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Ein "Hool" bei Hannover 96 Immer mitten in die Fresse rein

Wenn Hannover 96 gegen Eintracht Braunschweig spielt, brennt die Luft - wobei "Hool"-Autor Philipp Winkler einen Unterschied macht zwischen Ultras im Stadion und Hooligans.

Wenn Hannover 96 gegen Eintracht Braunschweig spielt, brennt die Luft - wobei "Hool"-Autor Philipp Winkler einen Unterschied macht zwischen Ultras im Stadion und Hooligans.

(Foto: picture alliance / dpa)

Heikos Familie sind die Hooligans von Hannover 96. Mit ihnen geht es bis zum bitteren Ende. Der Roman "Hool" handelt von Gewalt. Doch es geht nicht nur um Fußball-Schläger, sondern auch um einen beachtlichen Blick auf den Rand der Gesellschaft.

Für den Deutschen Buchpreis hat es am Ende nicht gereicht. Aber dass es Philipp Winkler mit seinem Debüt "Hool" überhaupt auf die Shortlist schaffte, beweist schon, wie begeistert, stellenweise euphorisch das Buch aufgenommen wurde. Ganz einfach, weil es anders ist.

"Hool" beginnt mit einer Schlägerei, mit Blut und Schweiß und schmerzenden Knochen. Es ist die dritte Halbzeit, eine Schlägerei zwischen Hooligans. Heiko gehört zum Anhang von Hannover 96. Mit dem Anführer der Gruppe, seinem Onkel Axel, und ein paar Kumpels liefert er sich ein Match gegen die Kölner. Wie immer findet es irgendwo in einem Wald statt, wo die Polizei - wenn überhaupt - zu spät davon erfährt. Schnell weicht Heikos Nervosität einem Rausch, als die ersten Körper in vollem Anlauf aufeinanderprallen. Es ist ein Schlagen und Treten, man steckt ein und teilt aus. Und wenn man gut ist und schnell genug, steht man auch am Ende noch.

Philipp Winkler

Philipp Winkler

(Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Die penibel organisierten Schlägereien sind die Höhepunkte in Heikos Leben. Seit er wiederholt durchs Abi gerasselt ist, jobbt er im Fitnessstudio seines Onkels, wo sich Hooligans, Kampfsportler, Rocker und ein paar verhasste Nazis die Muckis aufpumpen. Zu Hause hat es Heiko nicht mehr ausgehalten, beim prügelnden Vater, dem irgendwann die Frau weggelaufen ist, und der sich eine neue aus Südostasien mitgebracht hat. Stattdessen wohnt Heiko in Wunstorf bei Hannover - bei Arnim, der auf seinem abgelegenen Hof illegale Tierkämpfe veranstaltet und immer wieder äußerst dunkle Gestalten empfängt.

Erzfeind Eintracht Braunschweig

Gewalt prägt Heikos Leben. Vor allem, seit er sich von seiner Freundin getrennt hat, einer Heroinsüchtigen, vor deren Haustür er noch manchmal übernachtet. Sicherheit geben ihm lediglich seine Kumpel aus der Hooligan-Szene, Kai und Jojo. Bis die drei auf die Idee kommen, ein Ding in Braunschweig zu drehen - der Stadt aus der Hannovers Erzfeind Eintracht Braunschweig kommt. Das Ding geht schief, natürlich, und Heiko bekommt es mit seinem Onkel, ein paar Nazis und Braunschweiger Schlägern zu tun. Bis die 96er im Pokal auf Eintracht treffen - und der Roman unaufhaltsam auf den finalen Kampf zusteuert.

"Hool" von Philipp Winkler ist bei Aufbau erschienen, 310 Seiten, gebundene Ausgabe, 19,95 Euro.

"Hool" von Philipp Winkler ist bei Aufbau erschienen, 310 Seiten, gebundene Ausgabe, 19,95 Euro.

So gewalttätig, wie es jetzt vielleicht scheint, ist "Hool" dann aber auch wieder nicht. Eher deprimierend, denn das Buch handelt vom äußersten Rand der Gesellschaft. Winkler, der nach eigenen Angaben nie selbst ein Hooligan war, sich aber jahrelang mit dem Thema beschäftigt hat, verzichtet auf Romantisierungen der Szene. Trotzdem schafft er es, dass der Leser Heiko irgendwann sympathisch findet. Obwohl er ein Schläger ist, obwohl er Gewalt verherrlicht und nicht imstande ist, sein verkacktes Leben auch nur ansatzweise auf die Reihe zu bekommen. Geschweige denn, es ändern zu wollen.

Vermutlich liegt das auch an Winklers geschickter Dramaturgie. Er mischt die fortlaufende Handlung mit Rückblenden, die in die entgegengesetzte Richtung laufen und so Heikos Biographie aufrollen. Die Trennung von der Freundin, der Selbstmord von Jojos kleinem Bruder, der als angehender Fußballprofi der ganze Stolz der Clique war, die Gewalt des Vaters, die Flucht der Mutter, schließlich der erste Besuch im Stadion - die Stationen ergeben eine Biographie, die den Mensch erklären sollen, der in der Gegenwart auf Leute einprügelt.

Beide Erzählstränge bedingen sich und ergeben einen bemerkenswert dichten Roman. Winkler kratzt nicht nur an der Oberfläche, sondern taucht ein. Gerade in den Rückblenden fügt er interessante Aspekte hinzu, auch wenn sie vielleicht nur am Rande eine Rolle spielen. Das Buch wird dadurch lebendig und glaubwürdiger. Keine Seite, kein Kapitel wirken hier verschwendet. Alles lässt die Lebenswelt von Heiko und seinen Freunden noch plastischer erscheinen. Etwa, wenn Winkler vor einer Schlägerei eine Seite lang über die Qualität des Zahnschutzes schreibt. Oder wenn Heikos nahezu zärtlicher Umgang mit Tieren - den Tauben des Vaters, Arnims Kampfhunden - immer wieder aufgegriffen wird.

Schimpfwörter und jugendlicher Slang

Winkler packt das in eine direkte, sehr gut lesbare Sprache - gespickt mit Schimpfwörtern, wüsten Ausdrücken, jugendlichem Slang und alles andere als politisch korrekt (wie überhaupt Fans der Braunschweiger Eintracht und von Energie Cottbus über ein paar Beleidigungen hinweglesen sollten). Stringent ist das freilich nicht immer. In den inneren Monologen des Ich-Erzählers Heiko wirkt dieser nachdenklicher und tiefsinniger, als es sein Handeln vermuten lässt. Er erweist sich als genauer Beobachter seiner Umgebung, ohne dass er daraus Konsequenzen ziehen würde. Allerdings kann das durchaus als Ausdruck seiner Zerrissenheit gelesen werden. Denn letztlich sucht Heiko nach einer Sicherheit, die ihm nur die Hooligan-Szene bieten kann.

"Hool" handelt von einem Milieu, mit dem die wenigsten je zu tun haben werden. Viele kennen jene Hooligans nur aus den Nachrichten - wie erst kürzlich beim Spiel Hannover gegen Braunschweig. Aus diesem Blick auf eine ungewohnte Welt bezieht das Buch seine Spannung, sein Abenteuer. Gleichzeitig ist es jedoch ein Gegenwartsroman, der soziale Themen aufgreift: den Umgang mit dementen Eltern oder alltägliche Erfahrungen mit Drogen, Gewalt und Kriminalität. Diese Mischung macht "Hool" zu einem der bemerkenswertesten und lesenswertesten Romane des Jahres.

"Hool" direkt bei Amazon bestellen oder bei iTunes herunterladen.

Quelle: ntv.de

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