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Kommentar Vier Gründe gegen Internetsperren

Kinderpornografie bekämpfen ist eine gute Sache. Das Gesetz, das der Bundestag dazu verabschiedet hat, aber nicht. Vier Gründe, warum die Bundesregierung das Gesetz mit der Einführung von Internetsperren besser hätte lassen sollen.

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Protest leider erfolglos: Die Argumente der Internetgemeinde konnten die Netzsperren nicht verhindern.

(Foto: AP)

Es ist beschlossene Sache: Der Bundestag hat mit den Stimmen der Großen Koalition ein Gesetz verabschiedet, das im Kampf gegen Kinderpornografie die Sperrung von Internetseiten ermöglicht. Wenn Bundespräsident Horst Köhler nicht noch überraschend seine Unterschrift verweigert, wird das Gesetz in Kürze rechtliche Gültigkeit erlangen. Eigentlich eine gute Sache, könnte man meinen, schließlich will Familienministerin Ursula von der Leyen Kinderpornografie bekämpfen. Ist es aber nicht. Denn wie bei jedem Gesetz sollte man abwägen, welchen Nutzen die Regelung hat und welchen Schaden sie anrichtet. Und in diesem Fall wiegt der Schaden deutlich schwerer. Vier Gründe, warum die Bundesregierung das Gesetz hätte besser lassen sollen.

1. Wirksamer Kampf gegen Kinderpornografie

In einem sind sich alle einig: Der Missbrauch von Kindern muss und soll bekämpft werden. Dafür müssen Opfer geschützt und Täter verfolgt werden. Das passiert mit diesem Gesetz nicht – es zielt lediglich auf die vermeintliche Masse von sogenannten Trittbrettfahrern ab. Leute also, die durch Zufall oder Neugier auf Internetseiten mit kinderpornografischen Inhalten gelangen und nun auf "Stopp"-Seiten treffen werden. Nach Angaben der Familienministerin könnten damit 70 bis 80 Prozent der potenziellen Täter abgehalten werden. Das würde sich auch finanziell auf die Anbieter kinderpornografischer Inhalte auswirken und damit den kommerziellen Massenmarkt mit Kinderpornos im Netz erheblich treffen. Belege für diesen Massenmarkt gibt es allerdings nicht, im Gegenteil. Nach Angaben von Experten wie dem Düsseldorfer Rechtsanwalt Udo Vetter kommen die meisten Konsumenten kinderpornografischer Inhalte über Tauschbörsen, Chaträume, E-Mail-Verteiler oder den klassischen Postweg zu ihrer ekelhaften Ware. Die pädokriminelle Szene schottet sich von der Öffentlichkeit ab.

Zudem sind die "Stopp"-Seiten nicht anderes als eine Art Sichtblende, die technisch sehr leicht zu umgehen ist. Das Gesetz sorgt weder dafür, dass die kinderpornografischen Inhalte gelöscht werden noch dass die Anbieter dieser Inhalte strafrechtlich belangt werden. Beides wäre bereits jetzt nach der bestehenden Rechtslage möglich.

2. Prinzip der Rechtstaatlichkeit wahren

Natürlich soll die Polizei Straftäter verfolgen – in der realen Welt genauso wie im Internet. Zur Gefahrenabwehr soll das BKA also durchaus eigenständig, ohne richterliche Genehmigung aktiv werden dürfen. Doch müssen in solchen Fällen dann im Nachhinein Richter das Vorgehen der Beamten überprüfen und gegebenenfalls korrigieren. Bei den im Gesetz vorgesehenen Sperrlisten des BKA ist das nicht der Fall. Um der massiven Kritik an dem Gesetz etwas entgegenzusetzen, wurde auf die schnelle noch eine "Expertengremium" beim Bundesdatenschutzbeauftragten hineingeschrieben, das die Listen überprüfen soll. Doch selbst der Datenschützer will sich nicht als Ersatz-Richter missbrauchen lassen – das Rechtstaatsprinzip wird ausgehöhlt. Vermutlich wird sich das Bundesverfassungsgericht bald mit diesem Problem befassen.

3. Staatlichen Missbrauchsmöglichkeiten vorbeugen

Ursula von der Leyen ist vielleicht keine "Zensursula", wie sie von der Internetgemeinde beschimpft wird, weil diese in dem Gesetz vor allem eine Zensurmaßnahme sehen. Richtig ist aber, dass mit den nicht-öffentlichen BKA-Listen ohne richterliche Überprüfung ein intransparentes Instrument geschaffen wird, das missbrauchsanfällig ist. Welche Internetadressen stehen dort wirklich drauf? Wer garantiert, dass nicht auch Internetseiten mit anderen Inhalten auf diesen schwarzen Listen landen? Zu groß dürfte die Versuchung für Strafverfolgungsbehörden sein, dieses Instrument zu nutzen. Dass es bereits aus der CDU die Forderung nach einer Ausweitung auf den Bereich vermeintlicher "Killerspiele" gibt, ist der beste Beleg dafür.

4. Handwerklich schlecht gemachtes Gesetz

Die Große Koalition hat ein Gesetz beschlossen, das – wie vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages bescheinigt – weitgehend wirkungslos und gleichzeitig grundrechtsgefährdend ist. Bedenken des Justizministeriums, das BKA überschreite mit den Sperranordnungen seine Kompetenzen und das Recht eines jeden, sich im Internet frei zu bewegen, werde eingeschränkt, wurden von der Familienministerin ignoriert. Zudem bleibt als einzig effektive Maßnahme in dem Gesetz die leicht umgehbare Sperre der Internetseiten: Nach massiven Bedenken innerhalb der Regierung dürfen die IP-Adressen von Nutzern, die auf solche Seiten gelangen, nicht für die Strafverfolgung verwendet werden. Das ist zwar verständlich. Doch welcher effektive Nutzen bleibt dann eigentlich noch?

Es ist symbolische Politik. Ursula von der Leyen geht es in erster Linie darum, ein Zeichen gegen Kinderpornografie zu setzen. Das Gesetz sei nur ein erster Schritt, betont sie. Leider in die falsche Richtung, wie auch eine Umfrage ihres eigenen Ministeriums belegt: Zwar ist ein Großteil der Bevölkerung für die Sperrung von kinderpornografischen Seiten, aber nur 29 Prozent halten das Gesetz für wirkungsvoll.

Alles in allem hat der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das handwerklich schlecht gemacht, im Kampf gegen Kinderpornografie kaum wirksam und rechtstaatlich höchst bedenklich ist. Ein Armutszeugnis für die Bundesregierung. Wie auch beim neuen Waffenrecht scheint die Große Koalition im Fall der Kinderpornografie nicht in der Lage zu sein, wirksame Maßnahmen im Interesse der Betroffenen zu fällen. Vielleicht bringt der Bundespräsident doch noch den Mut auf, das mit seiner Unterschriftsverweigerung zu verhindern.

Quelle: ntv.de

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