

Noch Mitte Februar gibt es Hoffnung: Da reist Bundeskanzler Olaf Scholz nach Moskau und zeigt sich hernach optimistisch, dass Russlands Präsident Wladimir Putin von der angedrohten Invasion der Ukraine absieht.
Zuvor hatte es bereits Frankreichs Präsident Emmanuel Macron versucht, doch inhaltlich wie räumlich bleibt die Distanz zu Moskau groß.
Wie groß, zeigt sich in der Nacht zum 24. Februar: Von der Krim (Bild) und vom Norden her dringen russische Truppen in ukrainisches Territorium ein. Zwar herrscht in dem Land bereits seit 2014 Krieg, als Russland die Krim annektierte und von Russland unterstützte Separatisten im Osten zu den Waffen griffen. Doch nun beginnt eine großangelegte Invasion des Nachbarlandes.
Die Angreifer markieren einen Teil ihrer Panzer und Fahrzeuge mit einem "Z", das zum Propaganda-Symbol der vom Kreml ausgerufenen "Spezialoperation" wird - ein Wort, das den Angriffskrieg kleinreden soll.
In der Hauptstadt Kiew schlagen die ersten Raketen ein. Noch in der Nacht sterben Zivilisten.
Auch im Donbass eskaliert der bislang auf kleinerer Flamme ausgetragene Konflikt. Wie hier in Horlivka, wo dieses Wohngebäude beschossen wird.
Russische Saboteure und Spezialkräfte dringen in Kiew ein - und werden gestoppt.
Armee, Polizei und zivile Verteidiger stoppen offen oder verdeckt operierende Kräfte, die unter anderem Staatschef Wolodymyr Selenskyj töten sollen.
Am Freitagmorgen meldet sich Selenskyj per Selfie-Video zu Wort. Seine Botschaft: Der Präsident und seine Regierung sind am Leben und denken gar nicht daran, zu fliehen.
Der frühere Schauspieler wendet sich von nun an regelmäßig in Pressekonferenzen und Telegram-Videos zu Wort. Er avanciert zum Gesicht des ukrainischen Widerstands gegen die Invasoren.
In Kiew flüchten sich derweil Tausende Zivilisten in die tief unterirdische Metro, um sich vor Raketenangriffen zu schützen.
Die Russen attackieren den Flughafen Hostomel, der als Brückenkopf zur Invasion der Hauptstadt werden soll - und scheitern am ukrainischen Widerstand.
Die Ukrainer gewinnen wertvolle Zeit, auch wenn die Schäden immens sind. Das weltgrößte Transportflugzeug, die Antonow 225, wird dabei zerstört.
Die ukrainische Armee sprengt zudem die Brücke über den Fluss Irpin, um den russischen Vormarsch vom Norden zu stoppen.
Die Menschen aus den Vororten nördlich der Hauptstadt fliehen zu Fuß über die Überreste der Brücke - die Bilder gehen um die Welt.
Die Ukrainer, eben noch Bewohner der nachgefragten, grünen Vorstädte Irpin und Butscha, können fast nichts mitnehmen auf die Flucht.
Irpin wird weitgehend zerstört. Wer bleibt oder nicht rechtzeitig fliehen kann, durchlebt Wochen des Horrors.
Immer wieder werden fliehende Zivilisten an der Brücke von Irpin von russischer Artillerie beschossen und getötet. Es sterben Männer und Frauen, Alte und Kinder, während sich die ukrainische Armee gegen eine Einkesselung Kiews stemmt.
Ende Februar ist es noch kaum vorstellbar: Die Russen ziehen später ab und im April steht die Brücke schon wieder, wenn auch nur provisorisch.
Doch zu Beginn des Krieges ist die Lage noch völlig unklar. Immer wenn es dunkel wird in Kiew, weiß niemand, ob der Widerstand die Nacht über durchhalten wird.
Panzersperren gehören zum neuen Straßenbild der ukrainischen Hauptstadt.
Zivilisten füllen Sandsäcke und bauen Molotow-Cocktails, um bei der Verteidigung ihrer Stadt zu helfen.
Kiews Bürgermeister Witali Klitschko (r.) und sein Bruder Wladimir vermitteln den Deutschen die ganze Not ihres Landes - auch sie werden zu Gesichtern des Kampfes ihres Volkes.
Zu Hunderttausenden fliehen die Menschen aus dem Land. An den Grenzen, wie hier zu Rumänien, bilden sich lange Staus. Viele Menschen bleiben ohne Benzin liegen und müssen zu Fuß weiter.
Im polnischen Grenzort Medyka kommt ein schnell wachsender Strom an Geflüchteten an. In einem nationalen Kraftakt nehmen sich die - sonst so migrationsskeptischen - Polen der Neuankömmlinge an.
Auch am Berliner Hauptbahnhof kommen Ende Februar und Anfang März jeden Tag Zehntausende Ukrainer an, vor allem Frauen, Kinder und Alte.
Die Menschen bringen ihre traumatischen Erinnerungen mit, ihre Ängste und Sorgen um die Zukunft. Bis Ende Mai steigt die Zahl der nach Deutschland geflüchteten Ukrainer auf etwa 800.000.
Die Männer bleiben meist zum Kämpfen zurück, oder um anderweitig bei der Verteidigung zu helfen. Nach Ausrufung der Generalmobilmachung dürfen sie ohnehin nicht mehr ausreisen. Hier nehmen Männer Abschied in Kramatorsk im Donbass, ...
... hier im westlich gelegenen Lwiw.
Im Ausland lebende Ukrainer, wie dieser Mann namens Misha, kehren zum Kämpfen in ihre Heimat zurück.
Wie groß der Widerstandsgeist der Ukrainer ist, zeigt sich schon am ersten Tag des Krieges, im Streit um das strategisch wichtige Schwarzmeereiland Schlangeninsel.
Der Aufforderung zur Kapitulation der dort stationierten Ukrainer entgegnet ein Soldat: "Russisches Kriegsschiff, fick dich!" Er und seine Kameraden werden beschossen. Der zunächst für tot gehaltene Mann soll Ende Mai aus russischer Kriegsgefangenschaft befreit worden sein.
Doch auch Russland bekommt den Krieg sofort zu spüren: Notenbankchefin Elvira Nabiullina muss Putin erklären, wie sich Russland gegen die offenbar unerwartet schwerwiegenden Sanktionen stemmen kann.
Die Schließung der McDonalds-Filialen ist dabei nur ein Symbol für den weitgehenden Rückzug westlicher Firmen aus Russland.
Viele Russen, die den Krieg gegen die Ukraine ablehnen, werden bei Protesten festgenommen. Kritische Bemerkungen werden als Falschbehauptungen über die Armee unter Strafe gestellt.
Den anfänglichen Protesten begegnet der russische Staat mit Gewalt und Unterdrückung - bis es schließlich kaum noch Demonstrationen gibt. Stattdessen verlassen die Menschen, vor allem gebildete Akademiker, zu Zehntausenden das Land.
Die Journalistin Marina Owsjannikowa wird zum Gesicht des Widerstands: In der russischen Hauptnachrichtensendung hält sie ein Schild hoch, auf dem in Englisch und Russisch steht: "Kein Krieg. Stoppt den Krieg. Glauben Sie nicht der Propaganda. Sie belügen Sie hier." Zudem ruft sie: "Stoppt den Krieg. Nein zum Krieg."
Wer in Russland bleibt, bekommt legal keine kritischen Nachrichten mehr. Die mit dem Nobelpreis prämierte "Nowaja Gaseta" stellt unter dem politischen Druck ihre Berichterstattung vorerst ein.
Der Sender Echo Moskau darf nicht weiter arbeiten. Unabhängige russische Medien können nur noch vom Ausland aus wirken.
Das erste Kriegsziel erreicht der Kreml aber nicht: die Eroberung Kiews und den Sturz der angeblichen "Nazi"-Regierung. Symbolisch dafür steht die lange Kolonne an Militärfahrzeugen zwischen Russland und Kiew. Sie leidet an logistischer Fehlplanung und wird von den Ukrainern aufgerieben.
Der Rückzug der Invasoren aus dem Norden ist Zeichen des militärischen Desasters für Russland.
Mit westlichen Panzerfäusten neuesten Typs, wie dem Modell Javelin, rücken die Ukrainer den Russen zu Leibe und attackieren sie aus dem Hinterhalt.
Auch die seit der Krim-Annexion erworbenen Kampfdrohnen Bayraktar aus türkischer Produktion erweisen sich als hocheffektiv - die Soldaten widmen dem Gerät sogar ein Lied.
Vor allem die oft veralteten Kampf- und Schützenpanzer gehen den Russen binnen Wochen in hoher dreistelliger Zahl verloren. Sie werden entführt ...
... oder zurückgelassen und den ukrainischen Streitkräften zugeführt. Dass es oft Bauern mit ihren Traktoren sind, die das russische Kriegsmaterial abschleppen, sorgt im Internet für Heiterkeit und nimmt den Ukrainern etwas die Angst vor der russischen Übermacht.
Von den ersten Tagen des Krieges an strömt den Ukrainern eine Welle der Solidarität von Menschen aus aller Welt entgegen. Die erste Demonstration am 27. Februar in Berlin zieht Hunderttausende Menschen an.
Im Bundestag verkündet Bundeskanzler Scholz am selben Tag, dass Deutschland nun doch Waffen liefern werde an die Ukraine. Es ist ein Paradigmenwechsel, genauso wie die "Zeitenwende": Scholz' Versprechen, die Bundeswehr mit zusätzlichen 100 Milliarden Euro zu ertüchtigen.
Einer der Zuhörer der Rede ist der in Berlin durchaus umstrittene Botschafter Anrij Melnyk. Ihm und seinem Land gilt der Applaus des gesamten Plenums.
Doch weder klatschende Hände noch eine Umarmung von Alt-Bundespräsident Joachim Gauck rütteln an Melnyks Entschiedenheit: Er wird das ganze Frühjahr hindurch bemängeln, dass Deutschland die Ukraine zu wenig unterstütze.
Derweil wird den russischen Besatzern immer bewusster, dass sie kaum als Befreier begrüßt werden. Stattdessen stellen sich die Menschen - wie hier in der Stadt Cherson - den Soldaten entgegen.
Die Proteste lösen die Soldaten gewaltsam auf. Es gibt Berichte, wonach Unterstützer des ukrainischen Staates gezielt festgenommen werden. In Cherson soll nach russischen Plänen eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region stattfinden.
Um den lokalen Widerstand zu brechen, geht Russland gezielt gegen die kommunale Politik vor und bombardiert etwa die Regionalverwaltung von Mykolaiv und ...
... entführt den Bürgermeister der Stadt Melitopol, Ivan Fedorov, der später aber befreit werden kann. Andere Politiker werden dagegen getötet, sind weiter in russischer Gewalt oder werden vermisst. An ihrer Stelle installieren die Russen Marionettenregierungen.
Auch der - letztlich folgenlose - Brand eines Nebengebäudes des Atomkraftwerks Saporischschja wird zum Sinnbild für die vollkommene Rücksichtslosigkeit der russischen Armee.
... wie die Bombardierung des Stadttheaters mit Hunderten Toten - obwohl in großen Buchstaben auf dem Vorplatz der Bau als Zivilschutzort markiert ist.
Auch die Schwarzmeermetropole und Hafenstadt Odessa wird immer wieder beschosssen, so wie die umliegende Region.
Ein Angriff vom Meer wird erwartet, ein russischer General schwadroniert von der Eroberung der gesamten ukrainischen Küstenregion zwischen der Krim und dem moldauischen Transnistrien. Doch ein ernsthafter Versuch bleibt bislang aus, wohl auch weil die Ukrainer lange russische Kräfte in Mariupol und anderswo binden.
International sind es neben den USA vor allem die Osteuropäer, die den Freiheitskampf der Ukrainer entschlossen unterstützen. Am 15. März reisen die Ministerpräsidenten von Polen, Tschechien und Slowenien in das ...
... da noch umkämpfte Kiew. Bomben treffen dieses Wohngebäude im Stadtteil Swjatoschyn.
Zwei Tage später eine Premiere im Bundestag: Ein Staatschef wird per Videostream in das vollbesetzte Plenum gestreamt. Eindringlich fordert Selenskyj Hilfe von Deutschland sowie ein konsequentes Rohstoffembargo gegen Russland.
Die meisten Zuhörer zeigen sich gerührt, doch statt die Rede wirken zu lassen oder zu debattieren, geht der Bundestag auf Wunsch der Ampelfraktionen umstandslos zur Tagesordnung über, was viele Beobachter als würdelos kritisieren.
Zwei Wochen nach der Bundestagsrede trifft US-Präsident Joe Biden ukrainische Regierungsvertreter sowie ukrainische Geflüchtete und hält eine Rede, in der er einen Sturz Putins andeutet - was das Weiße Haus eiligst dementiert.
Der russische Präsident schickt Biden einen Gruß aus der Ferne: Raketen schlagen im von Warschau nicht so weit entfernten Lwiw ein und setzen ein Treibstofflager in Brand.
Der Kreml-Gruß ist aber auch ein Akt der Verzweiflung: Die Offensive auf Kiew ist gescheitert. Auf ihrem Rückzug erleidet die russische Armee, wie hier in Brovary, schwere Verluste an Mensch und Material.
Die von den Russen zurückeroberten Orte wie Borodjanka im Norden des Landes sind ...
... teils zerstört. Wo Mitte Februar noch Menschen lebten, liegt sechs Wochen später nichts als Schutt und Asche.
Als auch die Region um das havarierte Atomkraftwerk Tschernobyl wieder in ukrainischer Hand ist, zeigen Schützengräben im verseuchten Boden nahe der Kraftwerksruine, wie wenig sich Moskau um das Leben der eigenen Soldaten schert.
Ende April ziehen auch die letzten russischen Truppen aus den Kiewer Vororten ab. Die Armee organisiert sich neu und konzentriert sich fortan auf die Kämpfe in der Ostukraine.
Doch den Rückeroberern bietet sich in den Vororten ein Bild des Schreckens, dessen ganzes Ausmaß erst im Verlauf von mehreren Tagen erkennbar wird. Zum traurigen Symbol wird dabei Butscha.
Die Aufnahme von der getöteten Iryna Filkina wird eines von vielen Symbolen für die russische Grausamkeit gegenüber Zivilisten. Die Mutter zweier Kinder wurde 52 Jahre alt.
Die russischen Truppen haben sich vor ihrem Abzug keine Mühe gemacht, ihre Verbrechen zu kaschieren. Leichen von Männern, Frauen und auch Kindern pflastern die Straßen Butschas und anderer Orte.
Darunter sind auch Menschen, die offensichtlich von den Russen gefangen und gefesselt wurden, bevor sie geradezu hingerichtet wurden.
Viele Menschen wurden eiligst in Massengräbern verscharrt. Drei Monate nach Beginn des Krieges werden der ukrainischen Justiz mehr als 15.000 Fälle mutmaßlicher Kriegsverbrechen gemeldet.
Als Staatschef Selenskyj in Begleitung von Journalisten Butscha besichtigt, ist der für seine Entschlossenheit gerühmte Staatsmann ein anderer als noch Ende Februar - er wirkt erschöpft und ist binnen Wochen sichtbar gealtert.
Ende April reist UN-Generalsekretär Antonio Guterres nach Vermittlungsbemühungen in Moskau direkt weiter zu Selenskyj nach Kiew.
Putin schickt seinem Gast tödliche Grüße hinterher: Während Guterres' Kiew-Aufenthalt schlagen erstmals seit Wochen wieder Raketen in der ukrainischen Hauptstadt ein.
Die weltweiten Solidaritätsbekundungen an die Ukraine mehren sich nach Butscha und immer mehr Staats- und Regierungschef wagen einen Besuch. Nur einer ist nicht willkommen: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier muss seine Besuchspläne kurz vor der Abfahrt aus Warschau abbrechen.
Während Bundeskanzler Olaf Scholz nach dem diplomatischen Eklat einen Besuch in Kiew ablehnt, reist Oppositionsführer Friedrich Merz an und spricht mit Selenskyj. Ein Coup, den ihm Kritiker als PR-Aktion ankreiden.
Eine Woche nach Merz kommt als erstes hochrangiges deutsches Regierungsmitglied Außenministerin Annalena Baerbock nach Kiew und lässt sich unter anderem von Bürgermeister Klitschko herumführen.
"Diese Opfer könnten wir sein", zeigt sich Baerbock nach einer Besichtigung Butschas und nach Gesprächen mit Überlebenden erschüttert.
Die ukrainische Armee kann derweil im März, April und Mai den Tod mehrerer russischer Kommandeure vermelden, darunter wohl ein Dutzend Generäle. Ende Mai soll sogar Walerij Gerasimow, Generalstabschef der Armee, bei einem ukrainischen Angriff schwer verwundet worden sein. Nachprüfen lassen sich solche Mitteilungen aber kaum.
Zudem gelingen den Ukrainern Schläge gegen kriegswichtige russische Infrastruktur - wie es mutmaßlich bei dem Brand eines Öllagers in der russischen Stadt Belgorod der Fall war. In den russisch besetzten Gebieten beginnen indes Partisanen mit gezielten Schägen gegen die Besatzer.
Einer der symbolträchtigsten Erfolge der Ukrainer aber ist der Untergang der "Moskva", dem Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte.
Moskau bestreitet zwar, dass der Raketenkreuzer durch ukrainischen Beschuss versenkt wurde. Doch glaubwürdig ist das nicht.
Eine Ehrung der "Moskva"-Matrosen soll Meldungen von nur einer Handvoll Toten bestätigen, während russische Rechercheportale Dutzende Familien ausfindig machen, deren Söhne nach dem Dienst auf dem Schiff als vermisst gelten.
Doch trotz der hohen Verluste und wiederholten Niederlagen auf dem Schlachtfeld sitzt Putin fest im Sessel. Am 9. Mai, dem Tag des Sieges über die deutsche Nazi-Herrschaft, ...
... findet in Moskau die gewohnte, nur etwas verkleinerte Militärparade statt. Putin behauptet, Russland kämpfe in der Ukraine erneut gegen den "Nazismus". Er verzichtet aber auf die Nennung konkreter Erfolge.
Dabei gelingt Russland nach Wochen des erbitterten Kampfes ein wichtiger Sieg: die Eroberung der Hafenstadt Mariupol. Moskau erlangt dadurch die Konrolle über die südlichen Gebiete zwischen der annektierten Krim und dem Donbass.
Die Stadt wird in Schutt und Asche gelegt. Ohne jede Rücksicht auf die Zivilbevölkerung wird die Stadt mit ihren einst mehr als 400.000 Einwohnern über Wochen beschossen.
Die Menschen müssen ihre Angehörigen in Massengräbern beerdigen. Einige tausend Zivilisten können schließlich in Sicherheit gebracht werden, eine unbekannte Zahl an Menschen wird jedoch unter Zwang nach Russland verschleppt.
Auf den Straßen liegende Tote sind für die in Mariupol eingeschlossenen Zivilisten Bilder des Alltags. Es geht ums nackte Überleben.
Als die Stadt nicht mehr zu halten ist, verschanzen sich ukrainische Kämpfer, ihre Angehörigen und andere Zivilisten im örtlichen Stahlwerk mit seinen Bunkern und verzweigten, unterirdischen Gängen.
Russlands Vorgehen gegen die Menschen im Stahlwerk ist unerbittlich, auch weil die dort kämpfenden Ukrainer zum großen Teil dem Asow-Regiment angehören, das auf eine rechtsradikale Miliz zurückgeht - und so in die Propaganda vom russischen Kampf gegen Nazis passt.
Für die meisten Ukrainer aber sind die Soldaten Helden. Unter widrigsten Umständen und hohen Verlusten binden sie über Wochen russische Kräfte, die dem Kreml an anderen Fronten des Kriegs fehlen.
In Kiew kommt es aber auch erstmals zu Selenskyj-kritischen Protesten, als Angehörige die Befreiung der Soldaten im Stahlwerk fordern, da ihr Kampf am Ende aussichtslos ist.
Am 21. Mai schließlich befiehlt Kiew seinen Kämpfern die Kapitulation. Die Männer gehen einem ungewissen Schicksal entgegen.
Die tschetschenischen Kämpfer unter dem Befehl des blutrünstigen Putin-Statthalters Kadyrow jubeln über ihren "Sieg" in Mariupol, während ...
... die ukrainischen Kriegsgefangenen und ihre Angehörigen bangen. Die Offiziellen der selbsternannten "Volksrepublik" Donezk drohen ihnen mit der Todesstrafe. Möglich könnte aber auch ein Gefangenenaustausch sein.
Die Ukraine hält mit der Herrschaft des Rechts dagegen: Am 23. Mai wird in Kiew erstmals ein russischer Soldat, der 21-jährige Wadim Sch., zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt, nachdem er einräumt hat, vier Tage nach Kriegsbeginn einen Zivilisten in der Region Sumy erschossen zu haben.
In der zweiten Mai-Hälfte konzentrieren sich die Kämpfe vor allem auf den Osten der Ukraine. Hier können die Russen aus dem Gebiet um die zweitgrößte Stadt des Landes, Charkiw, zurückgedrängt werden.
Dieser bei Charkiw abgeschossene Militärhubschrauber vom Typ Mi-28 ist ein Beleg dafür, wie effizient die ukrainische Armee die westlichen Militärhilfen einzusetzen versteht.
Einer ukrainischen Einheit gelingt es bei Charkiw sogar, bis an die russische Grenze vorzustoßen. Es ist ein vor allem für die Moral der Ukrainer wichtiger Sieg, weil er zeigt, dass Russland immer wieder ausweichen muss.
Russland wiederum folgt bei seiner Offensive in den Oblasten Donezk und Luhansk die Strategie der Überlegenheit durch Masse - und scheitert damit immer wieder, wie bei der versuchten Überquerung des Flusses Siwerskyj Donez.
Mit Artillerie und Drohnen zerstören die Ukrainer die improvisierte Pontonbrücke und vernichten Dutzende Militärfahrzeuge.
Auch auf der Weltbühne - zumindest der westlichen - bleibt das Schicksal der Ukrainer allgegenwärtig. Der Sieg des Kalush Orchestra beim European Song Contest macht die Ukraine stolz, genauso wie ...
... die Nationalmannschaft, die trotz eingestellten Liga-Betriebs am 1. Juni gegen Schottland gewinnt und nahe an der zweiten WM-Qualifikation des Landes ist, während Russland von fast allen Sportveranstaltungen ausgeschlossen wird.
Doch als sich der Krieg seinem hundertsten Tag nähert, muss die ukrainische Armee die Stadt Sjewjerodonezk räumen. Nach Wochen schwerer Kämpfe mit Tausenden getöteten Soldaten und noch mehr Verletzten scheint der Donbass so gut wie verloren für die Ukraine.
Weiterhin müssen Menschen fliehen. Mehr als acht Millionen sind es innerhalb des Landes, mehr als sechs Millionen Menschen haben die Ukraine verlassen.
Dem Land geht es wie diesem Mädchen, das den Schrecken der Kämpfe ums Asow-Stahlwerk entkommen ist: Die Ukraine hat so viel länger gegengehalten, als es irgendwer für möglich gehalten hat. Doch ihre Zukunft ist ungewiss und die bleibenden Schäden sind kaum zu erfassen.