reformen und bürgerliche Freiheiten zu fordern. Bei Zusammenstößen zwischen unbewaffneten Demonstranten und Angehörigen der Sicherheitskräfte in der Hafenstadt Latakia wurden mehrere Zivilisten getötet. Oppositionelle sprachen von fünf bis sieben Toten. Nach Angaben von Regimegegnern schossen Scharfschützen einer Spezialeinheit am Samstag von den Dächern mehrerer Gebäude in der Stadt, die 350 Kilometer nordwestlich von Damaskus liegt.
Die Opposition veröffentlichte im Internet Videos, auf denen schwer verletzte Zivilisten zu sehen sind. Tags zuvor hatten die Sicherheitskräfte bei Kundgebungen in mehreren Städten Syriens in die Menschenmenge geschossen und nach unbestätigten Angaben 40 Menschen getötet.
Die Staatsmedien meldeten dagegen, die bewaffneten Männer gehörten zu den Demonstranten. Die syrische Führung stellt die Protestwelle als Kampagne radikaler Kräfte dar, die eine Spaltung zwischen den Angehörigen der verschiedenen Religionsgruppen anstreben. Syrien soll auf diese Weise destabilisiert werden. Die Opposition widerspricht dieser Darstellung.
Einen Tag nach dem tödlichen Angriff auf Demonstranten in Latakia herrschte dort am Sonntag gespannte Ruhe. Das Regime von Präsident Assad verlegte eine große Zahl von Armeesoldaten in die Stadt, berichteten Augenzeugen. Die Soldaten würden an den Stellen patrouillieren, an denen am Vortag Heckenschützen von Hausdächern auf eine Kundgebung von Bürgerrechtlern geschossen hatten.
Die staatliche Nachrichtenagentur Sana bezifferte am Sonntag die Zahl der Toten in Latakia mit zwölf. Der Staatsagentur zufolge schoss "eine bewaffnete Gruppe" von Hausdächern aus auf "Passanten", um Unfrieden im Land zu stiften. Zuvor hätte die Gruppe in der Stadt randaliert und Geschäfte angezündet.
Vermutlich Dutzende Tote
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hält Berichte über Dutzende Tote allein in der südlichen Provinz Daraa für glaubwürdig. Dort gingen auch am Samstag wieder tausende Menschen auf die Straße. Sie trugen die Toten der vergangenen Tage zu Grabe.
Nach Informationen der oppositionellen Facebook-Seite "Youth Syria for Freedom" brannten Demonstranten in Daraa den Sitz der herrschenden Baath-Partei nieder. Darüber hinaus liefen in Daraa stationierte Armee-Offiziere zu den Regimegegnern über. Durch andere Quellen konnten diese Angaben zunächst nicht bestätigt werden.
Journalisten dürfen nicht arbeiten
Das Regime in Damaskus verschwieg die blutigen Unruhen weitestgehend. Journalisten wurde der Zugang zu den Orten der Demonstrationen verwehrt. In der Hauptstadt Damaskus demonstrierten in der Nacht zum Sonntag mehrere tausend Menschen, um ihre Unterstützung für das Regime von Präsident Baschar al-Assad zu zeigen, berichtete der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP