Wende im Amoklaufprozess Betreuerin widerruft Aussage
23.11.2010, 20:05 Uhr
Die Schüsse von Winnenden waren ohne die Nachlässigkeit des Vaters nicht möglich, meint die Anklage.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Eine Betreuerin der Familie des Amokläufers von Winnenden hat ihre Aussage zurückgezogen, die Eltern seien über Tötungsfantasien ihres Sohnes informiert gewesen. "Das war der Familie definitiv nicht bekannt", sagte die Mitarbeiterin eines Kriseninterventionsteams vor dem Landgericht Stuttgart.
Bei ihrer ersten Vernehmung vor knapp zwei Wochen sei ihr ein Fehler unterlaufen, sagte die Zeugin mit Tränen in den Augen. Der Vorsitzende Richter legte durch Fragen nahe, dass die Zeugin nach ihrer ersten Aussage unter Druck, etwa von der Familie, geraten sein könnte: "Sie machen mir einen unfreieren Eindruck als beim letzten Mal."
Sofortige Ermittlungen
Die Staatsanwaltschaft leitete ein Strafverfahren wegen versuchter Strafvereitelung und des Verdachts auf Falschaussage ein. Gleich nach dem Ende der Hauptverhandlung standen Polizisten zur Durchsuchung der Wohnung der Zeugin bereit, um Tagebücher, Arbeitslisten und andere Papiere über ihre Treffen und Gespräche mit der Familie zu beschlagnahmen.
Die Zeugin hatte am 11. November ausgesagt, die Eltern des Täters hätten ihr kurz nach dem Amoklauf erzählt, ihr Sohn habe im April 2008 in einer psychiatrischen Klinik von seinem Hass auf die Welt und seinem Bedürfnis, "Leute umzubringen", gesprochen, dies später aber wieder zurückgenommen.
Waffe im Nachttisch
Der Vater des Amokläufers muss sich seit Mitte September wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz verantworten. Sein 17 Jahre alter Sohn hatte am 11. März 2009 an seiner früheren Realschule in Winnenden (Baden-Württemberg) und auf der Flucht nach Wendlingen 15 Menschen und sich selbst erschossen.
Ein früherer Mitschüler des Amokläufers berichtete, Tim K. habe Freunden den Tresor im Elternhaus geöffnet und ihnen eine oder mehrere Waffen darin gezeigt. Der 18-Jährige konnte sich aber nicht mehr daran erinnern, wie Tim K. den Tresor geöffnet und ob er die Pistolen herausgeholt hatte. Es seien noch ein oder mehrere andere Kumpel dabei gewesen. Er datierte das Ereignis auf das Jahr 2008.
Die Frage, ob Tim K. den Tresor-Code kannte, spielt eine wichtige Rolle in der Verhandlung: Ursprünglich wollte die Staatsanwaltschaft das Verfahren mit einem Strafbefehl gegen den Vater beenden. Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger wies jedoch eine Anklage gegen den Geschäftsmann wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung und Verstoßes gegen das Waffengesetz an.
Schwierige Anklage
Die 3. Jugendkammer hatte die Anklage dann aber nur wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz zugelassen, weil sie unter anderem durch die polizeiliche Vernehmung des Freundes Hinweise darauf hatte, dass Tim K. die Zahlenkombination des Tresors gekannt haben könnte. Er könnte demnach die Tat auch begangen haben, ohne auf die vom Vater im Schlafzimmer unverschlossen aufbewahrte Pistole zurückgreifen zu müssen.
Der 18-Jährige, der vor Gericht aussagte, gilt als bester Freund des Todesschützen. Er beschrieb Tim K. als "ganz normal". Nachdem er von der Tat seines Freundes gehört habe, sei sein erster Gedanke gewesen: "Das kann nicht sein." Der Prozess geht am Donnerstag weiter.
Quelle: ntv.de, dpa