Panorama

Unter dem Mantel des SchweigensMissbrauch an Elite-Gymnasium

28.01.2010, 15:50 Uhr
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Der Rektor der Schule hatte 600 ehemalige Schüler angeschrieben, die in den 70er und 80er Jahren das Gymnasium besucht hatten. (Foto: REUTERS)

Das Canisius-Kolleg gilt als eines der besten Gymnasien Berlins. Doch nun wird das Vertrauen in die von Jesuiten betriebene Schule erschüttert: Über Jahre hinweg haben sich offenbar mindestens zwei Padres an Schülern vergangen. Schüler und Eltern erfahren erst jetzt davon.

An dem katholischen Elitegymnasium Canisius-Kolleg in Berlin soll es in den 70er und 80er Jahren zahlreiche sexuelle Missbrauchsfälle gegeben haben. Bislang seien ihm sieben Fälle bekannt, berichtete der Rektor der renommierten Privatschule, Pater Klaus Mertes. Er gehe aber "von einer größeren Dunkelziffer" aus. Das Canisius-Kolleg wird vom Jesuitenorden geführt. Viele frühere Absolventen sollen heute in führenden Positionen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft tätig sein.

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Bundespräsident Horst Köhler umringt von Schülern des Kollegs. (Archivbild von Dezember 2008) (Foto: picture-alliance/ dpa)

Der Verdacht war bekanntgeworden, weil sich Mertes in einem Brief an etwa 600 ehemalige Schülerinnen und Schüler gewandt hatte. "Mit tiefer Erschütterung und Scham habe ich diese entsetzlichen, nicht nur vereinzelten, sondern systematischen und jahrelangen Übergriffe zur Kenntnis genommen", heißt es darin.

Die ersten zwei Opfer hätten sich bereits im Jahr 2004 bei ihm gemeldet, sagt Mertes. Diese hätten ihn aber gebeten, ihre Fälle nicht bekannt zu machen. Mertes berichtet, er habe die Information nur an den Jesuitenorden weiter gegeben. Was dort mit dieser Information geschah, lässt der Geistliche offen. Strafrechtlich ist den Männern offensichtlich aber nichts geschehen - die Taten sind inzwischen auch verjährt.

Womöglich wären die Vergehen nie ans Licht gekommen, wenn nicht im vergangenen Jahr bei einem Treffen ehemaliger Schüler ein weiteres Opfer sein jahrelanges Schweigen gebrochen hätte. Nachdem dieser frühere Schüler in der als heiteres Treffen gedachten Runde offen ansprach, sexuell missbraucht worden zu sein, kamen auch weitere Männer aus der Deckung. Insgesamt meldeten sich seither fünf weitere Opfer der als ausgesprochen beliebt beschriebenen Lehrer - und Mertes sah den Zeitpunkt gekommen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Er vermutet, dass nur die Spitze des Eisbergs bekannt geworden ist. Die Geistlichen hätten jeden der sieben Schüler zwar "nur" einmal missbraucht - die Fälle seien aber jeweils nach einem festen Muster geschehen.

Die des Missbrauchs verdächtigen Lehrer sind laut Mertes schon seit langem nicht mehr an der Schule. "Sofern sie noch leben, recherchieren wir", kündigte der Rektor an. Er habe sich nun auch zu dem Brief entschieden, "um einen Beitrag dazu zu leisten, das Schweigen in den betroffenen Jahrgängen zu brechen und den Betroffenen in den Jahrgängen das Sprechen zu ermöglichen".

Straftaten offenbar bereits verjährt

Das Berliner Landeskriminalamt leitete unterdessen ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt ein, wie ein Sprecher sagte. Eine Anzeige sei bei der Polizei bislang nicht eingegangen. Allerdings müsse man auch in jedem Einzelfall prüfen, ob die Straftat bereits verjährt sei. Laut Strafrecht verjährt ein schweres Sexualdelikt nach zehn Jahren. Wenn die Opfer laut Polizei zum Tatzeitpunkt jedoch minderjährig sind, setzt die Frist erst ein, wenn die Opfer 18 Jahre geworden sind. Damit wären die Taten am Berliner Kolleg verjährt, sobald die Schüler 28 Jahre alt wurden. Nach Angaben des Rektors sind die Opfer heute etwa 40 Jahre alt.

Aufklärung wird nötig sein

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Blick auf das von Jesuiten betriebene Canisius-Kolleg in Berlin. (Foto: APN)

Am Canisius-Gymnasium herrscht derweil große Unsicherheit. Einige Schüler erzählten, sie hätten erst am Morgen durch die Zeitung von den Missbräuchen erfahren. "Das war keinem Schüler bekannt", sagte ein 19-Jähriger. Im Unterricht habe man daraufhin kurz mit den Lehrern darüber geredet. Auch viele Eltern erfuhren erst durch die Medien von den Vorwürfen. "Ich finde es sehr problematisch, diese Dinge einige Jahre lang gar nicht bekanntzugeben, obwohl einzelne Fälle bekannt waren", sagte eine Mutter. Es sei jedoch typisch für die Schulpolitik, sehr stark das positive Image der Schule bewahren zu wollen.

Dass solch ein Bruch mit den eigenen Moralvorstellungen möglich war, scheint nach der Schilderung des Rektors nicht allein in der Verantwortung der zwei Täter zu liegen. "Es gehört auch zur Erfahrung der Opfer, dass es im Canisius-Kolleg und im Orden bei solchen, die eigentlich eine Schutzpflicht gegenüber den betroffenen Opfern gehabt hätten, ein Wegschauen gab", schreibt Mertes.

Krasser konnte der Verstoß gegen das erste Gebot, das sich die als eines der besten Gymnasien Berlins geltende Schule selbst gegeben hat, kaum sein: "Jesuitenschulen sollen Orte sein, an denen die Schüler und Schülerinnen ihre Würde als Mensch erfahren", heißt es dort.

Quelle: dpa

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