Dossier

Landshut-Entführung Operation "Feuerzauber"

Es ist eine Art innere Stimme, die Jürgen Vietor vielleicht das Leben rettet. Eben noch hatte er ruhig von seinem Copilotensessel aus in den Himmel über Mogadischu geschaut. Doch jetzt überkommt ihn nur ein Gefühl: "Ich muss hier raus." Vietor setzt sich nach hinten in die Passagierkabine. Wenige Momente später explodiert die erste Blendgranate, und Elitepolizisten der GSG 9 stürmen die "Landshut". In dem sieben Minuten langen und doch endlosen Kampf erschießen die deutschen Beamten drei der vier Terroristen und befreien die Passagiere nach fünf Tagen Quälerei.

Als Bundeskanzler Helmut Schmidt in Bonn von der erfolgreichen Aktion in Somalia erfährt, schießen ihm Tränen in die Augen. Die Geiselbefreiung ist einer der wenigen glücklichen Momente im Deutschen Herbst, der im April 1977 mit dem Attentat auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback beginnt und im Oktober mit der Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer endet.

Doch schon am nächsten Morgen folgt der Super-GAU für die Bundesregierung. Im Stuttgarter Gefängnis Stammheim, bekannt als Hochsicherheitsanstalt, begeht die Führungsriege der Roten-Armee-Fraktion Selbstmord. Andreas Baader und Jan-Carl Raspe erschießen sich mit Pistolen, die von Anwälten ins Gefängnis geschmuggelt wurden, Gudrun Ensslin erhängt sich. Irmgard Möller sticht sich vier Mal in den Brustkorb und überlebt schwerverletzt. Trotz der Kontaktsperre hatten die Inhaftierten per Radio von der "Landshut"-Befreiung erfahren und den Selbstmord verabredet. Die Todesnacht von Stammheim sorgt dafür, dass aus Baader und seinen Komplizen Märtyrer werden und sich bis in die 80er Jahre hinein neue RAF-Mitglieder finden.

Wie Schleyers Entführung sollte die Kaperung der "Landshut" die Bundesregierung unter Druck setzen, elf RAF-Häftlinge zu entlassen. Bei ihrem Vorhaben wurden die Linksterroristen von der palästinensischen Organisation PFLP unterstützt. Sie eint der Hass auf Israel, das seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 als Teil des imperialistischen Systems angesehen wird.

Die Entführung der "Landshut" beginnt am Mittag des 13. Oktober über Südfrankreich. Lufthansa-Flug 181 ist mit 86 Fluggästen, drei Stewardessen und zwei Piloten auf dem Weg von Palma de Mallorca nach Frankfurt am Main, als die vier Terroristen die Passagiere im Heck der Maschine zusammentreiben und ins Cockpit stürmen. Die Gruppe, die mit Pistolen und Handgranaten bewaffnet ist, besteht aus zwei Männern und zwei Frauen.

Anführer ist der 23-jährige Libanese Zohair Youssif Akache, der sich zum "Captain Martyrer Mahmud" ernennt. Er schlägt und erniedrigt immer wieder Besatzungsmitglieder und Passagiere, die sich nach Beginn der Entführung für Stunden nicht bewegen dürfen. "Es war ein Terror-Regime über fünf Tage lang", erinnert sich die damalige Stewardess Gabriele von Lutzau.

Erster Zwischenstopp auf der Odyssee ist Rom. Bei der Bundesregierung in Bonn liegen die Nerven blank: Innenminister Werner Maihofer will die Reifen zerschießen lassen. "Das wäre ein Blutbad geworden", sagt Copilot Vietor heute. Ohne Erlaubnis startet die Boeing 737 am Abend und fliegt mit Zwischenstopps in Larnaca auf Zypern und Bahrain nach Dubai am Persischen Golf. Wie zuvor Beirut, Damaskus, Bagdad und Kuwait hatten die Behörden die Landung verboten. Die Terroristen ignorieren dies - Dubai wird der längste Aufenthalt.

Unterdessen bereitet sich in Deutschland Schleyers Sohn Hanns Eberhard auf die Übergabe von 35 Millionen Mark Lösegeld an die RAF vor. Doch die Aktion scheitert wegen einer gezielten Indiskretion der Bundesregierung. Verzweifelt wendet sich Schleyer an das Bundesverfassungsgericht und will mit einer einstweiligen Verfügung die Regierung zwingen, die Forderungen der Terroristen zu erfüllen und seinem Vater das Leben zu retten. Die Karlsruher Richter weisen den Antrag zurück und lassen der Regierung Schmidt freie Hand.

In Dubai spitzt sich die Lage zu. Der Flughafen verweigert Kraftstoff, worauf die Terroristen mit der Erschießung von Geiseln drohen. Im letzten Moment lenken die Behörden ein. Die Maschine fliegt weiter nach Aden im Jemen, wo Vietor mit dem Jet wegen einer verstellten Landebahn auf einer Sandpiste aufsetzt. Als Kapitän Jürgen Schumann von einer Inspektion der Maschine verspätet zurückkehrt, ist Anführer Mahmud außer sich und erschießt den 37-Jährigen kaltblütig. Schumann kostet auch sein Mut das Leben: Er hatte in Dubai per Funk heimlich Informationen über die Zahl der Entführer herausgegeben.

Schumanns Informationen sind wichtig für die GSG 9, die der "Landshut" per Sondermaschine unbemerkt zur letzten Station Mogadischu folgt. Dort verhandelt ein Vertreter der Bundesregierung per Funk mit Mahmud, spricht von Entlassung der Inhaftierten und erreicht so die Verlängerung des Ultimatums. Dann geht alles Schlag auf Schlag: Somalische Soldaten entzünden zur Ablenkung ein Feuer, GSG-9-Beamte sprengen um 00.05 Uhr die Türen auf und werfen Blendgranaten, die die Terroristen für kurze Zeit außer Gefecht setzen.
Bei der Schießerei in der Kabine sind die Passagiere in akuter Lebensgefahr: Geschosse fliegen über die Sitze, zwei Handgranaten explodieren. Doch die Geiseln und die Grenzschutzbeamten überleben die Operation "Feuerzauber" ohne größere Verletzungen. "Wir waren einfach noch nicht dran", sagt die damalige Stewardess von Lutzau.

Quelle: ntv.de

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