Leben

Eine für alle Mittelmäßigkeit als Lebensziel? Bitte nicht!

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Wenn Sie bei diesem Bild auf "Vergrößern" klicken, dann wissen Sie, dass hier ein großartiger Tennisspieler zu sehen ist, aber ein nur mittelmäßiger Geschäftsmann. Wenn überhaupt. Man kann nicht alles können ...

(Foto: dpa)

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Es sich in der Mittelmäßigkeit gemütlich machen oder doch lieber nach Höherem streben? Die Kolumnistin sitzt auch gern mal auf der Couch, das findet sie aber schnell langweilig. Und hat sich - mal wieder - Mühe gegeben. Eigenlob stinkt? Na und!

Ich will auf keinen Fall elitär klingen (bin ich nicht) oder streng (mag ich nicht), aber als ich neulich gelesen habe, dass eine Autorin eine "Ode an die Mittelmäßigkeit" geschrieben hat, dachte ich nur: Häh? Mittelmäßigkeit ist jetzt geil oder was? Sie begründet das natürlich toll: Wenn man sich mit seiner Mittelmäßigkeit als Position in der Gesellschaft erstmal abgefunden hat, muss man sich nicht mehr diesem Leistungsdruck beugen. Man könne sich von den Erwartungen anderer freimachen. Da ist tatsächlich viel Schönes dran, aber in mir regte sich etwas, das allein das Wort "mittelmäßig" auslöst: Unruhe. Unruhe gegen die Wortwahl. Und die Sache an sich. Die Autorin der Ode an die Mittelmäßigkeit findet nämlich, dass, wenn man sich erstmal "abgefunden" hat, es sich ganz prima lebt. Noch so ein Wort, abfinden.

Ich verstehe, dass wir nicht alle Hirnforscher sein können, dass wir nicht alle ständig ganz, ganz großartige Dinge erfinden oder machen können, dass nicht jeder ein Olympia-Gewinner oder Oscar-Preisträgerin sein kann (was sicher noch lange nichts darüber aussagen würde, ob man im Rest seines Lebens nicht doch nur mittelmäßig ist), und klar, wir können nicht alle ständig sehr gut sein. Bereits in der Schule war klar, dass man in manchen Fächern nur durchkommen will und man mit einer 3- schon echt gut gefahren ist. Ich weiß, wovon ich spreche.

Auch seinen Kindern rät man, die Bemühungen an den falschen Stellen nicht übertrieben doll auszubreiten, weil es einfach nichts bringen wird, dafür aber an anderer, passender Stelle. Aus jemandem mit wenig Sinn für Zahlen wird kein Mathe-Genie und aus Menschen ohne Sprachbegabung eher kein Dolmetscher. Aber das Streben danach, in anderen Bereichen etwas Schönes zu leisten, das macht doch auch glücklich. Denke ich. Es hat auch mit Träumen zu tun. Und Träume sind so wichtig. Ich weiß, dass ich niemals Wimbledon gewonnen habe und werde, bei meinem heimischen Clubturnier geb' ich mir aber trotzdem Mühe und will gewinnen. Ich kann aber auch damit umgehen, wenn ich es nicht tue. Bin ich mittelmäßig, wenn ich verloren habe? Ich finde nicht.

Zuckerbrot und Peitsche

Mittelmäßig klingt doof, daran ist nichts schönzureden. Mittelmaß bedeutet auch immer, dass man "irgendwie durchflutscht". Ich habe den Wunsch, mich über dem Mittelmaß zu bewegen. Es gelingt mir natürlich nicht ständig. Das können andere natürlich alles anders sehen und mich durchaus mittelmäßig oder darunter finden, ich aber versuche, meist, mich über das Mittelmaß hinaus zu hieven, auch wenn es anstrengend ist. Es lohnt sich ganz oft. Ich möchte oft gut oder sehr gut sein, und manchmal gelingt mir das. Bei Weitem nicht immer, schon klar, aber das Streben danach zählt. Vielleicht bin ich einfach so erzogen worden. Es hieß, wenn ich in Chemie 'ne absolute Pfeife bin, dann soll ich wenigstens in Deutsch gut sein. Also hab' ich mir Mühe gegeben. War das streng von meinen Eltern? Na klar, aber der Spruch "Von nix kommt nix" sitzt tief. Und wenn ich dann nichts geliefert habe, war die Stimmung eben nur so mittel(mäßig). Aber so richtig übel hat einem das auch keiner genommen. Ich hielt - und halte - das für eine Form von Erziehung. Auch "Zuckerbrot und Peitsche" gehört dazu.

Natürlich macht man auch Sachen, die richtig schlecht sind, mies, langweilig, nicht durchdacht, unter Niveau. Und nein, man will auch nicht ständig kämpfen, für etwas, gegen etwas, um etwas, das ist auf die Dauer sehr anstrengend. Aber sich im Mittelmaß einzurichten, wie die Autorin es vorschlägt, bedeutet auch, den anderen mehr Arbeit zu überlassen. Die bequeme Art, mittelmäßig zu sein, sich in seine eigene beige Decke zu kuscheln, auf dem beigen Sofa vor der beigen Wand, den dampfenden Kaffeebecher mit Hafermilch mit beiden Händen fest umklammert, Vanilla-Girl-Postings auf Instagram abzusetzen - gähn. Denn mittelmäßig zu sein bedeutet einfach auch, den anderen mehr zuzumuten. Sich zurückzuziehen in seine Mittelmäßigkeit ist einfach nur bequem. Der Mittelmäßige verlässt sich auf die anderen: Die, die noch unter seinem Mittelmaß sind und wegen der man sich dann als Mittelmäßige(r) so herrlich gemütlich und zufrieden fühlt, und die, die über der Mittelmäßigkeit sind und dafür sorgen, dass die Welt sich weiterdreht.

"Mittelmäßig" klingt ehrlich gesagt auch unsexy. Natürlich ist es ebenfalls unsexy, vom Ehrgeiz zerfressen zu sein, andere ständig zu korrigieren oder herauszufordern, sich selbst so zu stressen, dass man vor Erschöpfung gleich zusammensackt, aber das Ziel darf doch durchaus sein, in manchen Gebieten gut bis sehr gut zu sein, schöne Dinge zu machen, für sich und andere. Ich finde das Leben zu kurz, um mich "einzurichten", "abzufinden". Sich im Mittelmaß zu befinden ist ja auch eine Glücksache, denn das Mittelmaß muss man sich erstmal leisten können.

Augen zu und durch?

Ich bin für Pausen, für Kraft tanken, für Nachrichten ausschalten - aber mich darin einrichten mag ich nicht, das finde ich nicht zeitgemäß. Ich finde unsere Welt nicht mittelmäßig, sondern besonders wunderbar und auch ganz besonders schrecklich. Mittelmäßig bedeutet für mich: "Augen zu und durch". Ja, wo denn durch überhaupt? Durchs Leben? Und was kommt dann?

Ich habe gerade den Podcast von Barbara Schöneberger mit ihrem Gast Herbert Grönemeyer gehört: "Mit den Waffeln einer Frau". Diese beiden sehr außergewöhnlichen Menschen habe sich geradezu in Euphorie darüber geredet, wie herrlich sie es finden, nicht mittelmäßig zu sein. Ich habe den beiden sehr gerne zugehört. Sie sind natürlich auch Angeber, aber in a good way, und sie haben auch recht mit ihrem Eigen- und gegenseitigen Lob. "Dass man immer wieder Momente hat am Tag oder in der Nacht, wo man sagt: Jetzt fühle ich mich, ich bin ja doch noch ich und irgendwie bin ich auch gar nicht so schlecht, wie ich bin", sagt Herbert da zum Beispiel. Genau!

Ein schönes Wochenende wünsche ich erstmal, gern auch auf der beigen Couch! Oder draußen, denn das Wetter soll diesen Samstag und Sonntag endlich mal alles andere als mittelmäßig sein.

Quelle: ntv.de

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