Fan-Triumph gegen den Randalestempel Dynamo gewinnt die Champions League
29.05.2013, 15:57 Uhr
Dortmund? Dresden. Auch Dynamo hat eine gelbe Wand.
(Foto: dpa)
"Düüünaaamooo!" aus tausenden Kehlen: Angetrieben von seinen Fans schafft Fußball-Zweitligist Dresden in der Relegation gegen den VfL Osnabrück den Klassenerhalt. In die Freude über den Triumph mischt sich Frust über den DFB.
Für den Fall, dass irgendjemand nicht wissen sollte, worum es geht, hatten sie es noch einmal auf ein Plakat geschrieben. In ganzer Stadionbreite hing es vor der Tribüne hinter dem Tor, dem K-Block. Dort stehen die Fans, die es mit ihrem Verein besonders ernst meinen. "Seit 60 Jahren Treue, Stolz und Leidenschaft. Zeigt, dass auch ihr diese Tugenden habt!" Am Ende hieß es: Auftrag erfüllt. Die Fans feierten, als habe der Klub zum neunten Mal in der Geschichte die deutsche Meisterschaft gewonnen. "Europapokal, Europapokal." Und Präsident Andreas Ritter sagte: "Mir ist so, als hätten wir die Champions League gewonnen."
Dabei ging es nur um Fußball in der Zweiten Liga. Dort darf die SG Dynamo Dresden nach überstandener Relegation auch in der kommenden Saison spielen. Nach dem 0:1 im Hinspiel reichte vor 29.253 Zuschauern im ausverkauften Stadion zu Dresden ein 2:0 gegen den VfL Osnabrück, der Platz drei in der Dritten Liga belegt hatte. Ein leidenschaftlicher, verbissener und am Ende dramatischer Sieg, den Cristian Fiel und Idir Ouali mit ihren Toren in der 30. und 72. Minute sichergestellt hatten. Und der für ein gutes Ende einer verkorksten Spielzeit sorgte.
Kapitän Romain Bregerie sagte hinterher: "Das war ein bisschen zu viel Drama die ganze Saison. Aber das es jetzt so endet, mit diesem Spiel vor unseren Fans - das ist ein Traum." In der Tat war es auch ein Erfolg der Fans und Gelb und Schwarz. Dresdens Trainer Peter Pacult, dessen berufliche Zukunft bei Dynamo trotz gelungener Rettung ungewiss ist, betonte, dieser Sieg freue ihn vor allem für die leidenschaftlichen Fans. Und Alexander Ukrow, Trainer der Verlierer, räumte ein: "Wir haben uns von der Kulisse ein bisschen beeindrucken lassen." Von den Menschen, die Torsten Rudolph und Christian Kabs die "aktive Fanszene" nennen. Und die hierzulande einen Ruf genießt, der viel schlechter nicht sein könnte.
Den Randalestempel auf der Stirn
Rudolph und Kabs kennen das Problem, sie arbeiten für das Fanprojekt in Dresden, das sich mit insgesamt fünf festangestellten Mitarbeitern um die Jugendlichen kümmert. Der Verein ist in der kommenden Saison vom DFB-Pokal ausgeschlossen, weil Dynamofans im Oktober vergangenen Jahres beim Spiel in Hannover den Platz gestürmt und auch beim Pokalspiel bei Borussia Dortmund randaliert hatten. Sie gelten als Wiederholungstäter, den Stempel tragen sie auf der Stirn.
Und das sicherlich nicht völlig ohne Grund. Wer aber Kabs fragt, ob die Anhänger nur ein Problem mit dem Image oder vielmehr ein Problem damit haben, sich anständig zu benehmen, bekommt eine klare Antwort: "Ein ganz großes Imageproblem, das von außen zum Gewaltproblem gemacht wird. Klar, es gibt immer wieder Vorfälle, ein oder zweimal pro Saison passiert irgendwas. Die Frage aber ist: Passiert das bei anderen Vereinen denn nicht auch? Und warum berichten die Medien da nicht in gleicher Form?"
Zum Beispiel beim Finale der Champions League in Wembley zwischen Borussia Dortmund und den letztlich siegreichen Bayern aus München. "Wie viele Fernsehzuschauer haben denn mitbekommen, dass da auch ordentlich Pyro abgebrannt wurde? Da haben die Kameras sofort weggeschwenkt", sagt Rudolph. "Als Dynamo in Dortmund gespielt hat, wurde gezielt draufgehalten."
Vor allem aber haben die Mitarbeiter des sozialen Projekts kein Verständnis dafür, dass der Deutsche Fußball-Bund mit dem Pokalausschluss den Verein und seine Anhänger kollektiv für die Randale einer Minderheit bestraft. Nicht zum ersten Mal. Fatal sei das. Und mehr als nur grenzwertig. "Für die Fans ist das ein stringenter Weg der Gängelung. Immer wieder wird an Dynamo Dresden ein Exempel statuiert. Das nehmen die Leute persönlich. Und das torpediert die Bemühungen aller, die hier versuchen, etwas zu ändern." Dabei habe der DFB in seinem Urteil versichert, dass der Verein nichts falsch gemacht habe, berichtet Rudolph. Das erzeuge Frust. Irgendwann sagen sich die Fans: "Dann entsprechen wir halt einfach dem Bild, was ohnehin medial von uns gemalt wird."
Bilder für den schlechten Leumund

Nicht nur in Dresden wird Pyrotechnik abgebrannt. Aber in Dresden wird es regelmäßig problematisiert.
(Foto: dpa)
Beim Sieg gegen Osnabrück ist nichts passiert, auch das steht in der Zeitung. Die Polizei berichtet das, sie hatte mit 800 Einsatzkräften für die Sicherheit bei diesem Relegationsspiel gesorgt. Nach der Partie in Dresden haben einige im Stadion ein rotes Feuerwerk abgebrannt und Böller gezündet. Das ist keine Gewalt, aber verboten. Und liefert die Bilder, die zum schlechten Leumund passen. Das weiß auch Christian Müller, Dynamos Geschäftsführer. Verdammen will er die Anhänger deswegen nicht. "Die Leute haben die ganze Zeit stillgehalten. Wenn nach so einem Sieg lediglich zehn Fackeln brennen, dann nehmen wir das hin."
Ansonsten konnte von Stillhalten keine Rede sein. Die Fans sind in der Tat europapokalreif. Auch wenn sie in dieser Saison nicht viel Gutes von ihrer Mannschaft gesehen haben. Nach Platz neun in der Saison zuvor hatten sie mit allem gerechnet, nicht aber mit Abstiegskampf. Die "Dresdner Zeitung" konstatierte: "So ununterbrochen laut war es lange nicht mehr im Dynamo-Stadion." Wer wissen will, was bedingungslose Hingabe heißt, der muss das beim Sieg gegen Osnabrück gesehen und gehört haben.
Klar gibt es Begeisterung auch anderswo. Aber 93 Minuten derart lautstarke Unterstützung ist selten und daher bemerkenswert. Zumal in den Niederungen der zweiten Liga. An diesem Dienstagabend war alles ein bisschen mehr. Sie sangen lauter. Sie brüllten mehr. Sie hüpften wilder. Sie inszenierten sich als Gegenentwurf zum Klatschpappenpublikum in der Beletage des deutschen Fußballs. Zumindest der hyperaktive Teil der Szene. Nach dem 2:0 war der K-Block, diese gelb-schwarze Wand, eine wabernde Masse, die wie ein überkochender Topf mit Brei aus dem Stadion zu schwappen drohte. "Düüünaaamooo!"
"Auf Lebenszeit Dynamo Dresden"
Dennoch sind die Fans der Sportgemeinschaft Dynamo Dresden für den Verein Last und Segen zugleich. Schließlich sind Image und Realität nicht völlig voneinander losgelöst. Aber Rudolph und Kabs sind davon überzeugt, dass Klub und Anhänger auf einem guten Weg sind. Und bezeichnen die Entwicklung der vergangenen Jahre als vorbildlich. "Wir schauen durch die schwarz-gelbe Brille, klar." Aber was sich Dynamo als Zweitligist an Standards erarbeitet habe, wie der Verein versucht, gemeinsam mit den Fans Regeln aufzustellen und sie auch einzuhalten: "Das ist bemerkenswert."
Eines ist ihnen besonders wichtig: "Es ist Jugendarbeit, die wir hier machen. Der Erfolg sollte nicht daran gemessen werden, ob und was vor Ort passiert." Und es ärgert sie, dass die positive Entwicklung kaum wahrgenommen wird. Dabei gibt es genügend Signale, die zeigen, dass es in die richtige Richtung geht. Damit meinen sie nicht nur den Schriftzug "Rassismus ist kein Fangesang", der über der Anzeigetafel im Stadion steht. Sondern auch die Tatsache, dass viele Fangruppen sich selbst kümmern, sich klar gegen Diskriminierung aussprechen und, nur ein Beispiel, sozial benachteiligten Kindern den Besuch eines Spiels ermöglichen. Es sind die kleinen Erfolge, die Mut machen.
Illusion der gewaltfreien Fankultur
"Wir müssen uns von der Illusion befreien, dass wir irgendwo eine völlig gewaltfreie Fankultur erleben." Fußball ist eben Teil der Gesellschaft. Die ist nicht gewaltfrei. "Und so lange es wiederum Gewalt in der Gesellschaft gibt, wird es die Gewalt auch beim Fußball geben." Den Klassenerhalt haben sie in der sächsischen Hauptstadt friedlich gefeiert, hier in der einstigen Kathedrale des Ostfußballs, wo ihr Verein den Menschen so viel bedeutet, dass sie sich auf keinen Fall als Teil der Unterhaltungsindustrie begreifen wollen.
Auf die Fahnen, die am Zaun hängen, haben sie geschrieben, wo sie herkommen, aus Bobritzsch, Radeburg, Pesterwitz, Neustadt, Finsterwalde, Görlitz, Riesa, Neukirch, Zeitz und Großröhrsdorf. Die Fanklubs heißen Ultras Dynamo, Freak Boyz, Yellow Madness, Gelbsucht und Dylirium. Für alle gilt: "Auf Lebenszeit Dynamo". Klingt wie eine Drohung. Hauptsache aber, es geht weiter in der zweiten Liga. Am Ende hat der Verein dann noch Sinn für Humor bewiesen. Auf seiner Facebookseite verkündete er: "Die SG Dynamo Dresden hat die Veranstaltung 'Dritte Liga' abgesagt."
Quelle: ntv.de