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Zuschauer gegen Jurys Ganz Europa wählt Conchita. Ganz Europa?

Bei einem ESC will Conchita Wurst nicht noch einmal antreten. Eine Moderation im kommenden Jahr kann sie sich aber sehr wohl vorstellen.

Bei einem ESC will Conchita Wurst nicht noch einmal antreten. Eine Moderation im kommenden Jahr kann sie sich aber sehr wohl vorstellen.

(Foto: REUTERS)

Österreich feiert, Russland ätzt - das Klischee ist klar: Westeuropa feiert seine Toleranz gegenüber einer Dragqueen, aus dem Osten kommt Kritik. Doch die Analyse der ESC-Abstimmung zeichnet ein anderes Bild. Vor allem in Deutschland.

"Es war nicht nur ein Sieg für mich, sondern ein Sieg für die Menschen, die an eine Zukunft glauben, die ohne Ausgrenzung und Diskriminierung funktionieren kann", sagte Conchita Wurst nach ihrem Sieg beim Eurovision Song Contest. Sie sagt, was viele Menschen nach ihrem Triumph in Kopenhagen denken.

So wertete auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck ihren Sieg als Zeichen für Toleranz. "Es ist ein Signal, dass es in Europa eine starke Tendenz für Gleichberechtigung gegen Diskriminierung gibt", sagte er im ZDF. Der Wiener "Standard" kommentierte, dass konservative Angriffe auf die Dragqueen zu ihrem Sieg beigetragen hätten. "Das war Millionen weltoffenen Menschen in Europa zu viel", heißt es da. "Sie wollten ein Zeichen setzen, und das ist ihnen gelungen."

"Das ist das Ende Europas"

Ganz anders die Reaktion russischer Politiker. Das Ergebnis zeige "Anhängern einer europäischen Integration, was sie dabei erwartet - ein Mädchen mit Bart", schreib etwa Vizeregierungschef Dmitri Rogosin auf Twitter. Der nationalistische Abgeordnete Wladimir Schirinowski sagte im russischen Fernsehen: "Unsere Empörung ist grenzenlos, das ist das Ende Europas." Er verstieg sich sogar zu der These, dass die Besetzung Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg nie hätte beendet werden dürfen. "Wir hätten dort bleiben sollen."

Das Bild scheint eindeutig. Während man im Westen Offenheit und Toleranz feiert, gibt es aus dem Osten Europas üble Verbalattacken. Nur: Das Klischee stimmt nicht.

Auch Beck verweist darauf, dass die Dragqueen "selbst in Ländern wie Russland, die eher als homophob gelten", auf Platz drei gewählt worden sei. Dass sie weniger Punkte bekam, habe allein an der nach politischen Kriterien ausgesuchten Jury gelegen.

Dieses Argument untermauert der Medienjournalist Stefan Niggemeier. Demnach habe es der österreichische Beitrag lediglich in Estland nicht unter die Top 5 geschafft - wohlgemerkt beim Zuschauervotum, das per Telefon, SMS und App einging. In einer Aufstellung zeigt Niggemeier minutiös, dass es oft die Jury-Voten waren, die einen noch größeren Triumph von Conchita Wurst verhinderten.

Zehn Mal stimmen Publikum und Jury überein

Möglich machte diese Analyse die Transparenz der dänischen ESC-Organisatoren, die in diesem Jahr sehr detailliert alle Punktvergaben im Internet veröffentlichten. Dadurch wird der Unterschied zwischen Zuschauervotum und der Wertung durch die jeweils fünfköpfige Experten-Jury deutlich. Beide Urteile werden 50:50 verrechnet, woraus sich dann die zu vergebenen Punkte ergeben.

Conchita Wurst wurde 1988 als Thomas Neuwirth geboren.

Conchita Wurst wurde 1988 als Thomas Neuwirth geboren.

(Foto: dpa)

Wie Niggemeier zeigt, landete Conchita Wurst bei den russischen Zuschauern auf dem dritten Platz, was acht Punkten entsprochen hätte. Die Jury gab ihr jedoch Rang elf, was null Punkten entspricht - die Kombination ergab den sechsten Platz und fünf Punkte. Noch größer ist die Diskrepanz in Weißrussland: Das Publikum wählte sie auf Rang vier (7 Punkte), die Jury auf Platz 23 (0 Punkte) - insgesamt ging sie damit leer aus.

Ganz anders in den Niederlanden, in Finnland, Schweden, Slowenien und der Schweiz: Hier wählten sie sowohl Zuschauer als auch Jury auf den ersten Platz - 12 Punkte. Insgesamt stimmten Publikums- und Jury-Wertung sogar zehn Mal überein.

Deutsche Jury vergibt keine Punkte an Conchita

Nun auf die Jurys zu schimpfen, wäre allerdings auch ungerecht. Sieben Mal vergab diese mehr Punkte an Österreich als das Publikum. Und dass nicht nur in Island, Irland oder Dänemark, sondern auch in Osteuropa: in der Ukraine und in Litauen.

Auch die größte Abweichung kam nicht etwa aus Osteuropa - sie kam aus Deutschland: Während das Publikum den Beitrag des Nachbarlandes auf dem ersten Platz sah (12 Punkte), sprang in der Jury-Wertung gerade mal Platz elf (0 Punkte) heraus. Am Ende erhielt Conchita Wurst aus der Bundesrepublik einen vierten Platz und sieben Punkte. In der deutschen Jury saßen der Berliner Rapper Sido, der Musiker Andreas Bourani, die Songwriterin Madeline Juno, Jennifer Weist von der Band Jennifer Rostock sowie der Talentscout Konrad Sommermeyer.

Das Klischee, dass eine Dragqueen aus Österreich bei den Menschen in Osteuropa wegen dort grassierender Vorurteile nur durchfallen könne, kann man angesichts dieser Zahlen getrost ad acta legen. Vielmehr stimmt, dass die Jury oft am Publikumsgeschmack vorbei wählte, ob nun aus politischen oder künstlerischen Gründen. Das galt aber nicht nur für die Siegerin, das betraf auch andere Interpreten. Ob sich das System der kombinierten Voten weiterhin halten kann, darf bezweifelt werden.

Quelle: ntv.de, mit dpa/Grafik: n-tv.de

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