"Gar nicht erst an Rente denken"Japan fördert Arbeit im Alter
Rüstige Rentner, die auch im hohen Alter noch fleißig arbeiten gehen: Das präsentiert Japan als Lösung für seine rasant alternde Gesellschaft. Dock Kritiker mahnen vor Schönmalerei.
Shojiro Sagiya sprintet übers Eis, den Schläger fest im Griff. Seine Schlittschuhe gleiten dicht an der Bande entlang, dann dreht sich der Japaner plötzlich und drischt den Puck aufs Tor. Es ist Sonntag, 06.30 Uhr in der Frühe. Sagiya könnte jetzt gemütlich zu Hause im Bett liegen, schließlich ist er schon 84 Jahre alt. Doch stattdessen hat er seine schwere Eishockey-Ausrüstung in sein Auto gewuchtet und ist zum sonntäglichen Training mit seinem Team "Mandai Memorials" gefahren. Das Durchschnittsalter liegt bei 60, einige sind gar über 80 - aber teils schneller als manch 20-Jähriger. "Eishockey ist die Hälfte mein Lebens", sagt Sagiya. Und die andere? Seine Arbeit. Sagiya ist Manager eines Chemieunternehmens.
Täglich fährt der rüstige Senior, der mit seiner gebräunten glatten Haut und seinen freundlich strahlenden Augen viel jünger wirkt, als er ist, in sein Büro in Tokio. Seine Firma stellt Mikrokapseln unter anderem für Lebensmittel her. "Es gibt immer neue Technologien, so dass ich mich viel mit Patenten beschäftigen muss", schildert der Manager. "Es ist gut für meine Gesundheit, dass ich meinen Geist auf diese Weise rege halte". Nach Dienstschluss fährt Sagiya, der 1927 geboren wurde und schon als Kind Eishockey spielte, jeden Tag zum Fitness-Training.
Rente reicht nicht
Rüstige Senioren wie Sagiya sind Helden und Vorbilder einer Industriegesellschaft, die so rasant altert wie keine andere. Schon jetzt leben fast 30 Millionen über 65-Jährige im Land. Das ist jeder fünfte Bewohner. Da nur wenige Kinder nachrücken, schrumpft Japans Bevölkerung seit 2005 - und somit auch seine Erwerbsbevölkerung. Mittelfristig droht Japan ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Als Lösung bieten sich für die Unternehmen zwei Alternativen an: mehr Frauen einstellen oder ältere Mitarbeiter länger arbeiten lassen.
Die Erwerbsbeteiligung von Menschen über 64 liegt in Japan mit knapp 20 Prozent im Vergleich zu anderen Industrieländern schon sehr hoch. Ziel der japanischen Politik ist es aber, den Anteil noch zu steigern. Im Unterschied zu Deutschland geht die Politik in Japan davon aus, dass die Menschen ihren Lebensunterhalt im Alter nicht allein durch Rente und private Vorsorge bestreiten, sondern auch durch Arbeit.
"Alter Adel"
Ein Großteil der älteren Menschen in Japan ernten heute die Früchte eines arbeitsamen Lebens. Viele können es sich aussuchen, ob sie im Alter noch etwas dazuverdienen wollen. Denn die Japaner werden nicht nur immer älter, sondern auch gesünder. "Am Besten erst gar nicht an die Rente denken, sondern weiterarbeiten, das hält fit", sagt Sagiya. Vielen Senioren geht es finanziell so gut, dass man sie als "roujin kizoku", alter Adel, bezeichnet. Dies macht sie als kaufkräftige und konsumwillige Generation für die Wirtschaft höchst interessant.
Die Unternehmen stellen sich denn auch auf den wachsenden "Silbermarkt" ein, man baut Pflege- und Kuschelroboter, während die Politik durch die Förderung der Erwerbstätigkeit älterer Menschen die unliebsame Debatte umgeht, ob mehr ausländische Arbeitskräfte ins Land gelassen werden sollten. Kritische Beobachter beklagen jedoch, dass die positive Seite von Politik und Medien überbetont wird. "Denn es gibt auch Menschen, die im Alter nicht deswegen arbeiten, weil es ihnen Spaß macht, sondern weil sie das Geld zum Überleben brauchen", sagt Volker Elis vom Deutschen Institut für Japanstudien (DIJ) in Tokio, der die verschiedenen Aspekte des demografischen Wandels in Japan erforscht.
Gesellschaft im Wandel
Oft arbeiten Mitarbeiter nach dem offiziellen Ausscheiden zu erheblich schlechteren Konditionen weiter. Wer auf Sozialhilfe angewiesen ist, hat es noch schwerer. "Mancher fällt durch alle Maschen", sagt Elis. Viele schämen sich, Sozialhilfe überhaupt zu beantragen. Altersarmut ist auch im reichen Japan kein Fremdwort mehr. Das größte Armutsrisiko haben dabei Frauen, die selbst nicht erwerbstätig sind und nach dem Tod des Mannes keine Arbeit finden.
Früher herrschte die Erwartung vor, dass die Kinder sich um ihre Eltern im Alter kümmern und sie bei sich aufnehmen. Doch Japans Gesellschaft wandelt sich. Häufig können jüngere Menschen die Alten finanziell nicht mehr unterstützen, denn jeder dritte Arbeitnehmer in Japan arbeitet inzwischen in irregulären Beschäftigungsverhältnissen. Japan müsse die Sozial- und Gesundheitssysteme, aber auch das Bildungssystem verbessern, fordert Sagiya. Dass aber immer weniger Kinder geboren werden, sei unvermeidbar. Daher bleibe Japan letztlich nur, die Produktivität der Industrie zu steigern. "Mit wenig Arbeit, großen Gewinn erzielen", sagt der rüstige Senior. "Überalterung der Bevölkerung bedeutet nicht Alterung der Industrie."