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"Die Analphabetin, die rechnen konnte"Jonassons zweite Geschichte aus Absurdistan

04.12.2013, 06:12 Uhr
imageVon Solveig Bach
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Jonassons Heldin Nombeko erobert von einem Slum aus die Welt. (Foto: Reuters)

Mit seinem ersten Buch klapperte Jonas Jonasson lange vergeblich die Verlage ab, bis sich schließlich einer erbarmte. Doch "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" wurde ein echter Bestseller. Nun liegt Jonassons neues Buch in den Läden.

Bei Jonas Jonasson hängt alles mit allem zusammen, die Latrinenleerung in einem Slum in Südafrika mit antiroyalen Bemühungen in Schweden, ebenso wie der Bau einer Atombombe mit der Aufarbeitung von Familiengeschichte. Und Geld ist etwas, was man ebenso leicht gewinnen wie wieder verlieren kann. Mit dieser Weltsicht und den daraus entstehenden Büchern hat Jonasson richtig Erfolg.

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Jonasson hat an seinem zweiten Buch vier Jahre geschrieben. (Foto: picture alliance / dpa)

Es ist noch gar nicht so lange her, da kannte den Schriftsteller Jonasson praktisch niemand. Doch seinen Debütroman "Der Hundertjährige, der aus einem Fenster stieg und verschwand" haben Millionen Menschen in aller Welt mit großem Vergnügen gelesen. Allein in Deutschland verkaufte er sich mehr als 2,3 Millionen Mal und führte monatelang die Bestsellerlisten an. Im Frühjahr kommt der Hundertjährige als Film in die Kinos.

Vor wenigen Tagen ist nun Jonassons zweites Buch erschienen und steht schon jetzt auf Platz eins der gerade meistverkauften Bücher. "Die Analphabetin, die rechnen konnte" ist die konsequente Fortsetzung von Jonassons Art, Geschichten zu erzählen. Diesmal ist seine Hauptfigur Nombeko Mayeki, ein Kind des südafrikanischen Slums Soweto in den Zeiten der finstersten Apartheid. In dieser Welt ist kein Schulbesuch vorgesehen, aber Nombeko lernt trotzdem zählen - die Latrinentonnen, mit deren Leerung sie ihren Lebensunterhalt verdient. Überhaupt ist Nombeko in ihrer Pfiffigkeit und Bereitschaft, dem Leben das Beste abzuverlangen, eine würdige kleine Schwester des Erstlingsromanhelden Allan Karlsson.

450 Seiten skurrile Wendungen

So bleibt die Analphabetin nicht lange eine, weil sie den einzigen Menschen im Slum findet, der ihr das Lesen beibringt und weil sie schlau genug ist, es in kürzester Zeit zu lernen. Dass sie dafür ihrem Lehrer in jedes Bein eine Schere rammen muss, um ihn von einem äußerst unsittlich gemeinten Tun abzuhalten und nach seinem, nicht von ihr verursachten Tod, seine Rohdiamantensammlung "erbt", liegt schon ganz in Jonassons Erzähllinie.

Denn in diesem Tempo geht es in dem 450 Seiten dicken neuen Roman weiter. Nombeko versucht, sich nach Johannesburg durchzuschlagen, wird aber ausgerechnet von Engelbrecht van der Westhuizen mit dem Auto angefahren, der nicht nur heftig alkoholisiert, sondern auch noch mit dem Bau einer Atombombe beauftragt ist. Das gelingt ihm mit Nombekos Hilfe, nachdem sie wegen des Unfalls in einem Prozess mit eigenartigem Rechtsverständnis dazu verurteilt wird, sieben Jahre bei dem ebenso unfähigen wie rassistischen Ingenieur zu leben. Dort findet Nombeko wiederum in drei chinesischen Schwestern echte Freundinnen und Lehrerinnen. Dieses Wissen wird ihr später noch von erheblichem Nutzen sein. Zunächst aber flieht sie aus Südafrika nach Schweden und trifft dort auf die Zwillingsbrüder Holger und Holger, die bis auf den identischen Vornamen unterschiedlicher kaum sein könnten.

Die beiden haben eine schwierige Kindheit mit einem zunächst sehr königstreuen und später extrem anti-monarchistischen Vater hinter sich. Was aber noch komplizierter ist: Es gibt offiziell nur einen Holger, das führt im Kontakt mit der Außenwelt regelmäßig zu Verwicklungen. Einer der beiden Holger ist ein wenig simpel strukturiert und in seinem Hass auf den König ganz der Erbe seines Vaters, dafür ist der andere Holger ein kluger freundlicher Mensch, in den sich Nombeko spontan verliebt und er sich in sie.

Happy End für alle

Leider hat Nombeko aus Südafrika eine überzählige Atombombe mit nach Schweden gebracht, an der nun der israelische Geheimdienst brennend interessiert ist. Für eine Weile kann sich die junge Frau in der schwedischen Provinz eine kleine Existenz aufbauen, bis das Leben erneut seine Volten schlägt. Auch diesmal muss so mancher Protagonist auf kreative Weise sein Leben lassen. Und immer gibt es ein Business, das überraschend zu größeren Geldmengen führt, diesmal sind es ein Kissengroßhandel und der Kartoffelanbau.

Am Ende sind die jahrzehntelangen Bemühungen, dem Ministerpräsidenten die Atombombe ans Herz zu legen, ebenso von Erfolg gekrönt, wie die, einen Frieden mit dem König zu machen. Dass beide dafür entführt werden, geschieht eben einfach so. Die einzige monarchiekritische Formulierung, die sich Jonasson erlaubt, ist ein Kurz-Telefonat des Königs mit seiner Gattin. Es besteht aus zwei Sätzen: "Hallo, mein Schatz. Nein, mein Schatz, ich bin nicht am Rumhuren …"

Schließlich bekommt die inzwischen auf die 50 zugehende Nombeko nicht nur die schwedische Staatsbürgerschaft und einen Job als Botschafterin in Südafrika, sondern auch noch ein Kind, natürlich mit dem schlauen Holger, dem die Begegnung mit dem Ministerpräsidenten ebenfalls zu einer legalen Existenz verhilft. Der etwas weniger schlaue Holger wird ebenso glücklich, vor allem, weil er seinem Fanatismus abschwört und sich eine etwas differenziertere Weltsicht zulegt. Überhaupt wird am Ende so ziemlich alles gut, nicht nur für die Figuren im Buch; auch für Nelson Mandela, die Sowjetunion und China.

Dämlich, gefährlich und unterhaltsam

Als Jonasson begann, sein erstes Buch zu schreiben, wollte er einfach nur Schriftsteller sein, nachdem er als Journalist und Medienunternehmer durchaus zu Wohlstand gekommen war. Einen Bestseller und eine schmutzige Scheidung weiter möchte er gern "Wohlfühl-Bücher" schreiben, wie er in einem Interview sagte. Dabei lässt er sich gern vom Lauf seiner Geschichten mitreißen, so verrückt sind die Wendungen, dass der Leser sich manchmal kurz besinnen muss ob all der Absonderlichkeiten des menschlichen Daseins und der Irrungen und Wirrungen der Weltgeschichte.

Er selbst sagt, sein Buch handele von der Unvollkommenheit des Menschen, wofür man die Erfindung der Apartheid und der Atombombe, die er beide sowohl "dämlich als auch gefährlich" nennt, als Beweis nehmen kann. Es macht Jonasson sympathisch, dass er von den großen und kleinen Ereignissen der Menschheitsgeschichte so lakonisch und unterhaltsam erzählt. Denn: "Die Erde dreht sich schön weiter um ihre Sonne, im selben gleichbleibenden Rhythmus und mit denselben Stimmungsschwankungen wie seit Anbeginn aller Tage." Und ehe vier weitere Jahre ins Land gegangen sein werden, wird Jonasson wohl einen weiteren Roman vorlegen, mit einem Relativsatz als Titel, in dem alles irgendwie mit allem zusammenhängt.

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Quelle: ntv.de