Frage & Antwort

Frage & Antwort, Nr. 163 Warum sind wir so symmetrisch?

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(Foto: Leonardo da Vinci, Uomo Vitruviano, ca. 1490)

Welchen Vorteil hat es, dass die meisten Lebewesen im äußeren Erscheinungsbild eine Achsensymmetrie aufweisen? (fragt K. Doeppner aus einem Ort in Hessen)

Diese Frage berührt die Basis der Entwicklung der Tiere. Experten sprechen hier nicht von Achsensymmetrie, sondern von Bilateralsymmetrie. Und einer weit verbreiteten Theorie zufolge ist die Bilateralsymmetrie der ursprüngliche Zustand aller vielzelligen Tiere. Das erzählt uns Biologe Stephan M. Hübner von der Goethe-Universität Frankfurt am Main. "Die allermeisten Tierarten, mehr als 1.000.000, sind bilateralsymmetrisch", so Hübner.

Die Bilateralsymmetrie hat große Vorteile, wie der Experte erklärt. Sie ermöglicht nämlich eine freie Beweglichkeit. "Durch die Bilateralsymmetrie entstehen nicht nur ein Links und ein Rechts, sondern auch ein Vorne und ein Hinten", sagt der Biologe. "Das sind Grundvoraussetzungen für eine gerichtete Bewegung." Bilateralsymmetrie erleichtert das Ausbalancieren sowie das Einschlagen in eine bestimmte Richtung und das gezielte Aufspüren einer Beute. Auch S-förmige Schlängelbewegungen, wie wir sie von Wurm und Schlange kennen, werden erst durch die Rechts-Links-Seitigkeit der Bilateralsymmetrie möglich.

Ohne Fortbewegung andere Symmetrie

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Eine Seeanemone muss sich nicht fortbewegen. Die Bilateralsymmetrie ist hier also nicht nötig.

(Foto: Wikipedia / Stan Shebs)

Als einen der Gegenpole zu den bilateralsymmetrischen Tieren nennt Hübner die radiärsymmetrischen Lebewesen. Das sind Tiere, durch die sich beinahe zahllose Symmetrie-Ebenen legen lassen. Radiärsymmetrisch sind die so genannten Hohltiere, also Korallen, Quallen und Blumentiere, wie etwa die Seeanemone. "Davon gibt es nicht mal 9000 Arten", lässt uns der Experte wissen. "Die Radiärsymmetrie ist also eher selten." Sehr wahrscheinlich, davon geht die Forschung aus, sind auch diese Lebewesen aus bilateralsymmetrischen Tieren hervorgegangen. "Das zeigen uns Fossilien", sagt Hübner. Die Wissenschaftler haben auch einen Zusammenhang gefunden, der den Wechsel von der Bilateralsymmetrie zur Radiärsymmetrie erklärt: Es ist die Sesshaftigkeit. Irgendwann im Laufe der evolutionären Entwicklung sind die Tiere sesshaft geworden. Fortbewegung war nicht mehr nötig. "Eine Seeanemone", veranschaulicht der Biologe, "klebt sich mit ihrem Fuß auf einen harten Untergrund im Meer. Sie muss sich nicht bewegen. Sie streckt ihre Tentakeln ins Wasser und wartet einfach, bis etwas Schmackhaftes vorbeikommt." Diese Ortsgebundenheit führte bei vielen Tiergruppen zu einem Verlust der Bilateralsymmetrie.

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Der Seestern ist pentamerisch: Er hat fünf Symmetrie-Achsen.

(Foto: Wikipedia / Paul Shaffner)

Wie Hübner erklärt, gibt es auch Lebewesen, die nicht ihr ganzes Leben lang, sondern nur als Jungtiere bilateralsymmetrisch sind. Dazu gehört die Großgruppe der Stachelhäuter, also zum Beispiel die Seesterne und Seeigel. "Diese Tiere haben im erwachsenen Zustand eine so genannte Pentamerie, es lassen sich also fünf Symmetrie-Ebenen hindurchlegen", erklärt der Experte. "Die Larven dieser Tiere aber sind bilateralsymmetrisch aufgebaut. Das verwandelt sich dann im Laufe einer Metamorphose. Aus der bilateralsymmetrischen Larve wird der pentamere Seestern."

Plattfische machen uns was vor

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Stephan M. Hübner ist Biologe und Wissenschaftsjournalist sowie Pressereferent an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

(Foto: Jérome Gravenstein)

Gibt es auch Tiere, die asymmetrisch sind? Wie ist das etwa mit der Scholle und ihren merkwürdig angeordneten Augen? Hübner lacht. "Die Plattfische führen uns ein bisschen in die Irre", sagt er. "Man sollte sich bei den Symmetriebetrachtungen nicht auf das Äußere der Tiere verlassen, sondern immer auch das Innere mitbetrachten. Und da zeigt sich: Im Innern ist die Scholle ein wunderbar bilateralsymmetrisch aufgebautes Tier."

Tatsächlich haben die Schollen-Larven beim Schlüpfen zunächst auch äußerlich eine achsensymmetrische Gestalt. Doch wenn Fische auf dem Boden rumliegen, dann müssen sie dort Halt finden. Das können sie zum Beispiel so erreichen wie der Rochen: "Den nehmen Sie, bildlich gesprochen, zwischen die Hände, drücken gleichzeitig auf Bauch und Rücken, und dann ist er platt", sagt Hübner.

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Plattfische - wie hier der Butt - führen uns in die Irre. Ihre Augen lassen sie asymmetrisch erscheinen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Es geht aber auch anders: "Butt, Scholle und Flunder sind auf eine Körperseite umgekippt." Und das geschieht erst im Laufe der Jugendentwicklung der Fische, wie der Biologe weiß. Hübner erklärt, was dann passiert: "Im Zuge dieses Kippens wandert ein Auge auf die gegenüberliegende Körperseite. Bei manchen Plattfisch-Arten wandert es auf die rechte Seite, bei anderen auf die linke. Das ist genetisch programmiert."

Die Scholle ist also nur äußerlich nicht ganz symmetrisch. Gibt es denn Lebewesen, die komplett aus dem symmetrischen Rahmen fallen? "Das sind die Schwämme", so der Hinweis des Experten. "Die sind so urtümlich, dass sie gar keine Symmetrie haben."

Quelle: ntv.de

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