Wirtschaft

Musterprozess in München HRE-Aufarbeitung erreicht Höhepunkt

Durch die Krisenlast aus dem Amt gedrängt: Georg Funke (Archivbild).

Durch die Krisenlast aus dem Amt gedrängt: Georg Funke (Archivbild).

(Foto: picture alliance / dpa)

Die juristische Aufarbeitung des Kapitels Hypo Real Estate tritt in die womöglich entscheidende Phase ein. Bei dem anstehenden Prozess geht es um Forderungen von Anlegern, die sich von der HRE-Spitze getäuscht fühlen. Das Verfahren gilt als wegweisend.

Im Streit über milliardenschwere Schadenersatzklagen früherer Aktionäre der Krisenbank Hypo Real Estate (HRE) wird bald Klartext gesprochen. In einem Musterprozess verhandelt das Oberlandesgericht München ab Montag erstmals öffentlich über Forderungen von Anlegern, die sich von der HRE-Führung unter Vorstandschef Georg Funke im Jahre 2008 vor dem Beinahe-Zusammenbruch getäuscht fühlen. Funke, der gemeinsam mit der HRE verklagt wird, soll persönlich vor Gericht auftreten.

Das Fiasko der einst größten deutschen Immobilienbank war eines der dramatischsten Kapitel der Finanzmarktkrise und löste etliche Rechtsstreitigkeiten aus. Das Geldhaus geriet im Jahr 2008 ins Wanken und drohte die gesamte deutsche Bankenlandschaft in den finanziellen Abgrund zu reißen. Mit weit über 100 Milliarden Euro an Garantien und Geldspritzen musste die Bundesregierung die Hypo Real Estate stützen, um weitere Erschütterungen zu verhindern.

Vorwurf der Enteignung vom Tisch

Über Milliardenschäden klagen zahlreiche Anleger. Institutionelle Investoren und Kleinaktionäre sehen sich in zwei Phasen der Krise um ihr Geld gebracht: Durch die Misere der Bank im Jahr 2008, woraufhin der Aktienkurs abstürzte, und durch die vom Bund erzwungene Verstaatlichung im Jahr 2009. Während die quasi enteigneten Aktionäre mit ihren Klagen auf höhere Abfindungen mehrfach vor Gericht scheiterten, ist die Hoffnung der ersten Anlegergruppe noch groß.

"Sie sind von der HRE falsch informiert worden", sagt Rechtsanwalt Andreas Tilp, der stellvertretend für Hunderte andere die Musterklage durchfechten will. Auf mehr als eine Milliarde Euro beläuft sich allein die von ihm vertretene Forderung an die verstaatlichte Bank - aus Steuermitteln quasi.

Minus 75 Prozent im Dax

Rechtsanwalt Tilp wirft der Hypo Real Estate vor, sie habe Risiken ihrer Wertpapierbestände nicht korrekt bewertet und die Anleger darüber im Unklaren gelassen. Zusätzlich seien auch über die Risiken, die sich die HRE mit der Übernahme der Staatsfinanzierungsbank Depfa im Jahr 2007 aufgehalst habe, verschwiegen worden. Die HRE hatte am 15. Januar 2008 völlig unerwartet Abschreibungen auf strukturierte Wertpapiere in Millionenhöhe bekannt gegeben, nachdem die Bank ihre Lage zuvor noch schöngeredet habe.

Mit dem Absturz der damals im Dax gelisteten HRE-Aktien um 35 Prozent begann an diesem Tag die Talfahrt des Leitindex. Endgültig ins Straucheln geriet die HRE, als in der Finanzkrise das Geschäftsmodell der Depfa versagte: Die Konzerntochter bekam an den Kapitalmärkten kein Geld mehr, um ihre langfristig ausgegebenen Kredite durch kurzfristige Schulden zu finanzieren, und drohte deswegen pleite zu gehen. Der Sturzflug der HRE-Aktie am 29. September 2008 um 75 Prozent war der bisher größte Kursverlust eines Dax-Werts an einem Tag.

Gesetz könnte Position der Anleger stärken

Das Besondere am Gerichtsverfahren ist der Ablauf: Damit nicht die Klagen sämtlicher Anleger einzeln vor dem Landgericht ausgebreitet werden müssen, befasst sich stattdessen das Oberlandesgericht mit nur einer einzigen Klage. Wenn ein Urteil fällt, gilt das auch für alle anderen. So sieht es das so genannte Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) vor. Zur Anwendung kam es bereits in einem Prozess von Anlegern gegen die Deutsche Telekom. Im HRE-Prozess ist der von Tilp vertretene Musterkläger ebenfalls Rechtsanwalt: Christian Wefers hat sich die Forderungen mehrerer Investoren abtreten lassen und kommt so auf eine Summe von 900 Millionen Euro plus Zinsen.

Der Bund steckt nun in der Rolle, die Informationspolitik des 2008 aus dem Amt gedrängten HRE-Chefs Funke rechtfertigen zu lassen, um Steuergelder zu verteidigen: "Nach Überzeugung der HRE war die Kommunikation zu jedem Zeitpunkt angemessen. Diese Position werden wir vor Gericht vertreten", sagt ein Sprecher der bundeseigenen Bank. Die Anwaltskanzlei des früheren HRE-Chefs Funke lässt ausrichten, dass man sich zu dem Fall nicht äußere.

Formal läuft der Musterprozess bereits seit drei Jahren - allerdings nur über die Schreibtische der Beteiligten. Nachdem sie umfangreiche Briefe und Dokumente ausgetauscht und gewälzt haben, soll nun im Gerichtssaal verhandelt werden. Den Vorsitz des Zivilsenats führt Richter Guido Kotschy, der bereits im Schadenersatzprozess der Kirch-Erben gegen die Deutsche Bank bekannt wurde. Von Kotschy verspricht sich Tilp in den ersten drei Tagen einen Fahrplan für den weiteren Prozessverlauf, bevor dann am Funke und mehrere Zeugen aussagen.

Quelle: ntv.de, mmo/rts

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