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Polen und der Fall der Mauer"Ich habe wirklich geweint"

09.11.2009, 06:31 Uhr

Als die Mauer fällt, fließen nicht nur in Deutschland die Tränen. Auch viele Polen sind gerührt. "Es war für uns eine große Befriedigung", so der Dichter Antoni Pawlak.

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Als alles begann: Gewerkschaftsführer Lech Walesa in Danzig im Jahr 1980. (Foto: ASSOCIATED PRESS)

Als in der DDR vor 20 Jahren die Mauer fällt, wird aller Welt klar: Die Epoche des Kommunismus in Osteuropa ist beendet. Im Nachbarland Polen beobachtet man die Ereignisse mit größtem Interesse - und einigem Wohlwollen: "Es war für uns eine große Befriedigung", erinnert sich der polnische Dichter Antoni Pawlak an die Zeit der Wende. "Ich habe wirklich geweint, als ich im Fernsehen sah, wie die Mauer fiel."

Dabei bedeutet das Jahr 1989 nicht nur für die DDR einen Epochenwandel. In Polen war bereits zwei wenige Monate vor dem Fall der Mauer der Kommunismus friedlich gestürzt worden. Die polnische Opposition war der Vorreiter, aber auch Teil einer Bewegung, die den gesamten Ostblock erfasste: "Wir wussten, dass wir nicht die einzigen Kretins waren, die einen Aufstand wagten", sagt der ehemalige Solidarnosc-Aktivist. "Das war sehr wichtig für uns."

n-tv.de: Was bedeutet das Jahr 1989 für Polen?

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Tadeusz Mazowiecki (r.) bedankt sich am am 24. August 1989 im polnischen Parlament in Warschau, für seine Wahl zum Ministerpräsidenten. (Foto: picture-alliance/ dpa)

Antoni Pawlak: 1989 wurden Träume wahr, der Kommunismus endete. Wir wurden eine normale Gesellschaft, wurden Teil der EU. Nun ist es fantastisch für uns, dass wir reisen können - was unter dem Kommunismus für den Großteil der Bevölkerung nicht möglich war. 1989 waren wir überzeugt, dass der Kommunismus vorbei ist und wir alle wie in den USA leben werden: in einem kleinen Haus mit Auto und Garten. Wir waren sicher, dass eine neue Zeit kommen würde, und wir waren der trügerischen Ansicht, dass es auch wirtschaftlich sehr viel besser würde. Aber dies hat sich nicht erfüllt. Niemand dachte darüber nach, dass wir 40 Jahre Sozialismus aufholen mussten.

Nicht allen geht es heute besser?

Gerade die Fabrikarbeiter, die die Vorreiter in der Zeit des Umbruchs waren, haben am meisten verloren. Sie sind jetzt sehr, sehr unzufrieden, und das verstehe ich gut. In den Werften in Danzig arbeiteten damals beispielswiese Zehntausende, nun sind es nur noch um die 3000. Natürlich vermisst ein Teil der Gesellschaft den Kommunismus. Zwar war unser Land damals ein Staat des Bösen und des Totalitarismus, aber auch ein Land mit gleichen Chancen für jeden. Im Kommunismus gab es keine Arbeitslosen, keine Ausgeschlossenen. Vielleicht war dies etwas künstlich, aber so war es.

Polen hat es als erstes Land im Ostblock geschafft, 1989 die Kommunisten zu entmachten - und dies alles ohne Blutvergießen. Warum verlief der Wandel in Polen so friedlich?

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Kriegsrecht in Polen: Panzer rollen durch Danzigs Straßen im Dezember 1981. (Foto: ASSOCIATED PRESS)

In Polen war die Opposition bereits in den 70er Jahren sehr aktiv. Das hat uns vorbereitet und gelehrt, dass wir manche Dinge ohne Gewalt erreichen koennen. Der Historiker Jacek Kuron, der spätere Minister für Arbeit und Soziales, sagte: "Setzt keine Feuer an die Parteikomitees, sondern bildet euere eigenen Komitees." Abgesehen davon haben wir Erfahrung mit blutigen Aufständen, in Posen 1956, in Danzig 1970. Wir wussten, dass es sich nicht lohnt, Gewalt anzuwenden, weil wir dann verlieren würden. Wir wussten, dass Gewalt immer Gewalt hervorbringt. Und dass wir mit Gewalt nichts erreichen konnten. Mit Gewalt hätten wir nie die Sowjetunion zerstören können. Uns war klar: Nur langsame und harte Arbeit konnte gute Ergebnisse bringen. Unterstützt hat uns dabei Papst Johannes Paul II. Er war für uns Polen die große Autorität. Auch er forderte stets den Verzicht auf Gewalt, langsame Veränderungen, aber mit Verstand. Es war so eine Art Ghandi-Strategie in Europa.

Hatten Sie keine Angst, dass der Staat seinerseits Gewalt anwendet?

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Panzer in Danzig 1970. (Foto: ASSOCIATED PRESS)

Doch, es gab Angst. Ich habe einen Kollegen, dessen Vater 1956 aus Sibirien zurückkam. Er lebte in Danzig und wachte jahrelang mit Angstschreien in der Nacht auf. Er sagte nie, was ihm in der Vergangenheit zugestoßen war. Diese Angst war sehr verbreitet in den 50er Jahren. Dann aber änderte sich das System, die Angst nahm ab.

Abgesehen davon waren der Motor für Veränderung in den 80er Jahren in Polen sehr junge Leute, die gerade mal Anfang 20 waren, und junge Leute sind weniger ängstlich. Sie haben keine Frauen und Kinder, und sie haben weniger Vorstellungskraft. Sie benehmen sich, als ob sie mit dem Kopf vornüber ins Wasser springen. Ich denke, wenn die Über-50-Jährigen all diese Veränderungen gemacht hätten, hätte alles länger gedauert - einfach, weil die Älteren mehr Angst gehabt hätten. Es war auch typisch, dass während der Streiks 1980 in Danzig die Arbeiter sicher waren, dass es leicht sein würde zu siegen, während ältere Berater mit viel Erfahrung die ganze Zeit den Einmarsch der Russen in Afghanistan vor Augen hatten. Und das Gefühl hatten, dass die Russen sehr schnell hier sein würden.

Was war das Besondere an der Revolution in Polen im Vergleich zu den anderen Ostblockländern?

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Antoni Pawlak hat etliche Gedichtbände veröffentlicht und war in der Wendezeit in Polen sehr aktiv, was ihm auch einige Monate Gefängnis einbrachte. (Foto: Gudula Hörr)

Ich denke, dass wir das einzige Land waren, das massenhaft unabhängige Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, herausgab. Auch dass wir eine große Bewegung von Untergrund-Universitäten hatten, war für uns spezifisch. Oppositionsbewegungen sind normalerweise sehr eng, aber in Polen war diese Enge sehr, sehr weit. In anderen Ländern gab es einzelne Personen, in unserem Land gab es hunderte von Leuten. Das war der fundamentale Unterschied. Mehr Massen.

Und sah sich Polen auch als Vorreiter der Protestbewegungen?

Oppositionsbewegungen gab es auch in anderen Staaten, in Russland agierten Andrei Sacharow und Alexander Solschenizyn, in der Tschechoslowakei Vaclav Havel und viele andere. In den 80ern geriet auch in der DDR etwas in Bewegung, und sogar in Rumänien gab es oppositionelle Strömungen. Das war sehr wichtig für uns. Wir hatten so das Bewusstsein, dass wir nicht allein waren. Wir wussten, dass wir nicht die einzigen Kretins waren, die einen Aufstand wagten. Dass sich auch in anderen Ländern etwas bewegt. Vielleicht weniger spektakulär und langsamer, doch immerhin.

Aber spielte Polen nicht eine größere Rolle beim Fall des Kommunismus im Ostblock als seine Nachbarstaaten?

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Der Papst war eine unangefochtene Autorität für die meisten Polen. (Foto: AP)

Es gibt heute eine weitverbreitete Überzeugung, dass wir alles gemacht hätten, dass andere uns später nachgeahmt hätten. Und es gibt viele Leute, die sagen, dass sie dazu beigetragen hätten, dass die Berliner Mauer fiel. Sogar die Rolling Stones sagten das ja. Die meisten Polen sind überzeugt, dass der Westen uns nicht versteht und uns Danke sagen sollte. Aber er bedankt sich nicht. Für den normalen Polen ist Polen der Nabel der Welt, es herrscht die Ansicht: Wir sind das wichtigste Land der Welt und Polen das auserwählte Volk. Das stimmt natürlich nicht. Ich habe den Eindruck, dass wir einen großen Beitrag für Europa, für die Überwindung des Kommunismus geleistet haben. Aber ich denke nicht, dass wir der Grund für den Fall des Kommunismus waren.

Natürlich fühlen wir einen gewissen Schmerz, - das ist allerdings kein antideutsches Gefühl - dass Europa das Ende des Kommunismus mit dem Fall der Mauer verbindet. In Polen gab es schon im Sommer 1989 Wahlen, aber das war ein langer Prozess und es ist schwierig, so etwas in den Medien zu verkaufen. In Berlin gab es dagegen ein spektakuläres Ereignis, ein großes Symbol und es war fantastisch. Das Ende der Grenzen, das Ende des Eisernen Vorhangs. Und Leute mögen nunmal spektakuläre Ereignisse.

Wie reagierte Polen auf den Fall der Mauer?

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Ein Loch in der Berliner Mauer am 11. November 1989. (Foto: ASSOCIATED PRESS)

Es war für uns eine große Befriedigung. Ich habe wirklich geweint, als ich im Fernsehen sah, wie die Mauer fiel. Für mich war es der endgültige Beweis, dass der Kommunismus zu Ende ging. Dass es keinen Weg zurück gibt zum Kommunismus. Dass vielleicht Normalität einkehrt.

Mit Antoni Pawlak sprach Gudula Hörr