Leben

"Kunst ist nicht kompetitiv" Yilmaz Dziewior, unser Mann in Venedig

Im Museum Ludwig, dessen Direktor Yilmaz Dziewior ist, fühlt er sich "salopp gesagt ein bisschen wie im walk through the candy shop", weil es so viel tolle Kunst zu entdecken gibt.

Im Museum Ludwig, dessen Direktor Yilmaz Dziewior ist, fühlt er sich "salopp gesagt ein bisschen wie im walk through the candy shop", weil es so viel tolle Kunst zu entdecken gibt.

(Foto: Falko Alexander)

Die "Olympiade der Kunstwelt" - so wird die Kunstbiennale in Venedig auch genannt. 80 Länder präsentieren in Pavillons die neuesten Arbeiten von KünstlerInnen, die ihr Land vertreten. Sie alle buhlen um den Goldenen Löwen als Auszeichnung. Am 23. April startet die 59. Biennale – aufgrund der Corona-Pandemie ein Jahr verspätet. Den Deutschen Pavillon kuratiert Yilmaz Dziewior, er wurde wie üblich vom Auswärtigen Amt ernannt. Der 57-jährige Kunsthistoriker ist Direktor des Kölner Museum Ludwig und durfte aussuchen, wer den Pavillon in Venedig mit Kunst bespielt. "Ich hatte eine Carte blanche und habe mich ganz egoistisch für die Künstlerin Maria Eichhorn entschieden, weil ich wissen wollte, was sie mit dem Pavillon macht." Als Kurator unterstützt er die Künstlerin dabei, ihre Idee umzusetzen. Kurz bevor er wieder nach Venedig abreiste, hat Dziewior mit n-tv.de voller Enthusiasmus und mit rheinischem Humor über kühle Köpfe, begehrte Löwen, eine überraschende Künstlerin, die Wirkung von Kunst und seine polnisch-türkischen Wurzeln gesprochen.

n-tv.de: Bei der Biennale geht es auch immer um den Goldenen Löwen als Auszeichnung. Setzt Sie das unter Druck?

Yilmaz Dziewior: Den Löwen haben wir schon erhalten, das können Sie in meinem Instagram-Account sehen. Wir warten nicht, bis wir ihn bekommen, wir haben ihn uns einfach selbst besorgt. Man kann ihn überall in Venedig in den Souvenirläden für ein paar Euro kaufen.

Sie sehen den Wettbewerb mit Humor?

Kunst ist nicht kompetitiv. Das ist nicht wie im Sport, wo es um "höher, schneller, weiter" geht.

Die Venedig-Biennale ist eines der wichtigsten Ereignisse in der Kunstwelt. Wenn am 23. April die 59. Ausgabe eröffnet, schauen nicht nur viele aus der Kunst-Branche und wegen der Preisverleihung hin. Haben Sie Lampenfieber?
Nein. Aber der Druck, die Arbeit fertigzubekommen, wird für uns alle größer. Wir haben erst Mitte März die finale Genehmigung für alles bekommen. Jeder Nagel, den man in die Wand schlagen möchte, muss bewilligt werden.

Was bereitet Ihnen am meisten Kopfzerbrechen?

Stressige Situationen meistern wir mit unserem Biennale-Team ganz gut. Ich gehe davon aus, dass alles funktionieren wird. Außerdem ist Maria Eichhorn eine fantastische Künstlerin.

Können Sie schon verraten, was für Kunst das Publikum von ihr sehen wird?

Man kann gespannt sein: Maria Eichhorn überrascht mit ihrer Kunst immer wieder.

Man kann gespannt sein: Maria Eichhorn überrascht mit ihrer Kunst immer wieder.

(Foto: Jens Ziehe)

Es wird in jedem Fall überraschend. Maria hat sich mit vielem auseinandergesetzt: der Architektur des Deutschen Pavillons, seiner Geschichte, aber auch mit Venedig als Stadt und der kolonialen Geschichte der Biennale. All das fließt in ihre Arbeit hinein. Die verschiedenen Fragestellungen, die Maria Eichhorn umtreiben, sind für jeden schon jetzt auf unserer Pavillon-Webseite zu sehen.

Kann Maria Eichhorn mit ihrer Kunst die Gesellschaft verändern?

Das sind so große Fragen (lacht). Es ist nicht mein vorrangiges Ziel, mit Kunst die Gesellschaft zu verändern. Allerdings wünsche ich mir schon eine andere Gesellschaft und hoffe, dass ich auch mit der Kunst auf mikroskopisch kleinem Level mitwirken kann. Ich wünsche mir, dass sich die Gesellschaft verändert.

Inwiefern?

Dass sie sozial, ökonomisch gerechter wird und eine größere Teilhabe möglich ist. Dass sie mehr abbildet, was ist, und dass die Gesellschaft auch in der Kunst diverser wird.

Krieg, Klimawandel, Pandemie - bei allen globalen Problemen ist die Kunst gefordert. Was kann sie da leisten?

Ich sehe nicht, dass Kunst den Auftrag hat, etwas zu leisten. Es gibt so viele unterschiedliche Positionen, Herangehensweisen und auch Fraktionen innerhalb des Kunstsystems, dass es eben nicht diesen einen Auftrag oder diese eine Sicht gibt.

Anders gefragt, was macht Kunst zum jetzigen Zeitpunkt wichtig?

Das, was sie immer wichtig gemacht hat: Kunst ist auch ein Katalysator für soziales Miteinander. Bei uns im Museum Ludwig trifft man sich, tauscht sich aus und diskutiert. Es kommen im Moment Geflüchtete aus der Ukraine zu uns. Sie bekommen sehr unbürokratisch freien Eintritt. Sie suchen Ablenkung, Auseinandersetzung oder Inspiration, vielleicht kommen sie auch, um Mut zu schöpfen.

Welche Kunst interessiert Sie?

Die, die sich zur Gesellschaft in Beziehung setzt, die darauf reagiert, reflektiert, sie abbildet und Einfluss nimmt. Es fasziniert mich immer wieder, wenn Kunst in gesellschaftliche Zusammenhänge eingreift. Das Museum Ludwig hat eine große Strahlkraft. Und ich bin mir bewusst, dass ich als Direktor dieser Institution so auch Einfluss auf die Gesellschaft habe.

Können Sie dafür ein Beispiel geben?

Wir haben 2021 eine große Andy-Warhol-Ausstellung gemacht. Jeder weiß, dass er berühmt ist. Wir haben bei ihm die Themen Queerness und Migration aufgearbeitet. Das macht auch was mit unserem Publikum, das teilweise konservativ ist. Ich bin mir sicher, dass es ein anderes Bewusstsein bekommt, wenn diese Themen an so einer prominenten künstlerischen Position verhandelt werden. Da glaube ich an die Wirkkraft der Kunst. Es ändert etwas in unserem Bewusstsein, die Art, wie wir denken und wie wir miteinander umgehen.

Mit Ausstellungen wie über den queeren Warhol rücken Sie Diversität ins Bewusstsein. Sie selbst haben polnisch-türkische Wurzeln. Stellt sich nicht schon allein aufgrund Ihres Vor- und Nachnamens die Frage nach kultureller Identität und Zuordnung?

Dieser Löwe war 1990 ein Thema für Maria Eichhorn bei einer Ausstellung in Berlin. Vielleicht gewinnt sie jetzt für ihre Arbeit in Venedig den Goldenen Löwen.

Dieser Löwe war 1990 ein Thema für Maria Eichhorn bei einer Ausstellung in Berlin. Vielleicht gewinnt sie jetzt für ihre Arbeit in Venedig den Goldenen Löwen.

(Foto: Werner Zellien)

Das sind nur meine Gene, ich bin in Bonn aufgewachsen und sozialisiert worden. Meine Mutter sprach kein Polnisch, Türkisch kann ich auch nicht. Meine Muttersprache ist Deutsch. Die Frage nach kultureller Identität treibt allerdings meine Vorgehensweise um. Je nach Institution, für die ich arbeite, überlege ich: Was ist diese Institution, was ist ein Museum? Wie arbeitet ein Museum? Was macht es aus, dass wir ein städtisches Museum sind - in der Stadt Köln, im Rheinland, in Deutschland?

Sie könnten wunderbar ein Vorbild sein, oder?

Das wäre schön (lacht)! Mir hat Kunst sehr viel gegeben, das tut sie nach wie vor. Als Jugendlicher war das für meine persönliche Entwicklung sehr wichtig. Ich kommuniziere immer wieder, dass ich aus einfachen Verhältnissen komme oder einen sogenannten bildungsfernen Hintergrund habe. Ich hoffe, dass ich andere motivieren kann. Nach dem Motto, was der Dziewior kann, kann ich auch.

Wie sind Sie nach dem Abitur auf die Idee gekommen, Kunstgeschichte zu studieren?

Es hat mich interessiert, und ich habe gemerkt, dass ich da ein Talent habe. Außerdem waren in der Kunst immer die cooleren Leute unterwegs, und ich wollte ein Teil davon sein. Aber auch die ganzen Fragestellungen der Kunst, wer hat Sichtbarkeit, wer hat keine, haben mich beschäftigt. Ich fand es zudem faszinierend, dass Kunst ökonomisch und ideell so viel wert sein kann.

Die kommenden Wochen sind Sie vorwiegend in Venedig, wie sieht Ihr Alltag denn aus?

Unterschiedlich. Am Anfang sind wir sehr viel in Archive gegangen. Jetzt sind wir sehr oft im Pavillon auf dem Biennale-Gelände und in einer angemieteten Wohnung in der Nähe. Es gibt noch jede Menge Bürokratie, die erledigt werden muss.

Was wollen Sie bei der 59. Biennale auf keinen Fall verpassen?

Ich möchte alles sehen.

Das ist kaum zu schaffen! Allein in der Hauptausstellung sind 213 KünstlerInnen zu sehen, dazu kommen 80 Länderpavillons und 30 sogenannte kollaterale Events. Vielleicht können Sie aber in den einen oder anderen Pavillon schon vorher reinschauen?

Ich bin eher zurückhaltend damit, mir vor der Preview etwas anzuschauen. Einmal habe ich es geschafft, zwei Tage vor der Preview auf das Gelände zu kommen. Das war kontraproduktiv. Alle sind nervös. Und auch wir wollen jetzt nicht behelligt werden. Es hat oft sowieso keinen Sinn, da es ja mitunter noch nicht fertig ist.

Verraten Sie mir Ihren Lieblingsort in Venedig?

Ein bisschen Urlaub - am Lido ...

Ein bisschen Urlaub - am Lido ...

(Foto: imago images / Michael Kristen)

Das ist schwierig … Der Deutsche Pavillon! Nein, eigentlich ist es der Lido. Ein Ort, wo ich dieses Mal am wenigsten bin. Es ist einfach zu weit weg von der Biennale. Am Lido ist es immer ein bisschen wie Urlaub.

Mit Yilmaz Dziewior sprach Juliane Rohr

Zur Webseite des Deutschen Pavillons geht es hier.

Die Biennale Arte in Venedig läuft vom 23. April bis 27. November 2022.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen