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Kommentar zu Protesten in Israel Tel Aviv ist nicht Kairo

Junge Demonstranten in Israel: Politische Vertreter sind unerwünscht.

Junge Demonstranten in Israel: Politische Vertreter sind unerwünscht.

(Foto: dpa)

In Israel gehen Hunderttausende Menschen auf die Straßen, um gegen teure Mieten und hohe Lebenshaltungskosten zu protestieren. Doch wer eine Parallele zu den Protesten in der arabischen Welt sieht, täuscht sich: In Israel wird die Regierung nicht infrage gestellt.

Die Versuche, das massenhafte Aufbegehren der israelischen Bevölkerung gegen Missstände aller Art mit den Revolutionen in Kairo, Tunis, Jemen oder Syrien zu vergleichen, sind fehl am Platz. Die israelischen Studenten protestieren mit einer Zeltstadt gegen zu hohe Mietpreise und beabsichtigen nach eigenen Angaben keinesfalls, die von ihnen gewählte Regierung zu stürzen.

Bewusst halten sie Politiker von ihren Kundgebungen fern. Die Großdemonstration in Tel Aviv war eher ein Popkonzert mit beliebten Sängern wie Schlomo Artzi und Rita. Nicht einmal die allmächtige Gewerkschaft Histadruth durfte Profil zeigen.

Seit Tagen gehen tausende Menschen gegen die gestiegenen Preise auf die Straßen.

Seit Tagen gehen tausende Menschen gegen die gestiegenen Preise auf die Straßen.

(Foto: AP)

Die Ursache des Übels: In Israel gibt es, wie in jedem anderen Land, zahllose gewachsene Strukturen, die sich als Segen für die Wirtschaft des Landes, aber als Fluch für viele Bürger herausstellen. Dazu gehört etwa die verbreitete Methode, die "Miete" in die eigene Tasche zu zahlen, indem man mit einer Hypothek eine Eigentumswohnung kauft und den Kaufpreis dann 25 Jahre lang abstottert.

Kosten steigen

Studenten, junge Paare mit Kleinkindern, Alte und Kranke können die außerordentlich hohen Lebenskosten kaum bestreiten, obgleich das Durchschnittseinkommen bei 1800 Euro liegt. Lebensmittel sind teurer als in der EU oder in den USA. Da gibt es viel zu korrigieren und die verfügbaren Gelder anders zu verteilen. So wurde vorgeschlagen, Multimillionäre und Großkonzerne höher zu besteuern. Schon wird auch darüber geredet, den Verteidigungshaushalt zu kürzen, während gleichzeitig die Armee aufgerufen ist, wegen erneutem Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen wieder ein besonders teures Abwehrsystem, die "Eisenkappe", aufzustellen.

Auch die Demonstranten wissen, dass man nicht gleichzeitig Steuern senken und mehr Ausgaben für Soziales, für Infrastruktur und Verteidigung verlangen kann. Deshalb sind die Proteste eigentümlich unpolitisch und nicht gegen die Regierung gerichtet. Sie wirken eher wie ein Sommervergnügen, wie eine "Suschi-Party", während die 400 Zelte auf dem Mittelstreifen des Rothschild-Boulevards in Tel Aviv mit "Woodstock" verglichen werden.

Ulrich W. Sahm.

Ulrich W. Sahm.

Gerade weil diese Protestbewegung viel zu viele Ziele hat und keine klare politische Linie verfolgt, droht sie, im Sande zu verlaufen. Gleichwohl ist Israels Regierung gut beraten, die Beschwerden aufzugreifen, damit es nicht in Zukunft zu ernsthafteren Protesten kommt.

Der Nahe Osten ist sein Metier. Ulrich W. Sahm berichtet seit Mitte der 1970er Jahre aus der Region. Er ist immer auf der Suche nach der Geschichte hinter der Nachricht.

Quelle: ntv.de

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