Wirtschaft

Bitcoin bald auf 100.000 Dollar? "Die Gier im Kryptomarkt ist brandgefährlich"

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Die Kurssprünge beim Bitcoin sind gigantisch. Die 100.000-Dollar-Marke liegt in Schlagdistanz. Was treibt die Rallye an - und wie viel Luft gibt es noch nach oben?

Die Kurssprünge beim Bitcoin sind gigantisch. Die 100.000-Dollar-Marke liegt in Schlagdistanz. Was treibt die Rallye an - und wie viel Luft gibt es noch nach oben?

(Foto: picture alliance/dpa/Revierfoto)

Der selbst ernannte "Bitcoin-Präsident" Donald Trump jagt den Kurs der Cyberwährung von einem Rekord zum nächsten. Kryptoanalyst Timo Emden warnt im Interview mit ntv.de vor Wetten auf Ankündigungen, die sich möglicherweise nicht bewahrheiten werden.

ntv.de: Seit dem Wahltag vor zehn Tagen hat Bitcoin über 40 Prozent zugelegt. Dreht die ganze Kryptobranche jetzt durch?

Timo Emden: Das kann man fast so meinen. Aber dafür gibt es auch einen Grund: Das sind die Wetten auf ein künftig sehr kryptofreundliches Washington. Wir reden hier davon, dass die USA möglicherweise strategische Bitcoin-Reserven anlegen, von der "Krypto-Hauptstadt" der Welt, die Trump aus den USA machen möchte. Wir reden von der möglichen Entlassung Gary Genslers, dem Vorsitzenden der Finanzaufsichtsbehörde SEC, die Trump in Aussicht gestellt hat. Die Anleger nehmen das alles vorweg, weil sie darauf setzen, dass Donald Trump seine Ankündigungen wahr macht, wenn er ins Weiße Haus einzieht.

Und wird er das?

Das ist die große Frage. Meiner Meinung nach haben diese Wetten in den letzten Tagen ein bedenkliches Ausmaß angenommen. Die Kursrally ist aktuell insbesondere psychologisch und zum Teil irrational getrieben. Ich glaube, hier ist sehr viel Gier im Spiel. Viele Marktteilnehmer haben Angst, etwas zu verpassen. So etwas haben wir in der Vergangenheit immer wieder im Kryptomarkt gesehen. Ich halte das für brandgefährlich. Was ist, wenn Donald Trump im Januar nicht liefert? Wir kennen seine Prioritätenliste nicht. Es gibt andere Themen, die viel wichtiger sind als die Kryptobranche. Außerdem hat Trump schon einmal eine 180-Grad-Wende vollzogen. Er war gegen Bitcoin und Co. Plötzlich ist er absoluter Befürworter. Was ist, wenn er die 180-Grad-Wende von der 180-Grad-Wende macht und plötzlich wieder Krypto-Skeptiker ist?

Die Idee von einer staatlichen Bitcoin-Reserve in der Größenordnung der Goldreserve hat Robert F. Kennedy Jr. - der als Gesundheitsminister in Trumps Kabinett gehandelt wird - auf der großen Bitcoin-Konferenz Ende Juli in Nashville ins Spiel gebracht. Ist so eine große Bitcoin-Reserve überhaupt realistisch?

Grundsätzlich wäre es möglich. El Salvador hat es vorgemacht. Aber ich glaube, hier wurde zu viel versprochen. Trump wird nicht alles einhalten können, was hier gespielt wird. Das Enttäuschungspotenzial ist riesig. Für mich wäre die Einführung einer strategischen Reserve, wenn es denn dazu kommt, nur eine riesengroße Wette auf Kurssteigerungen. Denn man möchte ja damit die Staatsschulden senken. Die Eurozone und China werden sich das dann genau anschauen.

Und wenn es anders kommt, und die Blase platzt?

Das könnte Trump zum Verhängnis werden. Meiner Meinung nach ist das Risiko, dass er hier eingeht, viel zu hoch. Ich sehe hier auch einen Interessenkonflikt. Trump hat im September seine eigene kryptobasierte Plattform unter dem Namen World Liberty Financial vorgestellt. Eine strategische Bitcoin-Reserve würde Trump und seine Familie in die Karten spielen. Was man sich eventuell vorstellen könnte, ist, dass eine kleine Reserve gebildet wird, um sich anzuschauen, wie sich das Ganze entwickelt. Dann könnte er gegebenenfalls auch wieder eine Rolle rückwärts machen. Trump ist etwas in der Zwickmühle, denn der Druck, den Ankündigungen Taten folgen zu lassen, ist mittlerweile sehr groß, weil sehr viel eingepreist ist. Ich sehe da auch politischen Sprengstoff, weil die Kryptobranche inzwischen viel zu groß und einflussreich ist.

Es gibt mittlerweile über 23.000 verschiedene Kryptowährungen oder auch Coins. Bitcoin ist nur einer davon. Wie unterscheidet sich der Bitcoin von anderen Coins?

Der Großteil aller Kryptowerte ist mit sehr großer Vorsicht zu genießen. Es gab viele Betrügereien in der Vergangenheit. Bitcoin hat für mich Substanz. Das gleiche gilt für Ethereum, Ripple oder Cardano. Die Marktkapitalisierung zeigt, wie verbreitet sie jeweils sind. Hinter Ethereum stecken seriöse Anwendungsfälle, die mittlerweile auch in der Praxis Nutzen haben. Dass Elon Musks Favorit Dogecoin auf Platz sechs in den Krypto Top Ten liegt, ist dagegen für mich total verrückt. Dogecoin wurde ja ursprünglich als Parodie auf den Bitcoin aufgelegt. Der Kurs folgt jetzt einfach der Bitcoin-Rallye nach oben. Musks Rolle in der neuen US-Regierung spielt dabei natürlich auch eine Rolle. Aber die anderen neun sind Business Cases. Sie sind akzeptiert und haben eine Zukunft. Anleger sollten sich immer fragen: Was steckt hinter dem jeweiligen System? Wird es vielleicht irgendwann mal nützlich für die Wirtschaft sein?

Krypto-Analyst Timo Emden von Emden Research

Krypto-Analyst Timo Emden von Emden Research

(Foto: Emden Research)

Wenn man ehrlich ist, hat sich bei den praktischen Anwendungen in den vergangenen 25 Jahren nicht viel getan. Bitcoin ist 2009 gestartet. Bei Künstlicher Intelligenz haben wir immerhin Chat GPT, das viele im Alltag bereits nutzen. Wie erklären Sie das?

Man hat einfach schnell erkannt, dass es Systeme und Techniken gibt, die deutlich effizienter als Kryptowerte sind, natürlich auch, weil es viel regulatorischen Druck gab. Viele Unternehmen haben sich geweigert, in die Technologie zu investieren. Letztendlich hat man erkannt, dass Bitcoin gar nicht in erster Linie ein alternatives Zahlungsmittel sein sollte, sondern eher eine Art Wertspeicher. Der Markt akzeptiert Bitcoin oder Ethereum als alternative Investmentmöglichkeit, die unabhängig von den Zentralbanken der Welt und geldpolitischen Entscheidungen funktioniert. Man darf nicht vergessen: Bitcoin war die Antwort auf die Finanzkrise 2008, man wollte den Banken den Rücken kehren. Das große Asset von Bitcoin ist, dass die Menge an Coins auf maximal 21 Millionen Stück begrenzt ist. Das heißt, er ist dezentral und unabhängig.

Apropos dezentral. Wenn Trump eine große Bitcoin-Reserve anlegt, kann man bei so einer großen Menge noch von dezentral sprechen?

Im Zusammenhang mit Bitcoin bedeutet Dezentralität die Verteilung von Kontrolle und Entscheidungsfindung auf das Netzwerk. Diese Entwicklung hat also keinen Einfluss auf die Dezentralität von Bitcoin. Die USA könnten eine Million Bitcoin besitzen und theoretisch den Markt und damit den Preis stark beeinflussen. Das ist richtig. Aber das können Unternehmen auch. Das Bitcoin-Entwicklungsunternehmen MicroStrategy beispielsweise hält nach eigenen Angaben 279.420 Bitcoin. So etwas nennt man einen Bitcoin-Wal. Tatsächlich hat es aber keinen Einfluss auf die Dezentralität des gesamten Bitcoin-Ökosystems.

Das Vorurteil, dass Kryptowährungen nur etwas für Kriminelle und Betrüger sind, hält sich hartnäckig. Ist da immer noch was dran oder sind Bitcoin und Co. jetzt aus der Schmuddelecke raus?

Ich glaube, wir haben diese Schmuddelecke verlassen. Aber der eine oder andere Schönheitsfehler bleibt. Das ist auch gut, weil es als Warnung fungiert. Die Kryptobranche hat in der Vergangenheit unter den großen Betrugsskandalen unfassbar gelitten. Deshalb wurden die regulatorischen Daumenschrauben auch völlig zu Recht angezogen in den USA. Den wilden Westen hat man mit der Brechstange aufgeräumt. Danach ist es deutlich besser geworden. Das beste Zeichen dafür ist die Zulassung der Bitcoin-ETFs in den USA Anfang des Jahres. Das war ein Meilenstein. Man muss aber auch sagen, das aktuelle Preisniveau lockt natürlich auch immer wieder Betrüger an. Deshalb bin ich auch der Meinung, dass Kryptoanlagen weiterhin nicht für jedermann geeignet sind. Eine andere Aussage wäre brandgefährlich, da der Kryptobereich hochspekulativ ist. Und vieles ist auch heute noch undurchsichtig.

Trotzdem ist die Party in vollem Gange. Glauben Sie, dass der Bitcoin die 100.000-Dollar-Marke bis Ende des Jahres knacken wird?

Wir reden nur noch über knapp 8000 Dollar, die fehlen. Also, das ist für mich nicht abwegig. Die Marke ist auf Schlagdistanz. Was danach passiert? Niemand hat die Glaskugel. Für mich wäre es mal ein guter Punkt, Kasse zu machen und das Ganze auch mal wieder nüchterner zu betrachten. Aber vielleicht läuft die Rally auch weiter. Momentan ist es wirklich verrückt.

Mit Timo Emden sprach Diana Dittmer

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen