Neue Verfassung in Tunesien "Die Weichen sind gestellt"
26.01.2014, 21:54 Uhr
In Ägypten droht die Rückkehr einer Militärherrschaft, Syrien versinkt weiter im Bürgerkrieg und in Libyen paralysieren unkontrollierbare Milizen den Staat: Der arabische Frühling hat vielen Menschen bislang vor allem Gewalt und Leid gebracht. Lediglich in Tunesien scheint ein echter Wandel hin zu Freiheit und Demokratie weiter nahe. Das Land gibt sich eine neue Verfassung und der Westen gratuliert.
Die Frankfurter Allgemeine sieht allen Grund für Tunesien, die neue Verfassung zu feiern. "Weil sie trotz einiger Schwächen fortschrittlich ist - und weil am Ende eines langen Machtkampfes nicht Blutvergießen und Spaltung, sondern ein Kompromiss steht. Die Tunesier haben damit einen großen Schritt auf einem nun wieder hoffnungsvollen Weg getan."
Ob am Ende dieses Weges tatsächlich ein demokratisches und gerechtes Staatswesen steht, ist noch lange nicht ausgemacht. Der Text muss jetzt mit Leben gefüllt werden. Die Nürnberger Zeitung warnt, die umwälzenden Veränderungen in Tunesien seien "noch keine Garantie für das Gelingen der Transformation eines feudalen, religiös und stammesgeschichtlich fundierten orientalischen Landes in eine Demokratie westlicher Prägung. Zur bloßen Kopie unseres Systems muss und soll dieses arabische Land auch nicht werden."
Ähnliche Töne kommen von der Frankfurter Rundschau: "Tunesien hat sich die fortschrittlichste Verfassung der Region gegeben. Kein Wort von Scharia, und die Frauen haben die gleichen Rechte wie die Männer. (...) Die Weichen sind gestellt. Nun kommt es darauf an, ob die neue Verfassung auch eingehalten wird. Die alte Verfassung wurde mit Füßen getreten. Letztlich jedoch hängt das Schicksal Tunesiens davon ab, ob es gelingt, den Jugendlichen im vernachlässigten Landesinnern, die die Jasmin-Revolution ausgelöst haben, Arbeit und eine Lebensperspektive zu bieten."
"Das weltweit positive Echo auf den Durchbruch dürfe nicht darüber hinwegtäuschen", so der Mannheimer Morgen, "dass es dauern wird, bis der Staat auch in der Realität eine moderne Demokratie ist. Der reine Verfassungstext allein besagt wenig, sonst würden ja auch hierzulande Frauen nie benachteiligt werden und genauso viel verdienen wie Männer."
Mut macht die Süddeutsche Zeitung: "Tunesiens Armee ist schwach, die Zivilgesellschaft stark, das senkt die Hoffnung auf Heilsbringer in Uniform wie in Ägypten. Die Partei hat, wenn auch spät, die Regierung an Unabhängige übergeben. Diese widerwillige Flexibilität unterscheidet Tunesien von allen anderen Ländern der Region. Die Verfassung ist ein kleiner Schritt. Aber wenigstens einer in die richtige Richtung."
Zusammengestellt von Anna Veit
Quelle: ntv.de