"Kommt und guckt euch das an!" Tina Winkhaus über den Dächern von Berlin


Bei Tina Winkhaus darf es immer ein bisschen mehr sein.
(Foto: Franziska Krug, Getty images)
Riesige Nashörner, schnelle Schlitten, Kinder, die mit Waffen um sich ballern, Blumensträuße in Zellophan, Flamingos, schöne Menschen mit einem Twist - das alles ist vor Tina Winkhaus' Kamera nicht sicher. Sie verwandelt Fotos in Geschichten, Alltag in etwas ganz Besonderes. Zu sehen nur noch kurz, an einem ganz ungewöhnlichen Ort.
Zwei sehr schmerzhafte, trockene Jahre – die Corona-Jahre mit ihren Lockdowns und Einschränkungen – liegen hinter uns. Es waren Zeiten, in denen niemand eine Ausstellung besuchen konnte, kein Künstler etwas ausstellen durfte, Hoteliers keine Gäste empfingen, Menschen nicht reisen durften. Es waren harte Jahre, fürs Gefühl, aber auch fürs Konto. Tobias Berghäuser, geschäftsführender Direktor des KPM-Hotels, und Künstlerin Tina Winkhaus können ein Lied davon singen. Ein trauriges. Inzwischen aber haben sie jeden Grund, wieder zu lachen, denn das Hotel ist geöffnet und im obersten Stock hängen die Fotoarbeiten von Winkhaus, die in der untergehenden Sonne Berlins ihre ganze Pracht und Wirkung entfalten. Gezeigt werden Werke aus den letzten 20 Schaffensjahren der Künstlerin. Und weil der siebente Stock des Hotels noch nicht ganz fertig ist – auch wenn die beeindruckende Dachterrasse, die darauf thront, zu sommerlichen Drinks und cooler Musik einlädt – passt der Titel "perfection under construction" wahrlich trefflich.
Es ist ein gewisser Hunger da
Mit Winkhaus und Berghäuser haben sich ebenfalls zwei getroffen, die perfekt harmonieren, auf einer Party bei einem alten Freund ist die Idee entstanden, die Bilder von Tina Winkhaus im Hotel aufzuhängen. Gefeiert wurde das mit einer großen Vernissage, der Fahrstuhl fuhr die halbe Nacht. Zusätzlich zur Ausstellung gibt es als i-Tüpfelchen ein ganz besonderes Schmankerl: das "Winkhaus-Suite-Special". Übernachten in einer Suite, den Blick auf Berlin gerichtet, und über dem Bett ein riesiges Bild der Künstlerin: "Morninglight" heißt es, zu sehen ist eine Gruppe von Flamingos. Wer das Bild kaufen möchte – "be my guest", lacht Tina Winkhaus. Es "winken" außerdem ein "Meet and Greet" mit der Künstlerin und feinster Champagner. Aber das nur nebenbei. Mit ntv.de sprechen beide über - Menschen. "Die Leute haben einen riesigen Hunger aufs Leben", so Berghäuser, "sie reagieren sofort." Vor allem auf Ästhetik: Das Hotel, der Name lässt es vermuten, ist ausgestattet und durchzogen vom klassischen Design der Königlichen Porzellan Manufaktur Berlin. Komplette Geschirr-Reihen werden in Familien weitervererbt, immer mit dem Hinweis, darauf ganz besonders aufzupassen, denn KPM "is' was richtich Feines".

Gute Kunst braucht Zeit. Winkhaus möchte Inhalte schaffen. Das geht nur durch Authentizität.
(Foto: Franziska Krug, Getty images)
Auf das Hotel und die Kunst übertragen heißt das, dass das noch nicht ganz fertige, also nicht perfekte, Hotel auf die pure Perfektion von KPM und nun auch zeitweise – für die Ausstellung – auf die Perfektion der Bilder von Tina Winkhaus trifft. Typisch Berlin, oder? "Ja, und ideal für mich", erzählt Winkhaus, "hier hängen meine letzten 20 Jahre, und in den einzelnen Nischen oder auch großen Flächen sehe ich meine Kunst perfekt positioniert." Von den Autos über Tiere, Kinder und Fashion bis hin zur "Singerie" – also den "Affentricks" (Affen, die wie Menschen agieren und gekleidet sind) – hier hängt ein riesiger Querschnitt. "Für mein Foto vom Alexanderplatz habe ich das Foto hinterher mit riesigen Steinen geflutet, es ist eine Art Malerei." Deswegen bezeichnet sich Winkhaus auch als "digital artist" mit nur mittlerer Furcht vor Künstlicher Intelligenz - bei ihr kann ein Foto mal locker aus 20 Belichtungen bestehen.
Von Xanadu bis Luxus
Dass Tina Winkhaus eine ganz besondere Person ist, wird jede und jeder an ihren Fotos erkennen können. Wer dann noch mit ihr spricht und einen Blick hinter die große Künstlerinnen-Brille werfen darf, entdeckt eine faszinierende Frau. Eine Frau, der als kleines Mädchen bereits wichtig war, dass alles, was sie tat, elitär sein möge. Sie stammt aus einer der letzten großen Familien, die im Ruhrgebiet mit Industrie ihr Vermögen gemacht haben, Stil und Noblesse gehörten in Winkhaus' Alltag. Als kleines Mädchen nahm sie Ballett- und Reitstunden, ihr Pferd trug keinen geringeren Namen als Xanadu (ihr Hund heißt Luxus), noch heute kann man sich vorstellen, wie sie über ihre tollen Ideen gekichert hat, denn "kichern", das kann sie immer noch.
Ihre Ideen, ihre Performances – abgefahren. Sie rennt, laut "Freedom" rufend, über die Friedrichstraße, einen riesigen Wagen vor sich herschiebend, vollgeladen mit Sachen, wie man es von Obdachlosen leider zu genau kennt, an zu vielen Plätzen in den Großstädten dieser Welt. Nur, dass in ihrem Einkaufswagen alles von Gucci, Chanel, Balenciaga und Co ist. Sie hat deswegen Bodyguards dabei, einige Menschen beschimpfen die von ihr engagierten Fotografen. Ein großes Chaos entsteht. "Es gab in diesem Moment keine Werte mehr", stellt sie fest, "es kommt so sehr darauf an, wie man sich gibt. Aber ich fand es ehrenhaft, dass die Menschen auf mich aufgepasst haben und die, die mich fotografiert haben, beschimpft haben. Da sieht man dann doch, dass die Gesellschaft noch einigermaßen funktioniert. Auch, wenn sie nicht wirklich genau hingeguckt haben." Vor den Türen der Berliner Tempel "Borchardt" oder "Adlon" wurde sie jedenfalls gebeten, auf die andere Straßenseite zu gehen, dabei hatte sie die Taschen im wahrsten Sinne des Wortes voller Geld.
Klingt da also Konsumkritik durch? "Ja, da müssen wir dran arbeiten! Ein Teddybär von Louis Vuitton für Tausende von Euro – wo soll das hingehen? Ein Mensch kann sich doch nicht über Marken definieren!" Wo bleibt die Ästhetik, fragt da auch Tobias Berghäuser in die Runde, denn es gehe hin zum reinen Business. "Werte ich meine Persönlichkeit denn tatsächlich über Marken auf?", fragt er. Wichtig seien die Menschen, ergänzt Winkhaus deswegen, und freut sich im milden Abendrot der lichtdurchfluteten Hoteletage darüber, dass ihr Bauchgefühl sie an diesen Ort geführt hat.
Das Erbe verballert
Zurück zu Tina Winkhaus' Werdegang: Ganz so lustig ging es dann als junge Frau aber gar nicht weiter - die gute Erziehung, die darauf abzielte, das Mädchen gut zu verheiraten, ging die Wupper runter, als Tina mit 16 spielsüchtig wurde und Papas Erbe "zwischen Cannes, Rio de Janeiro, Acapulco und Bad Kleinkirchheim" verballerte, wie ihrer Biografie zu entnehmen ist. Zwei Alternativen zeigte ihr die Familie auf: Therapie oder Beruf. Tina entschied sich für Letzteres und wurde - Zirkusfotografin. Ein ideales Spielfeld, denn dort traf sie auf die ihr liebsten Wesen: Artisten, Akrobaten und Hochstapler. Nach ihrer Hochzeit mit einem Musiker, etlichen Partys, auf denen sie fotografierte und Backstage -Aufnahmen von Künstlern, die in der ihr eigenen Art und Weise bearbeitet wurden, hatte Tina Winkhaus die – eh nicht mehr sehr üppigen - Zuwendungen ihrer Familie gar nicht mehr nötig. Aus ihr wurde eine Künstlerin, die im besten Sinne besessen wirkt von dem, was sie tut. Und die hin und wieder kichert wie ein kleines Mädchen.

Blumen in Zellophan gehen als Kunst durch, im wahren Leben würde man das durchsichtige Papier sofort entfernen.
(Foto: Franziska Krug, Getty images)
Gefragt, was für Winkhaus und Berghäuser Stil ausmacht, antworten beide zwar unterschiedlich, sind sich aber dennoch einig in der Sache: "Stil – der geht nur mit Kante, muss sich abgrenzen, von Bestand sein, Bewunderer finden, und erkannt werden", findet der Hoteldirektor. Und die Künstlerin überlegt: "Stil hat man oder nicht, heißt es doch. Oder erschafft man Stil?" Auf jeden Fall hat Stil für beide mit Eleganz zu tun.
Tina Winkhaus fragt sich allerdings oft, warum Kunst so abgehoben wirkt. Oder wirken soll. "Die Kunst ist offen, sie muss getragen werden, es müssen Dinge zueinander finden, denn es geht um Erfahrungen und Begegnungen." Ja, gute Kunst muss bewegen. Und Atmosphäre schaffen, denn Kunst ist immer nah am Menschen. "Kunst wird von Menschen gemacht! Ohne Menschen keine Kunst", lacht Winkhaus. Die Sonne ist längst untergegangen. "Kommt, und guckt euch das an! Wenn ihr was mitnehmen könnt, wenn ihr berührt seid, dann ist alles gut."
Während des Gallery Weekends ist die Ausstellung am Freitag, 28. April von 15 bis 19 Uhr und am Samstag, 29. April von 12 bis 19 Uhr geöffnet. Danach werden die Bilder in Düsseldorf, München und Frankfurt zu sehen sein.
Quelle: ntv.de