Wirtschaft

Diktatur der Ratingagenturen?Europa will sich wehren

24.05.2011, 13:52 Uhr
RTXRNHB
Noten von "AAA" bis "D": In der Welt des Kapitalmarktes hängt das Schicksal ganzer Volkswirtschaften an diesen dürren Buchstaben. (Foto: REUTERS)

Die Macht der Ratingagenturen scheint unbegrenzt: Nach eigenem Gutdünken vergeben sie Noten für Unternehmen und ganze Staaten. Ihr Urteil wiegt schwer: Eine Top-Note macht Kredite billig - eine Herabstufung kostet die Steuerzahler Milliarden. Brüssel sucht nach einem Gegenmittel.

RTR2DJLV
Einfluss und Marktmacht: Das Urteil der Beobachter bewegt die Märkte. (Foto: REUTERS)

Schlechte Noten von den Ratingagenturen - bei den Regierungen

Griechenlands, Portugals, Ungarns und zuletzt Italiens haben die jüngsten negativen Bewertungen der staatlichen

Kreditwürdigkeit für großen Ärger gesorgt. So mancher in der EU würde den Agenturen

am liebsten verbieten, zur Unzeit mitten in der Schuldenkrise mit ihrem kritischen

Urteil Öl ins Feuer zu gießen.

Die EU-Kommission arbeitet bereits an noch strengeren

Regeln, nachdem Europa die Agenturen als erste Region weltweit Ende 2009 unter Aufsicht

stellte. Doch in die Bewertungen selbst will der Gesetzgeber nicht eingreifen. Den

Investoren nützen Einschätzungen der Bonität schließlich nur etwas, wenn sie unabhängig

sind. "Man kann nicht das Fieberthermometer wegnehmen, um die Temperatur zu

senken", sagt ein EU-Experte.

24175242
S&P-Niederlassung in New York. (Foto: picture alliance / dpa)

Der Markt wird von den drei großen Ratingagenturen Standard & Poor's,

Moody's und Fitch dominiert. Mit ihrem Notensystem geben sie eine Einschätzung ab,

wie zuverlässig ein Kapitalmarktschuldner ist. Seit Ende 2009 müssen sie sich dabei

von den EU-Aufsichtsbehörden auf die Finger sehen lassen. Dazu müssen sie ihre Bewertungsmethoden

veröffentlichen und die Qualität und Unabhängigkeit der Ratings sicherstellen. Sie

dürfen nicht länger einen Kunden beim Konzipieren eines Finanzprodukts, das sie

selbst bewerten, beraten.

Investieren nach Noten

Unmittelbar nach der großen Finanzkrise sahen die Regulierer in diesen Punkten die dringlichsten Probleme. Doch nach den Worten von EU-Binnenmarktkommissar Michel

Barnier waren das nur erste Schritte, um die Arbeitsweise der Agenturen noch besser

zu kontrollieren. Im Herbst will Barnier einen Gesetzentwurf mit schärferen Regeln vorlegen.

AP100824123622
Das Firmenschild von Moody's. (Foto: ASSOCIATED PRESS)

Diskutiert wird, ob die Bewertungen für Staaten anders behandelt werden sollen als

für private Emittenten. In der EU-Kommission wird bemängelt, dass die Agenturen

bei einigen Ländern vorschnell geurteilt hätten. So hätten sie in der Schuldenkrise

mehrmals die Bonität gesenkt, kurz bevor die Regierung Spaniens oder Griechenlands

Maßnahmen zum Defizitabbau ankündigten.

Wer beherrscht wen?

Dieses Dilemma könnte verhindert werden, indem

die Agenturen die betroffenen Regierungen früher als bisher über eine bevorstehende Herabstufung

informieren müssten und diese den Analysten Einblick in ihre Pläne geben könnten. Allerdings

ist das umstritten. Je mehr Zeit vor der Bekanntgabe eines Ratings verstreicht,

umso größer ist die Gefahr, dass die Bewertung durchsickert und der Markt manipuliert

wird.

18990077
Am Eingang zu Fitch Ratings. (Foto: picture alliance / dpa)

Frankreich hatte außerdem ins Gespräch gebracht, Ratings für Euro-Staaten unter

dem Euro-Schutzschirm befristet auszusetzen, um die Spirale immer schlechterer Noten

und steigender Zinsen zu durchbrechen.

Gegen diesen Vorschlag spricht, dass es ein Land ohne

Rating erst recht schwer hätte, an den Kapitalmarkt zurückzukehren. Außerdem

begeben die hoch verschuldeten Euro-Staaten Griechenland und Portugal anders als

Irland trotz der milliardenschweren Hilfskredite von EU und Internationalem Währungsfonds

(IWF) noch kurzfristige Staatspapiere und können damit auf ein Rating gar nicht

verzichten.

Quelle: Ilona Wissenbach, rts