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Zwischenruf SPD will links und mittig sein

Die Sozialdemokraten wollen 2013 an die Regierung. Auf dem Parteitag in Berlin müssen sie dafür ihre Vergangenheit hinter sich lassen und sich neu ausrichten. Mitte-Links soll die neue Position lauten. Kann das funktionieren? Nein, denn eine politische Partei sollte in Lage sein, sich zu entscheiden.

Vom SPD-Parteitag geht ohne Zweifel ein Signal des Aufbruchs aus. Mitte-Links ist das neue Schlagwort. Es ist das erste Mal in der deutschen Parteiengeschichte, dass sich eine politische Formation so definiert. Bislang galt der Begriff Mitte-Links nur für Regierungs- oder andere Bündnisse von linken Parteien und solchen, die sich in der gesellschaftlichen Mitte ansiedeln. Die SPD versteht sich nunmehr offensichtlich als eine Art Two-in-One.

Knapp 800 Seiten umfassat der Katalog mit Anträgen auf dem SPD Parteitag.

Knapp 800 Seiten umfassat der Katalog mit Anträgen auf dem SPD Parteitag.

(Foto: dpa)

Einerseits will sie sich von der Bürde der Schröderschen Agenda 2010 befreien, in deren Ergebnis sich weit über eine halbe Million Mitglieder von ihr abgewandt hatte. 1906 (!) hatte die SPD mehr Mitglieder als heute. Andererseits soll ein Bündnis zwischen den Starken und den Schwachen zustande kommen, wie Ex-Finanzminister Peer Steinbrück es formuliert. Es ist richtig, wenn die SPD den Spitzensteuersatz auf 49 Prozent anheben will. Aber: Unter Helmut Kohl lag der Satz bei 53 v.H. Steinbrück warnt davor, die "Leistungsstarken" zu hoch zu besteuern. Allein schon der Begriff diskriminiert jene, die keineswegs schwache Leistungen erbringen, denen aber aufgrund der von Steinbrück unter Gerhard Schröder beförderten "Liberalisierung" des Arbeitsmarktes Hungerlöhne gezahlt werden. Präziser wäre die Unterteilung in solche, die von Kapital- und anderen Gewinnen leben und Lohnabhängige.

Der Anteil der Gewinn- und Kapitaleinkommen am Volkseinkommen ist im ersten Halbjahr 2011 wieder deutlich gestiegen, die Lohnquote zurückgegangen. In Deutschland werden große Vermögen im Vergleich zu den meisten anderen EU-Staaten mit am schwächsten besteuert. Der Löwenanteil am Steueraufkommen entstammt anhängiger Arbeit. Doch es ist schwer für die Sozialdemokratie, über den eigenen Schatten - den der Vergangenheit - zu springen.

Es muss noch Butter bei die Fische

Der von Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner eingebrachte Kompromissvorschlag, die umstrittene Abgeltungssteuer beizubehalten und nach drei Jahren noch einmal zu prüfen, erinnert an das auf dem Parteitag bekräftigte Konstrukt, die Rente mit 67 von Zeit zu Zeit einer Prüfung zu unterziehen.

Es zeugt von tiefem Frust des Parteivorsitzenden, wenn er davor warnt, die SPD dürfe sich nie mehr so weit von Arbeitnehmern und Gewerkschaften entfernen (wie unter Schröder). Mit den Parteitagsbeschlüssen zur Steuerpolitik macht sie einen halben Schritt in die richtige Richtung. Doch wenn die SPD 2013 gewinnen will, muss noch Butter bei die Fische. Die Sozialdemokraten können dann zwar ein Mitte-Links-Bündnis eingehen, sie selbst aber können nur links oder mittig sein.

In der zweiten Hälfte der Neunziger wurde fast ganz EU-Europa sozialdemokratisch oder Mitte-Links regiert. Damals bestand die Chance, Demokratie für den Menschen und nicht für den Markt zu machen, um eine Formulierung von Sigmar Gabriel aufzugreifen. Passiert ist das Gegenteil. Das kann sich die deutsche, kann sich die europäische Sozialdemokratie nicht noch einmal leisten. Two-in-One mag bei Shampoo funktionieren. Politische Parteien dagegen sollten in der Lage sein, sich klar zu entscheiden.

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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