Beduinen-Poesie als QuotenrennerArabien sucht den Superdichter
Bis zu 17 Millionen Menschen schauen zu, wenn in der Live-Show "Dichter für Millionen" arabische Dichter mit eigenen Versen um ein Preisgeld von umgerechnet etwa einer Million Euro kämpfen.
In Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, würde ein TV-Unterhaltungschef, der zur besten Sendezeit einen Lyrik-Wettbewerb ins Programm nehmen will, wahrscheinlich für verrückt erklärt. Auf der arabischen Halbinsel, wo es vor 100 Jahren noch nicht allzu viele Menschen gab, die überhaupt lesen und schreiben konnten, schalten dagegen bis zu 17 Millionen Menschen ein, um die Live-Show "Dichter für Millionen" ("Shair al-Million") von Abu Dhabi TV zu sehen. Die Show, in der es weder Tänzerinnen noch lustige Einspielfilme gibt, ist zurzeit der absolute Quotenrenner am Golf. Die dritte Staffel hat nun begonnen. Ein Ende ist nicht abzusehen.
Die "Dichter-für-Millionen-Show" funktioniert im Prinzip so ähnlich wie "Deutschland sucht den Superstar" und andere Formate, bei denen sich hoffnungsvolle Nachwuchskünstler dem Urteil einer Jury und des Publikums unterwerfen. Wer im Finale zum "Dichterprinzen" gewählt wird, geht mit einem Preisgeld von fünf Millionen Dirham (rund eine Million Euro) nach Hause.
Es geht arabisch-höflich zu
Doch anders als die deutschen Nachwuchssänger, die mehr oder weniger stimmgewaltig Hits anderer Künstler vortragen, deklamieren die arabischen Dichter nur ihre eigenen Verse. An diesem Abend trägt im Al-Raha-Beach-Theater von Abu Dhabi als Erster Hakim al-Mual aus Saudi-Arabien vor. In höflichen Worten loben die Lyrik-Experten der Jury die von ihm gewählten Metaphern. Hier ätzt kein Dieter Bohlen. Hier geht es arabisch-höflich zu. "Ich habe nur eine kleine Anmerkung, wenn Du erlaubst", sagt eines der Jury-Mitglieder. "Ja bitte, Gott möge Dein Leben verlängern", antwortet der Dichter, der auf der Bühne in einem rot-goldenen Sessel sitzt. Dann ist eine Frau an der Reihe. Hanin al-Samarna aus Jordanien trägt ihr Gedicht über Stolz und Ehre mit lauter Stimme vor. Sie trägt ein schwarz-grünes Gewand, ist stark geschminkt und hat über ihr schwarzes Kopftuch das weiß-rot-gescheckte Tuch der arabischen Beduinen geschlungen.
Es folgt eine Werbepause, in der preiswerte Handy-Tarife und ein Kamel-Festival angepriesen werden. Dann blicken die Männer und Frauen, die im Theatersaal getrennt sitzen, wieder auf die Bühne, wo an diesem Abend noch sechs weitere Lyriker ihre Werke präsentieren. Zu ihnen gehört ein Jemenit, der gemäß der Tradition seiner Heimat, einen Krummdolch im Gürtel trägt. Auch das Saalpublikum darf per Abstimmungsknopf seine Meinung zu den Gedichten kundtun. Doch gemäß orientalischen Gepflogenheiten kommt auch von ihnen keine brutale Kritik. Das Publikum hat nur die Wahl zwischen den Kategorien "hervorragend", "gut" und "mittelmäßig". Das negativste Adjektiv, mit dem ein Gedicht an diesem Abend von der Jury bedacht wird, ist "schwach".
Natürliche Kreativität
Wer es in die nächste Runde schafft, der lächelt und sagt "Al- Hamdulillah" ("Gott sei Dank"). Niemand kreischt vor Freude. Keiner der Nachwuchs-Dichterfürsten fällt der Moderatorin, die ein Krönchen und einen transparenten Haarschleier zum lilafarbenen Abendkleid trägt, um den Hals.
Was "Dichter für Millionen" so erfolgreich macht, ist nicht die Bloßstellung untalentierter Künstler. Es ist auch nicht nur der spannende Auswahl-Prozess, an dem sich per Handy die Fernsehzuschauer in den arabischen Staaten beteiligen können. Die Sendung ist ein Zeichen für die Emanzipation der Golf-Araber. Denn die traditionelle Nabati-Poesie der Beduinen und die Musik der Wüstenbewohner war für viele Intellektuelle in Kairo, Damaskus, Beirut oder Bagdad lange Zeit drittklassig. Vielerorts sah man herab auf die "ungebildeten Beduinen", die altmodische Kopfbedeckungen trugen, einen schroff klingenden Dialekt sprachen und ihre Traditionen früher oft nur mündlich weitergaben.
Das hat sich geändert, jetzt wo die Golf-Araber nicht nur Geld aus dem Öl-Geschäft haben, sondern auch Universitäten, Museen und Theater. "Die Nabati-Dichtung ist Ausdruck der natürlichen Kreativität der Bewohner der Golfregion und zeigt, wie sie mit dem Land verwurzelt sind", erklärt der Herrscher von Dubai, Scheich Mohammed bin Raschid al-Maktum, auf seiner Website. Und wenn die Fußballmannschaft, die er unterstützt, den Pokal gewinnt, dann verfasst der Herrscher auch schon mal selbst ein Heldengedicht.