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Ein Querschnitt von 100.000 Mieterinnen und Mietern – roughe Bilder in rougher Umgebung, zwischen Schwimmbad, Baugrube, Wohnhäusern und Einkaufsviertel. Der Fotograf, der an der Tür des legendären Clubs Berghain steht, ist hier nicht Tanzpublikum-Kurator, sondern der Macher der eigenen Ausstellung.
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In der Porträtreihe "NAH" fotografiert Sven Marquardt Mieterinnen und Mieter der GESOBAU im Märkischen Viertel. "Ich war schon an vielen Orten, aber aus meinem Kreis wohnt hier niemand, ich war noch nie im Märkischen Viertel und ich fand das total spannend. Das ist hier wie eine extra Stadt."
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Etwas Besonderes ist zum Beispiel das Porträt von Hannelore S.: Die Rentnerin lebt seit ihrer Hochzeit vor 50 Jahren hier und liebt die vielen Möglichkeiten, die das Viertel bietet. Sie ist so was wie die Iris Apfel des Märkischen Viertels.
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Auf den überlebensgroßen Fotografien kommt das Publikum den Abgelichteten nah. Die Bilder sind auf Lkw-Planen gedruckt und teilweise an die unverputzten Wände der Baustelle plakatiert. Den Ort hat Sven Marquardt gewählt: "Ich lauf auch gerne durch die Stadt und gucke mir Plakate an Bauzäunen an. Das transportiert den Zeitgeist."
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Sabine S. ist Verkäuferin und wohnt auch im Märkischen Viertel - ihr Herz schlägt für das "MV". "Die Mieterinnen und Mieter haben sich freiwillig gemeldet. Gerade jetzt wollten wir ein unmittelbares, sehr nahes Bild der Menschen zeigen", erklärt Jörg Franzen, Vorstandsvorsitzender der Wohnungsbaugesellschaft. "Wichtig war mir, dass sie stolz sind, das habe ich in meinen Vorgesprächen gesagt," ergänzt der Fotograf.
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"Das Verhältnis von Marquardt zu den Menschen war sehr intim, wie man auf den Bildern sieht. Wir wollten keine Wohlfühlkampagne haben. Die Menschen, die bei uns wohnen und über viele Jahre eine Heimat gefunden haben, sollten im Mittelpunkt stehen", so Franzen.
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Für Sven Marquardt war es neu, mit Menschen zu tun zu haben, die noch nie vor einer Kamera standen. Sonst fotografiert er Künstler, Musiker oder Tänzer. Dieses Mal waren es Hobby-Boxer, Zauberer, Streetworker, Studenten, Ehepaare, Rentner oder Bäckereiangestellte.
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Angenehm für Sven Marquardt war, dass ihn im Märkischen Viertel keiner wirklich kennt. Nur im Studentenwohnheim im Wedding gab es ein paar, die ihn als harten Türsteher erkannten. "Und die waren ganz aufgeregt", erzählt er lachend.
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Marquardt: "Ich wollte nicht in ihren Wohnungen fotografieren, ich will niemanden stören, ich möchte ja auch nicht gestört werden. Das ist eine Schwelle, die ich nicht übertreten möchte. Wir nehmen die Leute in eine andere Situation mit – in eine, die ich toll finde. Eine andere Welt."
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Und ergänzt: "Ich habe überlegt, dass ich allen mit dem Shooting ein paar besondere Stunden ermöglichen möchte. Es gab Garderobe, Schmuck Accessoires, Haare und Make-up, Catering - und dann standen sie vor meiner Kamera. ...
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... Ich habe die Kampagne weg von der sozialdokumentarischen Fotografie in meine Form der Bilder gepackt", sagt der 60-Jährige. Trotzdem sind die Fotografien dokumentarisch geblieben und Marquardt hat jeweils einen starken Moment festgehalten.
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Ein Moment, der Marquardt besonders in Erinnerung ist: "Die beiden vom Orient-Kitchen, Amaria und Hicham H., setzten am Anfang ein Selfie-Grinsen auf, weil man es so gewohnt ist. Ich sagte dann, dass ich ein anderes Gesicht haben möchte. Das, was beide jetzt ausstrahlen, berührt mich."
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Sensibel, subtil, stark – gibt es ein Lieblingsbild? Marquardt mag sie alle: Die Frau im Kapuzenpulli, die an der Kasse arbeitet, die Studenten, die Frau mit dem bedruckten T-Shirt - sie alle könnten ein Foto aus der "Sibylle", der legendären Zeitschrift für Mode und Kultur aus der DDR, sein.
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Die Menschen vor der Kamera sind individuell, schön, international, queer, jung, alt – vielseitig, bunt und völlig unverfälscht. Aber: "Als die ersten Bilder aus dem Labor kamen, war ich mir nicht sicher, ob man in diesem Auftrag meine fotografische Handschrift erkennt, ich war nicht sicher, ob ich mich verliere", so Marquardt. "Irgendwie hatte ich jedoch mein Selbstbewusstsein zurück, als ich die Fotos sah. Das hatte sicher mit den zwei Jahren Pandemie zu tun, in denen nicht so viel passiert ist."
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Wie bekommt man aber die Menschen, die sonst völlig andere Dinge im Leben zu tun haben, vor die Kamera? Ganz klassisch: Es gab einen Aufruf von der GESOBAU zu einem Casting durch die Mieterzeitschrift und die Sozialen Medien. Später ist Marqardt auch selbst mit zwei bekannten Streetworkern - Cem und Murat - mehrmals durchs Viertel gegangen. "Ich war überrascht, wie echt das hier im Viertel ist." Und deswegen sind die Bilder auch so einzigartig wie das Viertel, wurden bei natürlichem Licht und mit einer analogen Kamera gemacht.
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"Für mich war das ein neuer Weg des Arbeitens, kein klassisches Fotoshooting", sagt Marquardt. Der Titel "NAH" ist erst zum Schluss und nach einigen Diskussionen entstanden. An drei verschiedenen Orten im Märkischen Viertel, die er gewählt hat, ist er den Mieterinnen und Mietern dann begegnet.
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Gute zwei Stunden hat das Shooting in Wohlfühlatmosphäre jeweils gedauert. "Die Mädchen, die so bewusst posieren, haben sich nicht mal ein Stück Schokolade genommen. Die waren so brav. Unglaublich", wundert sich Marquardt fast. Mutter Florence Imadi I. ist Youtuberin.
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Wann hatte Marquardt das richtige Bild? "Das sortiert sich am Ende wie von selbst. Das Shooting war mit allen spannend und unterschiedlich. Bei manchen hatte ich den Moment schnell oder ich habe gemerkt, da passiert jetzt nicht mehr so viel. Das kann man nicht planen."
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Die beiden Streetworker, Cem und Murat, die aus dem Viertel stammen und viele Jugendlichen betreuen, kennt jeder. "Das war für uns super hilfreich", sagt Marquardt, "weil man denen vertraut, vertraute man uns. Kann schon sein, dass das sonst schwieriger geworden wäre."
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Die Kampagne wollte sein Auftraggeber in Schwarz-Weiß, so sind die Bilder auch in der Stadt plakatiert. Nur in der Ausstellung setzt Marquardt bewusst ein paar bunte Akzente. Sie ist in der Baustelle der ehemaligen Zentrale der Berliner Wohnungsbaugesellschaft, Wilhelmsruher Damm 142, täglich von 14 bis 20 Uhr, vom 17. bis 26. Juni zu sehen, (Eintritt frei). Zudem sind die Bilder in der ganzen Stadt plakatiert.
Fotoausstellung NAH Sven Marquardt goes Märkisches Viertel
Mieter als Models - das ist mal was anderes, dachte sich Sven Marquardt, vor allem bekannt als Mann an der härtesten Tür Berlins, dem "Berghain", aber auch Fotograf und Dozent an der Kunsthochschule Weißensee in Berlin, als er die Anfrage eines Berliner Wohnungsbauunternehmens bekam, deren Bewohner für eine Kampagne zu fotografieren.
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