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Zwischenruf Entspannung an der Ostsee

Wladimir Putin und Donald Tusk treffen sich anlässlich des 70. Jahrestages des Beginns des 2. Weltkrieges.

Wladimir Putin und Donald Tusk treffen sich anlässlich des 70. Jahrestages des Beginns des 2. Weltkrieges.

(Foto: REUTERS)

Allein schon das Treffen von Spitzenvertretern der mittel- oder unmittelbar vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs berührten Staaten auf der polnischen Westerplatte ist ein ermutigendes Zeichen.

Der wortbrüchige Beschuss der polnischen Besatzung der damals zur Freien Stadt Danzig gehörenden Halbinsel durch das deutsche Linienschiff "Schleswig-Holstein" ist das Symbol des Beginns des in der Geschichte bespiellosen Mordfeldzugs, auch wenn die deutsche Luftwaffe zuvor schon 1.200 Menschen des Städtchens Wielu? bei ?ód? umgebracht hatte.

Am Ende des Weltenbrandes standen 60 Millionen Tote. Die meisten Opfer brachten die Sowjetunion und Polen, die 20 beziehungsweise sechs Millionen Opfer zu beklagen hatten, darunter auch die Mehrheit der sechs Millionen von den Nazis ermordeten Juden. Wenn Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin gegenüber seinem polnischen Kollegen Donald Tusk die einstige Waffenbrüderschaft hervorhebt, dann versucht er ein neues Kapitel in den traditionell gespannten Beziehungen zwischen beiden Staaten aufzuschlagen. In diese Richtung weisen auch die Distanzierung vom Hitler-Stalin-Pakt und dem Mord an mehr als 20.000 polnischen Offizieren und Intellektuellen durch den damaligen sowjetischen Geheimdienst NKWD in Katy?.

Es gäbe eine Menge aufzurechnen aus dem Jahrhunderte langen Nebeneinander von Russen, Polen und ihren Nachbarn. So auch die mutmaßliche polnische Verantwortung für den Tod von bis zu 80.000 sowjetischen Kriegsgefangenen nach dem polnisch-sowjetischen Krieg 1920, das mögliche Zögern der Roten Armee, 1944 den Warschauer Aufständischen der Armia Krajowa zu Hilfe zu kommen, die Beteiligung Polens an der Zerstückelung der Tschechoslowakei nach dem Münchner Abkommen 1938.

Die Versuche von Polens Staatschef Lech Kaczy?ski, der Moskauer Führung die Hauptverantwortung für den Überfall auf sein Land zu geben, widersprechen den historischen Tatsachen. Sie laufen den beiderseitigen Bemühungen um eine Belebung ihrer Beziehungen zuwider. Regierungsvertreter beider Länder hatten zuvor mehrere Vereinbarungen über die Umsetzung gemeinsamer Wirtschaftsprojekte unterzeichnet. Das ist der Pragmatismus, von dem Putin spricht und den Tusk stillschweigend anerkennt. Ein Durchbruch ist das noch nicht. Aber ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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