Panorama

Erfahrung aus Tschernobyl hilft Japan scheut GAU-Vergleich

Am Jahrestag von Tschernobyl vermeidet die japanische Regierung Vergleiche mit dem Super-GAU vor 25 Jahren - gleichwohl habe die ukrainische Erfahrung bei den Reaktionen auf die Katastrophe in Fukushima "indirekt" geholfen. Derweil geht die Suche nach Normalität in Japan weiter - auch wenn der Wiederaufbau noch ein Jahrzehnt dauern könnte.

Eine Kundgebung anlässlich des 25. Jahrestages des Super-GAUs in Tschernobyl vor dem Tepco-Sitz in Tokio.

Eine Kundgebung anlässlich des 25. Jahrestages des Super-GAUs in Tschernobyl vor dem Tepco-Sitz in Tokio.

(Foto: AP)

Die japanische Regierung betrachet die Atomunfälle von Fukushima und Tschernobyl nicht als miteinander vergleichbar. "Es ist eindeutig, dass beide Fälle unterschiedlicher Natur sind", erklärte Regierungssprecher Yukio Edano anlässlich des 25. Jahrestags der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Die in Fukushima freigesetzte Radioaktivität stelle nur ein Zehntel der Menge dar, die am 26. April 1986 in Tschernobyl ausgetreten sei. Zudem sei in Japan eine Explosion von Reaktoren verhindert worden. Dort hatte es nach dem Ausfall der Kühlsysteme aber mehrere Wasserstoffexplosionen in den Reaktoren gegeben.

Einige Lehren aus der Tschernobyl-Katastrophe hätten der japanischen Regierung "indirekt" geholfen, meinte Edano. Als Beispiel führte er die Evakuierung der umliegenden Region an. Im Umkreis von 20 Kilometern um das Kraftwerk von Fukushima ist inzwischen eine streng kontrollierte Sperrzone eingerichtet worden. Rund 80.000 Menschen wurden in Sicherheit gebracht. "Studien und Untersuchungen über den Einfluss auf die Gesundheit, die nach Tschernobyl gemacht wurden, sind für die gesamte Menschheit wichtig geworden", sagte Edano.

Wie Tschernobyl auch wird Fukushima als "katastrophaler Unfall" auf der höchsten Stufe 7 der internationalen Bewertungsskala INES bewertet. Die Zahl der Opfer von Tschernobyl ist bis heute umstritten. Während beispielsweise die UNO von lediglich dutzenden Toten spricht, machen Menschenrechtsorganisationen die Reaktorexplosion und die darauffolgende Strahlenwolke für den Tod von mehreren zehntausend Menschen verantwortlich. In Japan ist im Zusammenhang mit Fukushima bisher noch kein Todesfall bekannt.

Radioaktivität steigt

Im havarierten Atomkraftwerk Fukushima haben sich die Werte für radioaktives Cäsium 134 und Cäsium 137 sowie für Jod 131 im Vergleich zu den vor einem Monat gemessenen Daten vervielfacht. Wie der japanische Fernsehsender NHK berichtete, wuchs der Wert für Cäsium 134 und 137 etwa um das 250-fache. Bei Jod 131 sei es etwa das Zwölffache gewesen. Deswegen muss der AKW-Betreiber Tepco nach eigenen Angaben der Beseitigung des radioaktiven Wassers Priorität einräumen.

Bauern aus der Region um das AKW Fukushima fordern Entschädigung von Tepco.

Bauern aus der Region um das AKW Fukushima fordern Entschädigung von Tepco.

(Foto: AP)

Wie japanische Medien unter Berufung auf Tepco weiter berichteten, steigt der Pegelstand des radioaktiv verseuchten Wassers weiter an. Es seien in den vergangenen Tagen jeweils wenige Zentimeter hinzugekommen.

Tepco hatte angekündigt, weitere Zwischenlager für hoch radioaktives Abwasser bauen zu wollen. Tepco möchte so bis Anfang Juni Kapazitäten für 31.400 Tonnen Wasser schaffen, berichtete der Fernsehsender NHK. Danach sollen bis Dezember jeden Monat weitere Behälter aufgebaut werden, falls die Filterung des Wassers und die Kühlsysteme nicht wie geplant im Juni wieder funktionieren.

Tepco muss derzeit etwa 70.000 Tonnen radioaktiv verseuchtes Abwasser aus den Turbinengebäuden und aus Tunneln pumpen, das zur Notkühlung der beschädigten Reaktoren benutzt worden war. Das Wasser behindert die Reparaturarbeiten am Kühlsystem und gefährdet die Arbeiter. Das Kraftwerk war durch das Erdbeben und den nachfolgenden Tsunami am 11. März schwer beschädigt worden.

Kaiserpaar besucht Katastrophengebiet

Der japanische Kaiser Akihito und Kaiserin Michiko wollen die Katastrophenregion im Nordosten des Landes besuchen. Auf dem Reiseplan stehen die Präfekturen Miyagi, Iwate und Fukushima, die schwer verwüstet worden waren. Die Katastrophe tötete mehr als 14.000 Menschen, etwa 12.000 gelten als vermisst. Nach ihnen soll in einer großangelegten Aktion gesucht werden.

Nach Miyagi will das Paar am Mittwoch fliegen. Für den 2. Mai ist eine Visite in Iwate geplant. Fukushima steht am 11. Mai auf dem Terminkalender. Bereits Anfang April hatte das Kaiserpaar zwei Städte in der Region Kanto in Ostjapan besucht, die auch von dem Desaster betroffen sind.

Wiederaufbau könnte ein Jahrzehnt dauern

Der Wiederaufbau der zerstörten Städte wird nach Einschätzung einer Experten-Kommission bis zu zehn Jahre dauern. Allein die Wiederherstellung von Straßen und der Bau provisorischer Häuser werde die ersten drei Jahre in Anspruch nehmen, erklärten die von der Regierung eingesetzten Berater. Für den Neubau der Städte müsse mit weiteren vier Jahren gerechnet werden. Noch länger werde es dauern, alle Schäden des schwersten Erdbebens in Japan seit Beginn der Messungen zu beseitigen. Die japanische Regierung schätzt den Sachschaden auf umgerechnet über 200 Milliarden Euro.

Ein kleines Stück Normalität: Ein jugendlicher Baseballspieler beim Training in Miyako.

Ein kleines Stück Normalität: Ein jugendlicher Baseballspieler beim Training in Miyako.

(Foto: AP)

Die Experten-Kommission rief wegen der großen Aufgabe zur Beendigung des Parteienstreits auf. "Die Anstrengungen für den Wiederaufbau sind wichtiger als politische Fragen", appellierte der Kommissions-Vorsitzende Makoto Iokibe. Aus Sicht des Gremiums hat die Katastrophe zudem die strukturelle Schwäche der Zentralregierung offenbart. Notwendig sei eine Stärkung der Regionen.

Dank an ausländische Helfer

Für den Wiederaufbau wird Japan wahrscheinlich auch Unterstützung benötigen - für die Soforthilfe aus aller Welt nach dem Erdbeben hat sich die Regierung in einer Botschaft im US-Nachrichtensender CNN bedankt. "Danke an alle, die verstanden haben", hieß es in dem 30-sekündigen Spot, der mit Bildern von ausländischen Rettungsteams unterlegt wurde. "Ihre Hilfe wird sehr geschätzt und wir haben Kraft aus der Freundschaft gezogen, die Sie bewiesen haben, während wir unser Leben wiederaufbauen", hieß es an die ausländischen Einsatzkräfte gerichtet. "Dafür dankt das japanische Volk ihnen - persönlich."

Nach Angaben des Außenministeriums in Tokio beteiligten sich 146 Länder, darunter Deutschland, sowie 39 internationale Organisationen an der Hilfe für Japan oder boten ihre Unterstützung an. 21 dieser Akteure schickten medizinische und Rettungsteams. Außerdem erhielt Japan Hilfsgüter aus zahlreichen Ländern. Die USA hatten in Japan ihren bislang größten Rettungseinsatz im Ausland, die "Operation Tomodachi" ("Operation Freund"), mit mehr als 20.000 Einsatzkräften gestartet.

Walfänger gehen auf Jagd

Auch das gehört zum Weg zurück in die japanische Normalität: Trotz großer Schäden haben Walfänger ihre umstrittene Jagd auf die Meeressäuger wieder aufgenommen. Aus dem Hafen von Kushiro an der Ostküste der Nordinsel Hokkaido stachen zwei Walfangschiffe zur diesjährigen Jagd in See, wie die Fischereibehörde mitteilte. Sie sollen entlang der Küste der Hafenstadt bis Juni etwa 60 Zwergwale fangen.

Bekannt für den japanischen Walfang ist eigentlich die Stadt Ayukawa. Sie wurde durch den Tsunami allerdings so schwer zerstört, dass die dortige Industrie kurz vor dem Kollaps stand. Eine dort angesiedelte Firma agiert deshalb nun von Kushiro aus, wo bereits mehrere Angestellte auf das Walfleisch zur Weiterverarbeitung warten.

Japan gibt vor, die Meeressäuger zu Forschungszwecken zu töten - verhehlt aber nicht, dass das Walfleisch verzehrt wird. Nach der Auffassung des Landes ist der Walfang eine jahrhundertealte Tradition, die nicht verloren gehen dürfe. Die Walfangsaison in der Antarktis war im Februar nach einer Serie riskanter Störaktionen von Tierschützern vorzeitig beendet worden.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts

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