Interview mit Vatikan-Aussteiger David Berger "Mich wundert, dass alle jubeln"
30.07.2013, 17:11 Uhr
Als charismatisch und sympathisch beschreibt David Berger den Papst. Doch große Veränderungen in der Lehre der Kirche erwartet er nicht.
(Foto: REUTERS)
David Berger war Professor an der päpstlichen Akademie und Chefredakteur einer erzkonservativen Zeitschrift. Dann outete er sich als schwul und engagiert sich seitdem gegen Diskriminierung. Im Interview mit n-tv.de analysiert er die neuesten Äußerungen von Papst Franziskus und gibt Einblicke in das Schwulen-Netzwerk im Vatikan.
n-tv.de: Papst Franziskus sagt, er wolle nicht über Homosexuelle "richten". Hat Sie diese Aussage verwundert?
David Berger: Sie hat mich zunächst einmal erfreut. Denn sein Vorgänger Benedikt XVI. ist bei dem Thema in einen Brutalismus und eine diskriminierende Redeweise verfallen, die von einer neurotischen Angst vor Homosexuellen gezeugt hat. Dieser Ton hat sich ganz entschieden geändert und das hat mich gefreut. Verwundert hat es mich nicht, weil ich Franziskus so eingeschätzt habe. Allerdings wundert mich, dass sich die Medien nur auf diesen Satz stürzen.
Was war für Sie die zentrale Aussage?
Er sagt: Homosexuellen Menschen ist mit Respekt zu begegnen, sie sind in die Gesellschaft zu integrieren. Das ist positiv, was auch immer es genau heißt. Aber dann kommt die Einschränkung: Das Ausleben der Homosexualität ist Sünde und man darf keine Werbung für Homosexualität machen. Das heißt, sich zusammenzuschließen und für die Rechte von Homosexuellen zu kämpfen, ist verboten. Da fühle ich mich als schwuler Katholik schon diskriminiert.
Schwulsein ist laut Franziskus keine Sünde, das Ausleben aber schon. War das nicht schon immer die Aussage der katholischen Kirche?
Ja, natürlich. Das steht im Kathechismus. Benedikt hat auch nichts anderes gesagt, nur klang es bei ihm nicht so nett. Inhaltlich hat sich rein gar nichts geändert. Mich wundert, dass alle in Jubel ausbrechen. Eine offene Diskriminierung ist oft weniger gefährlich als eine, die freundlich daherkommt. Das Schema kommt in Gesellschaften mit Political Correctness immer wieder vor. Da heißt es dann: "Ich habe nichts gegen Ausländer, aber sie sollen doch nicht in meinem Viertel wohnen. Ich habe nichts gegen Schwule, aber sie sollen ihr Schwulsein nicht öffentlich ausüben." Dieses Schema beherrscht die kirchliche Doktrin und die Aussagen des Papstes.
Und trotzdem bewerten Sie den neuen Ton positiv?
Ja, weil ich nicht nur an schwule Männer in Berlin und Köln denke, sondern auch an die in sehr katholischen Ländern wie Italien, Kroatien und Polen. Jedes Mal, wenn Papst Benedikt eine homophobe Aussage gemacht hat, gab es in Italien vermehrt gewalttätige Übergriffe auf schwule Männer. Gay-Aktivisten dort hoffen nun, dass sich das Klima so verändert, dass sie zumindest nicht mehr zusammengeschlagen werden.
Franziskus bezieht sich in seinen Äußerungen im Speziellen auf Priester. Sehen Sie da eine Änderung?
Er spricht von Priestern, aber welche seiner Aussagen sich auf die Priester beziehen, kann ich nicht genau sagen. Der Text ist verschwurbelt, er lässt einen unglaublich großen Interpretationsspielraum. Sollte er gemeint haben, dass es bei Priestern okay ist, schwul veranlagt zu sein, dann wäre das eine Veränderung in der katholischen Kirche, die den von Benedikt 2005 eingeschlagenen Kurs umkehren würde. Benedikt hat gesagt: Wenn jemand homosexuell veranlagt ist, ist er von Natur aus nicht geeignet, katholischer Priester zu werden. Sollte Franziskus seine Äußerung also auf Priester bezogen haben, wäre es eine Änderung dessen, was seit 2005 in der katholischen Kirche gilt.
Besonders herausgestellt wird folgendes Zitat: "Wenn eine Person homosexuell ist und Gott sucht und guten Willens ist, wer bin ich, um über ihn zu richten?" Was meint Franziskus damit?
"Gott suchen" ist eine fromme Klausel. Die Frage ist, was er mit "homosexuell" meint. Menschen, die ein schlechtes Gewissen wegen ihrer Homosexualität haben und deshalb besonders fromm und papsttreu sind, hat man in der katholischen Kirche immer gerne gesehen. Oder meint er jemanden, der offen zu seinem Schwulsein steht, dieses Geschenk Gottes angenommen hat und seine Gottsuche darin sieht, dieses Geschenk anzunehmen und auszuleben?
"Guten Willens sein", kann also bedeuten, enthaltsam zu leben?
Ich denke, das hat er gemeint.
Viele erhoffen sich ganz allgemein eine Öffnung der Kirche durch Papst Franziskus. Bei Ihnen klingt das nicht so.
Rein PR-mäßig ist eine Öffnung vorhanden. Er ist eine charismatische Persönlichkeit und kann auf die Menschen zugehen. Man hat das jetzt wieder daran gesehen, dass nur das positive Zitat rausgepickt wird und alle jubeln. Alles andere wird verdrängt. Im gleichen Atemzug hat er ja gesagt, dass das Frauenpriestertum undenkbar ist. Er spricht der Hälfte der Menschheit das Recht ab, das katholische Priestertum auszuüben. Im sozialen Bereich wird er wohl auf Lateinamerika aufmerksam machen und auf die Grenzen des Kapitalismus. Bei den Themen Homosexualität, Frauenpriestertum, wiederverheiratete Geschiedene und Zölibat wird sich unter ihm nichts verändern.
Viele sehen in der offenen Art des Papstes erste Zeichen einer langsamen Veränderung der katholischen Kirche. Sie nicht?
Nein, nicht solange sich nur die Show verändert. Kardinal Tarcisio Bertone kann weiter die Gelder der Mafia verschieben und mit Berlusconi klüngeln. Über die extrem gute PR vergessen selbst ernsthafte Journalisten, dass sich bei den Grundaussagen und den Klüngeleien in der katholischen Kirche noch gar nichts geändert hat. Auch gute Freunde von mir, die in der Kurie arbeiten, sagen: Es hat sich gar nichts verändert.
Sie sprechen die "Klüngelei" an: Oft ist von einem "Schwulennetzwerk" die Rede. Was hat es damit auf sich?
Der Papst hat von einer "Gay Lobby" gesprochen, aber eine "Lobby", die politische Ziele verfolgt, ist das nicht. Es ist ein Netzwerk unter schwulen Männern, das dazu dient, möglichst einfach und unentdeckt Sex zu haben. Es gibt Telefonketten, Chaträume, sogar gemeinsame Wohnungen. Ein Umsturz in der Kirche ist von ihnen nicht zu erwarten. Sie sind konservativ, papsttreu und fromm. Sie sind Stabilisatoren des Systems Vatikan. Man darf sich das nicht wie eine große Organisation vorstellen. Es sind eher verschiedene, lose miteinander verknüpfte Netzwerke.
Sie waren selbst in hohen Kreisen des Vatikans unterwegs. Waren Sie Teil des schwulen Netzwerks?
Ja und Nein. Da ich kein Priester bin, war ich nicht darauf angewiesen. Wenn ich Sex haben wollte, habe ich mir den in Rom einfach genommen. Ich habe einfach viele aus diesen Netzwerken gekannt und sie haben mir vertraut. Ich wurde von einem Geistlichen mal in eine Wohnung am Monte Mario mitgenommen, zu der es viele Schlüssel gibt und die zur Verfügung steht, damit man Bekannte von außen nicht in den Vatikan oder die Dienstwohnung mitnehmen muss.
Sie sagen, es handelt sich nicht um ein politisches Netzwerk. Trotzdem wird vom Papst gefordert, er müsse solche "Machtstrukturen" zerschlagen. Können Sie das nachvollziehen?
Ich verstehe es nicht so ganz. Die Vorstellung, dass dort eine Lobby nach der Macht greift, ist von extremen Konservativen aufgebaut worden, die auch Pädophilie und Homosexualität gleichsetzen. Sie haben Benedikt davon überzeugt, dass dahinter eine große Gefahr steckt. Wenn gegen die "Homo-Lobby" gewettert wird, ist das die Angst davor, der Pädophilie-Skandal könnte die katholische Kirche wieder einholen.
Sie selbst haben vor einigen Jahren ein Enthüllungsbuch veröffentlicht und in Kauf genommen, dass Ihnen die Missio, die katholische Lehrerlaubnis, entzogen wurde. Sie kritisieren die Kirche sehr deutlich. Warum fühlen Sie sich trotzdem als Katholik?
Die Bilder und Archetypen des Katholischen gehören so sehr zu mir, dass ich sie nicht loswerden will und nicht loswerden kann. Ich fühle mich als Katholik, habe aber das, was mich belastet hat, abgestreift. Katholizismus ist für mich nicht das, was der jeweilige Papst gerade sagt. Für mich zählt, was ich als Kind und Jugendlicher als katholisch kennengelernt habe.
Sie besuchen auch noch katholische Messen?
Soweit das möglich ist, ja. Ich bin traditionell geblieben und kann mit modernen Gottesdiensten wenig anfangen. Ich liebe die klassische, lateinische Liturgie.
Mit David Berger sprach Christoph Herwartz
Quelle: ntv.de