Pressestimmen

Islamisten gewinnen Wahl "Tunesien bietet Laborsituation"

Aus den ersten freien Wahlen in Tunesien geht die islamistische Ennahdha-Bewegung offenbar als Sieger hervor. Erlebt der "arabische Frühling" in seinem Mutterland seinen ersten Dämpfer? Die Presse ruft zur Besonnenheit auf. Der Westen muss den Wahlausgang anerkennen und Tunesien Zeit geben. Vor allem aber Vertrauen.

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(Foto: dpa)

"Tunesien bietet eine Laborsituation. Der Westen kann sich im Umgang mit moderaten islamistischen Gruppen üben, die in der arabischen Welt verstärkt seine Ansprechpartner sein werden. Und Ennahda wird sich in der Praxis bewähren müssen", kommentiert der Berliner Tagesspiegel den Wahlausgang in Tunesien. Und dann werde sich zeigen: "Ist sie rein ideologisch-islamistisch, wird sie die Probleme des Landes nicht lösen, sondern verschärfen und bei den nächsten Wahlen wohl abgestraft. Vielleicht ist sie aber einfach eine konservative Kraft, die sich als Gegenstück zu den mehrheitlich links eingestellten laizistischen Kräften versteht. In beiden Fällen sind die Lehren interessant für die übrigen Länder des Arabischen Frühlings, wo die Ausgangssituationen teilweise schwieriger sind."

Die Stuttgarter Zeitung sieht das ähnlich: "Die Zeiten haben sich geändert. Zu Jahresbeginn hat das Volk sein Schicksal in die eigenen Hände genommen, dafür gebührt ihm Respekt und Anerkennung. Wer die Leistung des Wählers und die Wahlen selbst anerkennt, der muss auch anerkennen, auf wen die Mehrheit der Stimmen entfallen ist: die islamistische Ennahdha-Bewegung. Das schließt ja nicht aus, dass die nächsten Schritte des Siegers kritisch begleitet werden. Nun sind die Islamisten in der Pflicht: Sie müssen ihr Versprechen, die Menschenrechte, insbesondere die Rechte der Frauen zu achten, einhalten, und das wenige, was in der Vergangenheit gut war, bewahren."

Auch die Märkische Allgemeine mahnt zur Besonnenheit: "Bei Lichte besehen ist nicht viel mehr passiert, als dass die Tunesier ihrem politischen Willen beispielhaft demokratisch Ausdruck verliehen haben." Auch, wenn das Wahlergebnis dem säkularen Europäer nicht behagen möge, so war "doch anderes als ein Sieg einer religiös geprägten Partei (...) im islamischen Tunesien kaum denkbar". (...) "Die neuen Mächtigen räumen der zuvor unterdrückten Religion nun Kraft des vom Volk erteilten Mandats einen stärkeren Platz in der Gesellschaft, aber auch im Staatswesen ein. Die Scharia soll eine, aber nicht die einzige Quelle der Rechtsprechung sein, über die Auslegung ist nichts gesagt. Den Tunesiern ist ein 'moderater' islamischer Staat versprochen. Er wird sich beweisen müssen. Aber dafür muss man ihm auch Zeit geben."

"Wer nur dann eine Demokratisierung in Nordafrika befürwortet, wenn diese Militärherrscher oder Vasallen des Westens an die Macht führt, argumentiert heuchlerisch", meint auch die Heilbronner Stimme. "Und auch wenn es in Tunesien viele Betonköpfe gibt, die das Land in einen rückwärtsgewandten Gottesstaat verwandeln wollen - bislang zeigen die Erfahrungen in Demokratien: Entweder die Islamisten verstricken sich in Grabenkämpfe und zerlegen sich selbst. Oder sie werden pragmatisch. Und so viel Vertrauen sollte man dieser weltoffenen arabischen Bewegung entgegenbringen, dass man ihr zutraut, den Geist der Revolution zu behaupten."

Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Nadin Härtwig

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