Horrorunfall auf der A19 Klärung der Schuldfrage beginnt
09.04.2011, 15:09 Uhr
Die Aufräumarbeiten schreiten voran, doch der Schock sitzt tief. Der Massencrash auf der Autobahn 19 nahe Rostock kostet Menschenleben und verursacht einen Millionenschaden. Nun geht es um die Ursache: Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Und Mecklenburg-Vorpommerns Verkehrsminister will eine Debatte über Tempolimits.
Mehr als 20 Verletzte liegen noch im Krankenhaus, Teile der Autobahn sind weggeschmolzen: Nach dem Horrorcrash nahe Rostock ermittelt nun die Staatsanwaltschaft. Acht Menschen starben bei der Massenkarambolage, mehr als 130 wurden verletzt - ein Mann schwebt noch in Lebensgefahr. Ein Sandsturm hatte den Fahrern am Freitag die Sicht genommen. "Es besteht der Verdacht der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung", sagte Staatsanwältin Maureen Wiechmann. Mecklenburg-Vorpommerns Verkehrsminister forderte eine Debatte über Tempolimits.
Experten der Prüforganisation Dekra sollen klären, "ob Autofahrer angesichts der Sandwand zu schnell oder zu unvorsichtig gefahren sind." Es war der verheerendste Massencrash der vergangenen 20 Jahre in Deutschland. Bundespräsident Christian Wulff sprach den Hinterbliebenen sein Beileid aus. Die acht Todesopfer stammen aus Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin und Sachsen-Anhalt. Wie ein Sprecher des Lagezentrums sagte, waren keine Kinder unter den Toten. Vier Verstorbene, darunter ein Ehepaar, kämen aus Mecklenburg-Vorpommern. Ein Paar aus Brandenburg sei ums Leben gekommen, je ein Mensch aus Berlin und Sachsen-Anhalt gestorben.
80 Autos rasten ineinander, knapp 30 gingen in Flammen auf, auch ein Gefahrguttransporter brannte auf der Autobahn 19 (Rostock-Berlin). Das Inferno richtete einen Millionenschaden an, schätzten Polizisten an der Unfallstelle.
Nach Angaben der Staatsanwältin waren die Gutachter am Freitag bereits am Unfallort und beschlagnahmten etwa fünf Autos, um die Abfolge der Massenkarambolage zu klären. An der Spitze der Unfallkolonne in Richtung Rostock, wo es die stärksten Brände gab, sei auch einer der vier unfallbeteiligten Lastwagen gefahren. "Die Untersuchungen werden aber noch mehrere Tage dauern", sagte Wiechmann. Es müssten Zeugen befragt werden, darunter auch Verletzte aus den Krankenhäusern.
An der Unfallstelle gab es kein Tempolimit. Landesverkehrsminister Schlotmann verlangte eine Debatte über Geschwindigkeitsbegrenzungen. "Man kann nicht jeden Unfall durch Verkehrsregeln verhindern. Wir müssen aber darüber reden, ob und wie Tempolimits zu mehr Sicherheit beitragen können", erklärte der SPD-Politiker. Auch die Linkspartei forderte eine Diskussion über die generelle Geschwindigkeitsbegrenzung. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer zeigte sich schockiert über die Massenkarambolage. Er sprach den Opfern und ihren Angehörigen sein Beileid und tiefes Mitgefühl aus und erklärte mit Blick auf die Unglücksursache: "Das zeigt, selbst höchsten Anstrengungen bei der Verkehrssicherheit werden durch solche extremen Naturgewalten Grenzen gesetzt."
Der Grund für den Unfall soll extreme schlecht Sicht gewesen sein. Der Sturm hatte Sand von umliegenden Feldern aufgewirbelt und über die Autobahn geweht. Augenzeugen sagten, man habe nur noch etwa zehn Meter weit sehen können.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gab der Agrarindustrie eine Mitschuld am Entstehen des Sandsturms. "Durch die jahrelange Vernachlässigung der Bodenstruktur haben die Böden immer weniger Humusgehalt, sie degradieren", sagte der BUND-Agrarexperte Burkhard Roloff. Die obere Krume trockne durch die breite Verwendung von Kunstdüngern aus. Eine wesentliche Rolle spielten auch die riesigen Felder.
"Das ist totaler Unsinn", sagte der Präsident des Bauernverbands in Mecklenburg-Vorpommern, Rainer Tietböhl. In den vergangenen sechs Wochen habe eine enorme Trockenheit geherrscht, "da kann kein Landwirt was dafür". Die Autobahnmeisterei und Meteorologen sprachen von einer "unglücklichen Verkettung von Zufällen". In der Region hatte es seit längerer Zeit nicht mehr ergiebig geregnet. Als der Unfall geschah, habe es Windgeschwindigkeiten bis knapp 90 Stundenkilometer gegeben.
Etwa 20 Stunden nach dem Massencrash war auch der letzte brennende Lastwagen gelöscht. Dichter Löschschaum bedeckte den Boden um den letzten völlig ausgebrannten Lkw. Das Wrack stand schräg im Graben. Die Fahrbahn war auf Dutzenden Metern mit riesigen Löchern übersät und völlig schwarz von Ruß und verbrannten Wrackteilen.
Insgesamt waren 300 Retter im Einsatz. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) dankte ihnen für ihren "unheimlich schweren Einsatz".
Die Autobahnmeisterei Kavelstorf arbeitete mit Hochdruck daran, die Unfallschäden zu beseitigen. Richtung Berlin wurden beide Spuren wieder freigegeben. Die deutlich stärker beschädigte Fahrbahn nach Rostock wird erst etwas später wieder zu befahren sein.
Quelle: ntv.de, dpa