Fußball

Münchner setzen aufs Glück Das Bayern-Experiment

Das Spiel in Kaiserslautern hat die Schwächen der Bayern offenbart: Die Abwehr wackelt, der Kader ist zu dünn besetzt. Fällt ein Fußballer wie Arjen Robben aus, können sie das kaum kompensieren - nicht ungefährlich für einen Verein, der einst das Rotationsprinzip einführte.

Noch nicht wieder der Alte: Franck Ribéry sucht noch nach der Form der vorletzten Saison.

Noch nicht wieder der Alte: Franck Ribéry sucht noch nach der Form der vorletzten Saison.

Die Anzeigetafel des Fritz-Walter-Stadions zeigte die 75. Minute an. Bayerns Trainer Louis van Gaal hatte bereits zweimal gewechselt, um die drohende 2:0 Niederlage gegen Kaiserslautern noch abzuwenden. Beide Wechsel - Toni Kroos für Ivica Olic und Danijel Pranjic für Diego Contento - waren wirkungslos. Van Gaal blieb nichts anderes übrig, als einen dritten frischen Mann zu bringen: Mario Gomez. Der Holländer hätte wissen können, dass es unwahrscheinlich ist, dass ausgerechnet Gomez, der seit einem Jahr seiner Stuttgarter Form hinterherläuft, für den Anschlusstreffer sorgt. Doch er versuchte es - und wurde enttäuscht. Gomez irrte die letzte Viertelstunde irgendwo zwischen den anderen Spielern herum und war keinen Deut besser als nach seiner Einwechslung gegen Wolfsburg in der Woche zuvor. Die erste Niederlage in der noch jungen Saison der Fußball-Bundesliga war perfekt.

Nach dem Spiel sah sich Sportdirektor Christian Nerlinger offenbar genötigt, noch einmal zu verkünden, seine Bayern hätten eine schlagkräftige Mannschaft, die auch in diesem Jahr erfolgreich sein könnte. Als wäre das nicht jedem klar. Immerhin hat sich das Team von Trainer Louis van Gaal im Vergleich zur letzten Saison kaum verändert. Und da holten die Bayern schließlich das Double, kamen ins Champions-League-Finale und stellten mit Müller, Schweinsteiger und Robben die drei meist umjubelten Spieler der Liga. An den Bayern, so das einhellige Urteil der Experten, führt auch in diesem Jahr kein Weg vorbei. Sie werden Meister, Pokalsieger und - mal wieder - das deutsche Aushängeschild im internationalen Wettbewerb. Bayerns Elf gehört ganz einfach zum Besten, was sich auf europäischen Rasenflächen tummelt.

Doch genau da liegt das Problem. Bayerns Klasse besteht im Wesentlichen aus der ersten Elf, der Stammformation. Es gibt kein Rotationsprinzip mehr, keine Spieler, die annähernd gleichwertig ersetzt werden können. Die Bayern sind abhängig von ihren Ausnahmekönnern. Ihre Ersatzbank ist nicht in der Lage, Ausfälle in der Mannschaft zu kompensieren und für Konkurrenz zu sorgen. Edeljoker, die von der Bank kommend das Spiel bereichern könnte, haben die Münchener nicht mehr zu bieten.

Bayern hatte letzte Saison auch Glück

Das erfolgreiche Ende der letzten Saison hat darüber hinweggetäuscht, dass die Bayern zu Beginn der Spielzeit 2009/2010 große Probleme hatten: katastrophale Abwehrfehler und eine unkreative Offensive. Erst langsam entwickelte sich durch den Kauf von Arjen Robben und der darauf folgenden Systemumstellung ein ansehnliches Spiel. Van Gaals Erfolgsrezept beruhte maßgeblich auf einem traumhaften Mittelfeld: Van Bommel als Abräumer, Schweinsteiger als Ballverteiler, Ribéry und Robben als weltbeste Flügelzange und die Entdeckung der Saison, Thomas Müller, als ewig laufende Torgefahr. Und vorne in der Spitze lauerte jemand, den in Europa nicht viele auf der Rechnung hatten: Ivica Olic in Bestform. Einmal eingespielt, funktionierte die Offensive fast wie ein Uhrwerk - und gab dadurch auch der Verteidigung zunehmend Selbstbewusstsein und Sicherheit.

Unersetzlich: Arjen Robben wird vermutlich erst in der Rückrunde wieder für die Bayern auflaufen.

Unersetzlich: Arjen Robben wird vermutlich erst in der Rückrunde wieder für die Bayern auflaufen.

(Foto: dpa)

Doch die Bayern hatten dabei viel Glück: der ständig angeschlagene und oft gefoulte Robben hielt bis zum Saisonende durch, Ribéry wurde immerhin halbwegs fit und vor allem Schweinsteiger, Müller und Olic spielten besser als man zu hoffen gewagt hatte. Es kann zwar sein, dass die Bayern auch in diesem Jahr Glück haben - dann wäre für sie jeder Titel drin, sogar der Champions-League-Sieg -  aber es könnte eben auch anders kommen. Allein der Ausfall von Robben, der vermutlich erst wieder in der Rückrunde zum Einsatz kommt, hat in München für Bestürzung und Schuldzuweisungen gesorgt. Würden sich ein oder zwei weitere wichtige Spieler verletzen, was im Fußball nun einmal passieren kann, könnte das bayerische Uhrwerk ganz schnell aus dem Takt kommen.

Robbens Position ist dabei sogar vergleichsweise gut besetzt. Der aus Leverkusen zurückgekehrte Toni Kroos, Ivica Olic und Hamit Altintop können den Holländer in der Offensive vertreten. Doch Kroos und Altintop sind spielerisch, vor allem was die Dynamik betrifft, nicht mit Robben zu vergleichen. Und Olic ist nach seinen Knieproblemen noch nicht wieder fit - und wird außerdem dringend im Sturm benötigt. Denn da gibt es außer Mario Gomez - siehe oben - keinen Ersatz für Miroslav Klose. Der steht plötzlich beinahe ohne Konkurrenz alleine in der Sturmspitze, nachdem er in der letzten Saison noch Bankdrücker war und nicht so richtig geeignet schien für van Gaals Spielsystem. Auf der Sechserposition ergeben sich ebenfalls Schwierigkeiten: Mit Timoschtschuk und Ottl warten dort zwar gleich zwei Spieler auf ihren Einsatz. Doch beide haben in der vergangenen Saison eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass zwischen ihnen und den Stammkräften van Bommel und Schweinsteiger eine Welt des Unterschieds liegt.

Wacklige Abwehr ohne Ersatz

Noch problematischer als im Mittelfeld und im Angriff ist die Lage allerdings in der Verteidigung: Dass Martin Demichelis immer für einen Anfängerfehler gut ist, weiß man. Trotzdem war es falsch, den Argentinier aufs Abstellgleis zu stellen, ohne sich um einen neuen Innenverteidiger zu bemühen. Nun schmollt Demichelis und sitzt derzeit noch nicht einmal auf der Ersatzbank, ist aber gleichzeitig immer noch der einzige Ersatz für die beiden Innenverteidiger Badstuber und van Buyten. Zumindest wenn man von Maximilian Haas absieht, der bisher vor allem für die zweite Mannschaft gespielt hat, seit dieser Saison aber zum Profikader gehört. Es ist unverständlich, warum die Bayern in der Sommerpause nicht nach einem Innenverteidiger Ausschau gehalten haben. Die hohen Ziele und die gute finanzielle Lage der Bayern wären Anlass genug gewesen, um nach einer Verstärkung für diese Position zu suchen. 

Da möchten die Bayern wieder hin: zur Meisterfeier auf dem Marienplatz.

Da möchten die Bayern wieder hin: zur Meisterfeier auf dem Marienplatz.

(Foto: dpa)

Durch die Aussortierung von Demichelis hat in der Außenverteidigung nun Diego Contento sogar beinahe eine Stammplatzgarantie auf der linken Seite, obwohl er in der letzten Saison gerade einmal zu neun Einsätzen kam. Abgesehen von Lahm, der ohnehin nicht zu ersetzen ist, sind die Bayern in der Abwehr also auf drei Spieler dringend angewiesen, von denen man nicht erwarten kann, dass sie konstant auf Champions-League-Niveau spielen. Am zweiten Spieltag in Kaiserslautern spielten sie jedenfalls nicht einmal erstligatauglich.

Kaum Alternativen in der Offensive und eine wacklige Abwehr: Es bleibt die Erkenntnis, dass Bayerns Kader schwach auf der Brust ist. Die Mannschaft besteht beinahe nur aus unersetzlichen Spielern - ein großes Risiko angesichts der Dreifachbelastung durch DFB-Pokal, Meisterschaft und Champions League. Warum der Bayern-Vorstand dieses Risiko eingeht, ist unklar. Vielleicht hofft man darauf, dass van Gaal nach Müller und Badstuber noch einmal zwei Jugendspieler aus dem Hut zaubert, die dann zu Nationalspielern aufsteigen. Oder man hofft darauf, dass sich niemand mehr verletzt. Das wäre zwar pures Glück. Aber das, so werden Kritiker anmerken, ist für die Bayern ja ohnehin typisch.

Quelle: ntv.de

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