Chiles Präsidentin kommt Nostalgie-Reise in die DDR
17.10.2006, 15:42 UhrWenn die chilenische Präsidentin Michelle Bachelet an diesem Mittwoch (18. Oktober) zu ihrem ersten Deutschland-Besuch als Staatschefin eintrifft, dann wird sie nicht nur die hohe Politik im Kopf haben. Ihr viertägiger Aufenthalt dürfte streckenweise auch zu einer Nostalgie-Reise in die ehemalige DDR werden. Dort hatten sie und ihre Mutter 1975 - zwei Jahre nach dem Putsch von Augusto Pinochet - Zuflucht gefunden. Ihr Vater, der Luftwaffengeneral und Pinochet-Gegner Alberto Bachelet, war 1974 an den Folgen der Folter gestorben, und auch die heutige Präsidentin und ihre Mutter waren festgenommen und schwer misshandelt worden.
Die DDR nahm die heutige Präsidentin nicht nur auf, sondern ermöglichte ihr auch die Fortsetzung ihres Medizinstudiums. Später arbeitete sie in einer Poliklinik in Potsdam und in Leipzig, bevor sie 1979 in ihre Heimat zurückkehrte. Im ostdeutschen Exil heiratete sie und bekam ihren ersten Sohn. "Die Zeit, die ich in Potsdam und Leipzig verbracht habe, war für mich eine sehr glückliche Zeit", sagte sie in einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit". "Chile empfindet große Dankbarkeit für die enorme Solidarität Deutschlands während der Diktatur, sowohl von Seiten der Bundesrepublik wie auch durch die frühere DDR", fügte sie in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur hinzu.
Bundeskanzlerin Angela Merkel studierte fast zur gleichen Zeit, allerdings nicht wie Bachelet Medizin, sondern Physik in Leipzig. 30 Jahre später sind sie beide Regierungschefin, Merkel laut "Forbes" sogar auf Platz eins der 100 mächtigsten Frauen der Welt, Bachelet immerhin auf Platz 17. Dies sei ein wichtiges Zeichen dafür, "dass es mehr und mehr Gleichheit und Demokratie gibt", sagte Bachelet. In Leipzig soll ihr die Universitätsehrenmedaille verliehen werden. DDR-Erinnerungen dürften ansonsten jedoch nur am Rande Platz finden, denn neben der Zeitreise in die eigene Vergangenheit stehen handfeste politische Termine auf dem Kalender.
Bachelet vertritt ein Land, das als stabilste Demokratie Südamerikas gilt und dessen Wirtschaft seit Jahren eindrucksvoll wächst. Die Beziehungen zu Deutschland bezeichnet Bachelet als "sehr gut". Deutschland sei weiterhin der wichtigste Exportmarkt Chiles in Europa, und zusammen mit Frankreich, Spanien und Italien sei Deutschland auch einer der größten Exporteure nach Chile. Interesse besteht in Chile zum Beispiel an deutscher Technik zur Gewinnung von Energie aus Biomasse, Sonne und Wind. Im internationalen Bereich will Bachelet in Deutschland die Krise um das nordkoreanische Atomprogramm, die Lage im Nahen Osten, die Demokratisierung der Vereinten Nationen und die Fortsetzung der Doha-Runde ansprechen.
Innenpolitisch hat es die 51-jährige Ärztin in ihren ersten sechs Amtsmonaten nicht immer leicht gehabt. Ihr angesehener Vorgänger Ricardo Lagos hatte einen väterlichen, bisweilen sogar als autoritär bezeichneten Regierungsstil. Bachelet will eher "Mutter" der Nation sein, und daran muss sich die konservative chilenische Gesellschaft, vor allem die Männer, noch gewöhnen. Überrascht wurde sie von der Heftigkeit der Schülerproteste gegen seit langem bestehende Missstände im Bildungswesen. Schnell stockte sie den Bildungsetat auf und brachte eine Reformdiskussion in Gang.
Außenpolitisch konnte sie den seit Ende des 19. Jahrhunderts schwelenden Konflikt mit Bolivien um einen Zugang des Binnenstaates zum Pazifik entschärfen. Auch mit dem anderen "Problem"-Nachbarn Peru haben sich die Beziehungen unter dem dortigen neuen Präsidenten Alan Garcia sehr verbessert. Beide werden wie Argentiniens Nstor Kirchner und Brasiliens Lula der modernen Linken Südamerikas zugerechnet. Zu den USA führt sie die Politik kritischer Kooperation ihres Vorgängers fort.
(Jan-Uwe Ronneburger, dpa)
Quelle: ntv.de