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Wulff ist zurückgetreten Wandel der Union fällt aus

Christian Wulff und Karl-Theodor zu Guttenberg - gemeinsam in ihren besseren Tagen.

Christian Wulff und Karl-Theodor zu Guttenberg - gemeinsam in ihren besseren Tagen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Affäre um Kredite und Drohungen, die Posse aus Reumut und Geheimniskrämerei haben Ex-Bundespräsident Wulff das Amt gekostet. Damit katapultiert sich der zweite "junge" Kopf der Unionsparteien aus der politischen Spitze. Und entblößt die Hoffnungen der Konservativen als Fassade.

Es ist vorbei. Christian Wulff ist nicht mehr der Bundespräsident Deutschlands. Warum er sich so lange Zeit gelassen hat, vor Mitarbeitern im Bundespräsidialamt Anfang Januar sogar behauptete, "in einem Jahr ist all das vergessen" – dass weiß so richtig niemand. Fühlte er sich zu sicher, verkannte die Situation? Wenn sich die Spirale der Aufklärung einmal dreht, ist sie schwer zu stoppen. Sie bohrt sich tiefer und tiefer, weil alle Beteiligten doppelt so genau hinschauen oder hinschauen wollen; Ermittler, Presse, Wähler.

(Foto: REUTERS)

Mit Wulff wird auch der zweite der "neuen Generation" von Unionspolitikern hinweggefegt, trotz seiner Erfahrung als Ministerpräsident Niedersachsens. Er war der jüngste Bundespräsident aller Zeiten. Zur Zeit seines Antritts im Sommer 2010 arbeitete sich der "fabelhafte" Karl-Theodor zu Guttenberg an der Bundeswehrreform ab, und ließ die Republik wissen, dass er sich nicht "zurückpfeifen" lasse. Wulff brauchte derweil zwar mehrere Wahlgänge in der Bundesversammlung, aber am Ende war er im Amt. Der Coup der CDU war gelungen - und ist nun wieder zuende, weil sich Wulff nicht mehr vom "breiten Vertrauen einer Mehrheit" getragen sieht.

Der CDU-Politiker galt wie Guttenberg als frisch, dynamisch, zudem war er als Ministerpräsident erfolgreich – sein Gegenkandidat Joachim Gauck, der ehemalige DDR-Bürgerrechtler, war der Typ mit dem erhobenen Zeigefinger, ein Relikt der Geschichte. Die Union wollte nicht zurück in die Zukunft, sie wollte einen Wandel.

Nun hat sie ihn, wenn auch anders, als sie wollte.

Integrität verloren

Die Chronologie der Ereignisse um Christian Wulff sind Leitplanken dieser Entwicklung. Das höchste Amt des deutschen Staates ist ein repräsentatives, eines mit der Funktion der Reflektion gesellschaftlicher Entwicklungen. Das Ideal sieht darin eine Art Beobachterposten, neutral, vom ewigen Gezerre von Regierung und Opposition unabhängig. Wulff begann geradezu bedächtig, tastete sich verbal vor, schien geeignet für die fünf Jahre als Bundespräsident. Doch im November 2011 leugnete er zunächst Geschäftsbeziehungen für einen Kredit. Dann setzte er Medien hinter den Kulissen unter Druck, hielt öffentliche Ankündigungen zu Stellungnahmen nicht ein – der CDU-Mann verlor seine Integrität.

Verloren hat auch die Union; den zweiten ihrer Köpfe, der für jüngere Wähler attraktiv, einen übergangslosen Generationswechsel in den Ämtern ermöglichen und mit einem frischen Geist vermitteln sollte. Verloren einen weiteren Politiker, der vermeintlich alles vereinen konnte: Kompetenz, Übersicht, Ergebnisorientierung, Standfestigkeit. Dazu medientauglich, samt gesellschaftlich aktiver, attraktiver Frau, am Puls der Zeit. Ein bisschen Farbe im grauen Politikalltag der Republik.

Nach Horst Köhler ist Christian Wulff der zweite Bundespräsident der Partei in Folge, der vorzeitig aufgibt. Bei seinen letzten Sätzen zeigte er sich "überzeugt, dass ich vollständig entlastet werde". Die Staatsanwaltschaft wird beantworten, ob seine Überzeugung richtig ist. Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte als Reaktion zu Wulffs Rücktritt lediglich die "Stärke des Rechtsstaates", dass er alle Personen unabhängig von Stellung gleich behandele. Uneingeschränkte Rückendeckung klingt anders. Wie auch immer das Ergebnis der Ermittler ausfällt - die politische Karriere Wulffs dürfte beendet sein, zumindest vorerst.

Und jetzt?

Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler müssen sich nun auf einen neuen Kandidaten der Bundesregierung einigen. Doch noch einmal einen eigenen CDU/CSU-Kandidaten gegen den Willen der Opposition durchzudrücken, das könnte der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln sein. Das weiß auch Merkel, und kündigte wenige Minuten nach Wulffs Rücktritt einen gemeinsamen Kandidaten mit Grünen und SPD an.

Für die Union ist die Affäre parteipolitisch noch nicht beendet, der personelle Wandel muss warten. Ex-Superstar zu Guttenberg ist im Exil, der vermeintlich integre Wulff nicht mehr in ein Amt vermittelbar. Die Verheißung der neuen Generation hat sich als Mischung aus Unfähigkeit, Selbstüberschätzung und Fassade entpuppt.

Quelle: ntv.de

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