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Der Kommentar Pragmatischer Grüner

Die Grünen haben ihr Führungspersonal nie besonders pfleglich behandelt. Die Grünen in Baden-Württemberg auch nicht den, der Bundesvorsitzender werden sollte. Aber Cem Özdemir hat Steherqualität bewiesen, indem er kandidierte, auch nachdem sein Landesverband ihm törichterweise einen sicheren Listenplatz für die Bundestagswahl versagt hatte. Die Standfestigkeit und eine kämpferische Bewerbungsrede hat die Bundesdelegiertenversammlung in Erfurt Özdemir mit einem beachtlichen Wahlergebnis honoriert. Übrigens hat sein Vorgänger Reinhold Bütikofer gezeigt, wie ein Vorsitzender auch ohne Mandat wirkungsvoll agieren kann. Dabei war Bütikofer bei der Wahl 2002 doch nur der Notnagel gewesen.

Gerade den Grünen steht es gut an, einen Politiker an der Spitze zu haben, dessen Wurzeln nicht in Deutschland liegen. Der "anatolische Schwabe", wie sich Özdemir selbst nennt, gibt ein Signal, das weit über seine Partei hinaus bedeutsam ist. Er ist der Beweis dafür, dass Integration möglich ist. In der Grundschule, so hat er einmal erzählt, haben die anderen Kinder noch gelacht, als er verkündete, er wolle aufs Gymnasium.

Der pragmatische Grüne, ein Realo, der nie ein Flügelmann war, ist eine notwendige Ergänzung zu der mit eindrucksvoller Stimmenzahl wiedergewählten Ko-Vorsitzenden Claudia Roth, die seelenvoll die grünen Emotionen bedient. Er kommt ins Amt in einer Zeit, in der die Grünen neue Orientierung suchen. Die Umfragen lassen nicht erwarten, dass sie allein mit der SPD 2009 wieder in die Bundesregierung kommen können. Eine Kooperation mit der Linken kommt für beide erklärtermaßen im Bund nicht in Frage. In den Ländern wiederum verlockt das Debakel in Wiesbaden nicht zu einer Wiederholung dieses Experiments, auch wenn nicht überall Hessen ist. In ihrer Sozialstruktur sind die Grünen als eine Partei des höheren Bildungsstands ohnehin schon bürgerlicher als die Union. Trotz der Gegensätze, die der Parteitag mit seinen Beschlüssen und Özdemir in seiner Rede unterstrichen hat, führt 2009 auch für die Grünen der Weg in die Regierung aus heutiger Sicht nur über eine Öffnung gegenüber CDU/CSU und FDP. Der neue Ko-Vorsitzende wird dabei kaum ein Hindernis sein.

Quelle: ntv.de

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