Diktatur der Ratingagenturen?Europa will sich wehren

Die Macht der Ratingagenturen scheint unbegrenzt: Nach eigenem Gutdünken vergeben sie Noten für Unternehmen und ganze Staaten. Ihr Urteil wiegt schwer: Eine Top-Note macht Kredite billig - eine Herabstufung kostet die Steuerzahler Milliarden. Brüssel sucht nach einem Gegenmittel.
Schlechte Noten von den Ratingagenturen - bei den Regierungen
Griechenlands, Portugals, Ungarns und zuletzt Italiens haben die jüngsten negativen Bewertungen der staatlichen
Kreditwürdigkeit für großen Ärger gesorgt. So mancher in der EU würde den Agenturen
am liebsten verbieten, zur Unzeit mitten in der Schuldenkrise mit ihrem kritischen
Urteil Öl ins Feuer zu gießen.
Die EU-Kommission arbeitet bereits an noch strengeren
Regeln, nachdem Europa die Agenturen als erste Region weltweit Ende 2009 unter Aufsicht
stellte. Doch in die Bewertungen selbst will der Gesetzgeber nicht eingreifen. Den
Investoren nützen Einschätzungen der Bonität schließlich nur etwas, wenn sie unabhängig
sind. "Man kann nicht das Fieberthermometer wegnehmen, um die Temperatur zu
senken", sagt ein EU-Experte.
Der Markt wird von den drei großen Ratingagenturen Standard & Poor's,
Moody's und Fitch dominiert. Mit ihrem Notensystem geben sie eine Einschätzung ab,
wie zuverlässig ein Kapitalmarktschuldner ist. Seit Ende 2009 müssen sie sich dabei
von den EU-Aufsichtsbehörden auf die Finger sehen lassen. Dazu müssen sie ihre Bewertungsmethoden
veröffentlichen und die Qualität und Unabhängigkeit der Ratings sicherstellen. Sie
dürfen nicht länger einen Kunden beim Konzipieren eines Finanzprodukts, das sie
selbst bewerten, beraten.
Investieren nach Noten
Unmittelbar nach der großen Finanzkrise sahen die Regulierer in diesen Punkten die dringlichsten Probleme. Doch nach den Worten von EU-Binnenmarktkommissar Michel
Barnier waren das nur erste Schritte, um die Arbeitsweise der Agenturen noch besser
zu kontrollieren. Im Herbst will Barnier einen Gesetzentwurf mit schärferen Regeln vorlegen.
Diskutiert wird, ob die Bewertungen für Staaten anders behandelt werden sollen als
für private Emittenten. In der EU-Kommission wird bemängelt, dass die Agenturen
bei einigen Ländern vorschnell geurteilt hätten. So hätten sie in der Schuldenkrise
mehrmals die Bonität gesenkt, kurz bevor die Regierung Spaniens oder Griechenlands
Maßnahmen zum Defizitabbau ankündigten.
Wer beherrscht wen?
Dieses Dilemma könnte verhindert werden, indem
die Agenturen die betroffenen Regierungen früher als bisher über eine bevorstehende Herabstufung
informieren müssten und diese den Analysten Einblick in ihre Pläne geben könnten. Allerdings
ist das umstritten. Je mehr Zeit vor der Bekanntgabe eines Ratings verstreicht,
umso größer ist die Gefahr, dass die Bewertung durchsickert und der Markt manipuliert
wird.
Frankreich hatte außerdem ins Gespräch gebracht, Ratings für Euro-Staaten unter
dem Euro-Schutzschirm befristet auszusetzen, um die Spirale immer schlechterer Noten
und steigender Zinsen zu durchbrechen.
Gegen diesen Vorschlag spricht, dass es ein Land ohne
Rating erst recht schwer hätte, an den Kapitalmarkt zurückzukehren. Außerdem
begeben die hoch verschuldeten Euro-Staaten Griechenland und Portugal anders als
Irland trotz der milliardenschweren Hilfskredite von EU und Internationalem Währungsfonds
(IWF) noch kurzfristige Staatspapiere und können damit auf ein Rating gar nicht
verzichten.