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Unsinn, Schwindel, Geschwätz Alles "Bullshit"

In seinem brillanten philosophischen Essay "Bullshit" untersucht Harry G. Frankfurt ein weit verbreitetes modernes Phänomen: den Mist, der tagtäglich geredet wird. Verwandte von Bullshit seien Unsinn, Schwindel, Quatsch und Geschwätz, meint Frankfurt. Aber nichts sei so allgegenwärtig wie Bullshit, daran komme keiner vorbei – im Fernsehen, in der Werbung, bei politischen Reden und auch im Privatleben.

Geschrieben hat den 73 Seiten langen Text der heute 76-jährige Professor Emeritus von der Elite-Universität Princeton (New Jersey) schon vor 20 Jahren. Nun schaffte es das schmale Bändchen von Suhrkamp in kürzester Zeit in die Spiegel-Bestsellerliste. In den USA erschien es bei der Universitäts-Druckerei von Princeton und wurde bereits weit über 400.000 Mal verkauft. Solch eine hohe Auflage gab es in der 100-jährigen Geschichte des altehrwürdigen Verlags bisher erst drei Mal.

Frankfurts zentrale These: Bullshit wurde aus der Not geboren, eine Meinung zu jedem Thema zu haben, auch wenn man nichts darüber weiß. Bullshit existiert deshalb in der Grauzone zwischen Wahrheit und Lüge und ist schwer zu fassen. Ein Lügner habe die Wahrheit immer im Kopf, und respektiert sie dadurch. Bullshit habe dagegen keine Ahnung von der Wahrheit und schere sich auch nicht darum. Interessanterweise sind die meisten Menschen verletzt, wenn sie belogen werden. Bei Bullshit liegt sie Sache anders: "Tatsächlich neigen die Menschen gegenüber dem Bullshit zu größerer Toleranz als gegenüber der Lüge, vielleicht weil wir den Bullshit nicht so sehr als persönlichen Affront erleben", schreibt Frankfurt.

Mit Hilfe von Beispielen des deutschen Philosophen Ludwig Wittgenstein, des amerikanischen Autoren Ezra Pound und des heiligen Augustin geht Frankfurt dem Bullshit auf den Grund. Und praktische Beispiele hat er einige zu bieten. Wenn ein Sprecher am amerikanischen Unabhängigkeitstag von den USA als einem "gesegneten Land" spricht, dessen "Gründerväter unter Gottes Führung eine neue Ära für die Menschheit eingeläutet haben", dann ist das eindeutig Bullshit.

Bei einer Wittgenstein-Anekdote ist dagegen der Mist nicht sofort erkennbar. Der Philosoph stauchte nämlich einmal eine Freundin zusammen, die nach einer Mandeloperation sagte: "Ich fühle mich wie ein Hund, den man überfahren hat." Sie wisse doch überhaupt nicht, wie ein Hund sich fühle, der gerade überfahren wurde, wetterte Wittgenstein. "Gerade in dieser fehlenden Verbindung zur Wahrheit liegt meines Erachtens das Wesen von Bullshit", so Frankfurt. Seine Schlussfolgerung ist so zwingend logisch wie verblüffend: Angesichts der Menschen, die selbst schwer zu verstehende Wesen seien "ist Aufrichtigkeit selbst Bullshit".

Keiner ist von dem "Bullshit"-Erfolg mehr überrascht als der Autor selbst. Er hätte sich nicht träumen lassen, dass sein Essay nochmal so viel Aufmerksamkeit erfahren würde, so Frankfurt. Und fügt mit wissenschaftlicher Bescheidenheit hinzu, dass er es nicht einmal so sehr für ein perfektes Stück Literatur hielt. "Als ich es neulich nochmal las, war ich etwas enttäuscht. Ich fand es gar nicht mehr so gut. Es ist eine etwas oberflächliche und unvollständige Behandlung des Themas", sagte er in einem Interview der "New York Times".

Das sehen seine Kollegen jedoch anders. "Harry vermag auf einzigartige Weise, eine einfache Wahrheit zu nehmen und daraus logische Schlussfolgerungen zu ziehen. Er ist sehr gut darin, die wesentliche Tatsache zu erkennen", sagte G. A. Cohen, Professor für Sozial- und Politiktheorie an der Universität von Oxford. Harry G. Frankfurt: Bullshit.

(Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main, 73 S., Euro 8, ISBN: 3518584502)

Quelle: ntv.de

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